Umweltzerstörung:Der Poopó verschwindet

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Luftaufnahmen der Nasa: Der Poopó im Jahr 2013 (links) und im Januar 2016 (rechts). (Foto: dpa)

Der zweitgrößte See in Bolivien ist ausgetrocknet. Hunderte Fischer sind arbeitslos, die Menschen leiden Hunger.

Aussteigen aus dem Jeep, Laufen an den Rand der Lagune Uru Uru nahe der bolivianischen Stadt Oruro. Der erste Eindruck: Eine ökologische Katastrophe. Es stinkt fürchterlich, Flamingos staksen im Plastikmüll herum, durch giftige Abwässer, die Lagune führt ohnehin kaum noch Wasser. Viele sind hierhin migriert, weil sich 60 Kilometer weiter ein noch weit größeres Drama abspielt.

Der Lago Poopó, Boliviens zweitgrößter See, einst einer der größten Südamerikas, ist einfach verschwunden. Ausgetrocknet. Die Nasa hat gerade Luftaufnahmen veröffentlicht, von 2013 und vom Januar 2016.

Auf dem ersten Bild sind Unmengen türkisfarbenen Wassers zu sehen, auf dem zweiten nur noch ein ausgetrockneter Grund. Einst hatte der See eine Größe von knapp 3000 Quadratkilometern - und ernährte Dutzende indigene Gemeinden dank des Fischfangs. Vorbei. Er hatte zwar zuletzt schon nur noch eine Wassertiefe von drei Metern - aber Wissenschaftler glauben, dass er nicht wiederzubeleben ist.

Silber- und Erzminen entlang des Flusses zweigen viel Wasser ab

Auf der Suche nach den Ursachen geht es mit dem Jeep zunächst den Rio Desaguadero entlang, er fließt vom berühmten Titicacasee, dem größten Südamerikas Richtung Poopó - und ist dessen wichtigste Wasserzufuhr. Bei der Ortschaft Eucaliptus ist er noch ein gewaltiger rotfarbener Strom. Doch was auffällt: Silber- und Erzminen entlang des Flusses zweigen viel Wasser ab. Und dann ist da Juan Iquina, der in einem kleinen Kanal mit seinem Fischernetz im ebenfalls rotfarbenen Wasser Fische zu fischen versucht. "Wir haben nur noch etwa ein Zehntel der Regenmengen im Vergleich zu anderen Jahren", sagt er.

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Daher sei man gezwungen, vom Desaguadero abzweigende Kanäle zu bauen. Sonst kann man nicht mehr Quinoa und Kartoffeln anbauen, auch nicht Alfalfa, ein Grünzeug zur Ernährung des Viehs. "Es gibt sehr viele solcher Kanäle, wir bauen die einfach, dafür brauchen wir keine Genehmigung", sagt der 30 Jahre alte Iquina, während er weiter mit dem Netz durch das trübe Wasser fischt.

"Die Alternative für uns ist, nichts mehr zu essen zu haben". Die Indigenas, die hier seit Jahrhunderten auf 3700 Meter Höhe leben, haben ein feines Gespür, wie die Erderwärmung und das Wetterphänomen El Niño ihr Leben verändern.

Es regnet kaum noch, daher zweigen sie über die Kanäle Wasser aus dem Rio Desaguadero ab. Der verkommt auf seinem Weg zum Poopó zum immer schmaler werdenden Flüsschen. Zwar war der Lago Poopó 1994 schon einmal so gut wie trocken, aber nie war es so dramatisch wie heute, weil kaum Aussicht auf Erholung besteht. Es ist kein Regen in Sicht.

"Es gibt eine eindeutige Verbindung zum Klimawandel" meint der Landeschef des Umweltnetzwerks "Red Latinoamericana Ambiental", Raúl Pérez Albrecht. Die Regenmengen hätten sich drastisch reduziert. Und die Temperatur im Südwesten Boliviens sei seit 1982 um 1,8 Grad gestiegen.

"Wenn wir Glück haben, können wir vielleicht noch ein Drittel des Lago Poopó retten", sagt Albrecht. Dafür müsse es aber mehr regnen - und der Rio Desaguadero wieder mit mehr Wasser in den See einfließen.

Auf der Fahrt zum See geht es vorbei an einer einsamen Lehmhütte, das Geburtshaus von Staatspräsident Evo Morales, von dort an den Rand des Poopó. Dort steht Crisostomo Martínez, 77 Jahre, ein von der Sonne braun gegerbtes Gesicht. Er kaut ein paar Cocablätter und versucht sich in Zweckoptimismus. "Alle 12, 15 Jahre trocknet er an einigen Stellen fast aus." Aber dann fülle er sich dank der Regenfälle wieder auf. "Das ist dieses Mal anders." Und für den Bauern ein großes Problem.

"Wir haben viel zu wenig Quinoa"

Er baut Quinoa an. Das "Inka-Korn" enthält viel Protein und wird in Europas Bio-Märkten immer beliebter. Das Kilo kostet in Deutschland bereits rund 10 Euro: "Wir haben viel zu wenig Quinoa", sagt Martínez. Wegen der Dürre fürchtet er um sein Geschäft.

Bei der Ortschaft Huari lässt sich das Drama besonders eindrücklich erfahren. Der Jeep fährt erst entlang von Quinoa-Feldern, wo es viele lichte Flächen gibt, plötzlich ändert sich der Bodenbelag hin zu einem grauen Lehmbett, immer wieder gepaart mit Salzkrusten. Hier wächst gar nichts mehr. Es dauert etwas, bis klar wird: Das Auto fährt gerade über den Grund des Lago Poopó. Es ist bizarr. In der Abenddämmerung liegen Fischerboote auf dem Grund. Am Horizont spiegeln sich Berge in den letzten, zentimetertiefen Wasserflächen.

Das hier war die Versorgungsgarantie von Severio Rios Choque. Im Poncho steht er vor seinem mit Ziegeln gebauten Haus, das früher am Ufer des Sees stand. Jeden Morgen fuhr er mit dem silberfarbenen Boot raus, fischte bis zu eine Arroba Fische (11,5 Kilogramm), nahm 150 Bolivianos (knapp 20 Euro) am Tag ein. Heute liegt sein Boot umgedreht im Garten und dient den Kindern als Kletterspielzeug. Traurig steht der 56-Jährige an seinem Boot, es gibt kaum Hoffnung, dass Wasser und Fische je zurückkommen werden. "Seit fünf Jahren trocknet der See aus, nun ist nichts mehr da."

90 Familien lebten hier vom Fischfang, nun gibt es ein paar Grundnahrungsmittel wie Reis und Nudeln vom Staat, aber mehr nicht. Wenn er einen Wunsch an Morales frei hätte? "Ein Bewässerungssystem, damit wir hier auf Landwirtschaft umsteigen können, wir leiden Hunger", klagt er. Vieles scheint sich unwiderruflich zu verwandeln. Nicht nur, dass der See austrocknet, eines ist Severio Rios Choque auch aufgefallen. "Die ganzen Flamingos, die sind alle weg."

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