Umweltverschmutzung:Mit Filtern gegen Kunststoff-Krümel

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Mit dem Abwasser gelangt jede Menge Mikroplastik in die Umwelt. Forscher suchen nach Methoden, um es von Gewässern - und letztlich unserer Nahrung fernzuhalten.

Von Andrea Hoferichter

An manchen Tagen ist Daniel Venghaus von der Technischen Universität Berlin eine Art Regengott. Dann stellt er an einem Versuchsstand verschieden starke Niederschläge ein, vom Niesel- bis zum Platzregen. Der künstliche Regen prasselt durch meterhohe, mit porösem Gestein bestückte Filterkartuschen, wie sie in ähnlicher Form Schwermetalle aus Abwässern entfernen. Die Forscher haben die Kartuschen mit besonders feinen Sieben bestückt, die mikrometerkleine Plastikteilchen selbst bei Starkregen aufhalten. "Wir testen hier Filter, die an Kläranlagen, an Mischwasserüberläufen und in Gullys Mikroplastik abfangen können", sagt er.

"Unsere Mikroplastikfilter für Gullys sind schon seit einem Jahr in der Berliner Clayallee im Einsatz", berichtet Venghaus. Über diese sechsspurige Straße rollen täglich etwa 30 000 Autos und Lkws und hinterlassen dabei winzige Partikel aus Reifengummi, Asphalt und der Straßenmarkierung. Wie genau die Brösel beschaffen sind und wie viele es gibt, prüfen die Wissenschaftler derzeit. Anschließend wollen sie herausfinden, wo besonders viel Mikroplastik von den Straßen gespült wird. "Jeden Gully mit einem Filter zu versehen, wäre viel zu aufwendig und teuer", erklärt der Forscher. Schließlich müssten die Filter regelmäßig geleert und gewartet werden. Aber an zentralen Stellen könnten sie das Mikroplastik beträchtlich reduzieren.

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Als "Mikroplastik" werden gemeinhin Kunststoffteilchen bezeichnet, die kleiner als fünf Millimeter sind. Millionen Tonnen davon landen jedes Jahr in der Landschaft, in Flüssen, in Seen und enden oft im Meer. Sie kommen nicht nur als Reifenabrieb von der Straße, sondern auch als Fasern oder Granulat aus Klamotten, Kunstrasen, Kosmetikartikeln und der Kunststoffindustrie. Außerdem entstehen sie, wenn größerer Plastikmüll zerfällt. Die Partikel können Schadstoffe sowie Keime tragen und in die Nahrungskette gelangen. Ob sie für Menschen schädlich sind, ist bisher unklar.

Aus einer größeren Kläranlage schwappen täglich 65 Millionen Plastikteilchen in nahe Gewässer

Um den Zustrom zu bremsen, will Venghaus' Team auch an sogenannten Mischwasserüberläufen eingreifen. An diesen schwappt bei heftigen Niederschlägen ein Mix aus Regen- und Abwasser zum Teil unbehandelt in die Umwelt. Das soll Kläranlagen vor Überlastung schützen. "Allein in Berlin strömen rund sieben Millionen Kubikmeter im Jahr in nah gelegene Gewässer, inklusive Mikroplastik", so der Forscher.

Auch für die Klärwerke selbst wollen die Berliner Ingenieure Filter entwickeln. Zwar halten Anlagen mit moderner Technik verschiedenen Studien zufolge mehr als 98 Prozent der einströmenden Kunststoffkrümel zurück. Doch in absoluten Zahlen bleibt auch hier ein beachtlicher Rest. Eine größere Kläranlage in Glasgow beispielsweise, die mehr als 250 000 Kubikmeter Wasser pro Tag reinigt, entlässt noch immer täglich rund 65 Millionen Mikroplastikteilchen in natürliche Gewässer, wie schottische Forscher vor zwei Jahren im Fachblatt Environmental Science and Technology berichteten.

