Umweltverschmutzung:Die Arktis wird zur Plastik-Deponie

  • Eine Expedition hat große Mengen Plastik in arktischen Gewässern entdeckt.
  • Die Wissenschaftler vermuten, dass die Arktis eine Art Sackgasse für den Müll ist.
  • Nicht nur an der Meeres-Oberfläche, sondern auch in der arktischen Tiefsee ist die Plastikbelastung hoch.
  • Biologen warnen vor einem tiefgehenden Eingriff in die Ökosysteme.

Von Marlene Weiß

Wahrscheinlich hätte man damit rechnen müssen. Nach sechzig Jahren industrieller Plastik-Nutzung sind Kunststoffe überall, im Urwald, an Stränden, im Meer sowieso. Warum hätten sie den Nordpol verschonen sollen? Trotzdem sind die Funde ein Novum, von denen Wissenschaftler um Andrés Cózar von der Universität Cádiz im Fachblatt Science Advances berichten: Erstmals haben sie hohe Konzentrationen von Plastik-Teilchen in einigen Regionen des arktischen Meeres entdeckt - in den vermeintlich so gut wie unberührten, eisigen Gebieten rund um den Nordpol.

Aber Unberührtheit schützt nicht mehr vor Müll im Meer. Tatsächlich wurde der Abfall wohl gar nicht in der Nähe der Grönland- und der Barents-See abgeladen, wo die meisten Partikel gefunden wurden. Dafür sind die angrenzenden Länder zu spärlich besiedelt. Stattdessen vermuten die Wissenschaftler, dass der Kunststoff eine lange Reise hinter sich hat - das jedenfalls lassen die Plastikteile vermuten, die sie aus dem Meer fischten.

Sonne und Reibung haben ihnen sichtlich zugesetzt, und die meisten sind klein, nur ein paar Millimeter groß; vermutlich Überreste größerer Gegenstände, die im Laufe der Zeit zermalmt wurden. "Dieser Prozess dauert Jahre bis Jahrzehnte", sagte Carlos Duarte, einer der Autoren, der Washington Post. "