Die wachsende Plastikflut treibt auch Leandra Hamann vom Fraunhofer-Institut Umsicht in Oberhausen um. Auf der Suche nach neuen Filterkonzepten erforscht sie Vorbilder in der Biologie. "Viele Tiere filtern Nahrungsteilchen in entsprechender Größe aus dem Wasser und haben dabei für Ingenieure interessante Strategien entwickelt", sagt sie.

Das Filterorgan des Walhais etwa könne gefiltertes Wasser besonders schnell abfließen lassen, und die Fächerkoralle sei ein Beispiel für einen guten Kompromiss zwischen großer Oberfläche und kleinem Strömungswiderstand. Hamanns Favorit aber ist die Köcherfliegenlarve, die an Flüssen stabile Netze aus spinnenseidenartigen Fäden zwischen Steinen und Stöcken baut, um Nahrung zu fangen. Material und Netzdesign taugen als Vorbild für Mikroplastikfilter. Ein anderes Fraunhofer-Team will nun testen, ob tierische Filterstrategien bei der Entwicklung eines Waschmaschinenfilters helfen könnten.

Unter dem Mikroskop lässt sich der Kunststoff nicht so leicht von anderen Fasern unterscheiden

Waschmaschinen sind eine besonders ergiebige Mikroplastikquelle. Bei jedem Wasch- und Schleudergang lösen sich aus kunststofffaserhaltigen Pullis, T-Shirts und Funktionswäsche Faserstückchen. Fleece-Stoffe sind besonders anfällig. Die Gründer des Surfshops "Langbrett" in Berlin wollen den Fasermix schon in der Trommel abfangen. Dafür haben sie mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne einen Wäschebeutel entwickelt. Der "Guppyfriend" besteht aus einem feinen, festen Kunststoffnetz und setzt laut Hersteller selber keine Fasern frei.

Sicher ist, dass Filter jeder Art das Plastikmüllproblem allenfalls eindämmen können. Wie sehr, ist noch unklar. Es fehlt schlicht das nötige Grundlagenwissen: Wo genau gelangen wie viele Teilchen welcher Art in die Umwelt und was bewirken sie dort? Wie lange bleiben sie, wie schnell zersetzen sie sich und was passiert, wenn aus Mikroteilchen Nanoteilchen werden? Diese Fragen wollen Forscher in 18 Projekten einer aktuellen, mit 35 Millionen Euro geförderten Initiative des Bundesforschungsministeriums beantworten und Lösungsansätze finden, um die Plastikflut einzudämmen beziehungsweise von der Natur fernzuhalten.

Zurzeit gibt es allerdings nicht einmal eine einheitliche Definition des Begriffs Mikroplastik. Die Maximalgröße von fünf Millimetern ist zwar allgemein anerkannt, für eine untere Grenze aber gibt es nicht einmal einen Richtwert. "Das muss sich ändern, sonst lassen sich Studienergebnisse kaum vergleichen", sagt Ulrike Braun von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (Bam). Auch fehlten schnellere Verfahren zur Charakterisierung sowie für die Mengenanalytik. Unter dem Mikroskop lassen sich die Winzlinge aus Plastik nämlich gar nicht so leicht von Baumwollfasern, Sandkörnern oder Pflanzenresten unterscheiden. Oft braucht es Tage oder Wochen, um eine einzige Probe zu analysieren.

Mit einem neuen automatisierten Verfahren, bei dem Proben erhitzt und die dabei entstehenden Gase analysiert werden, können die Bam-Forscher immerhin recht schnell auf die Art der gesammelten Kunststoffe zurückschließen. "Wir schaffen vier Messungen pro Tag", sagt die Chemikerin. Zurzeit prüft ihr Team das Teilchengemenge aus Berliner Kläranlagen und aus Venghaus' Gullyfiltern. Im Sommer sollen erste Ergebnisse vorliegen.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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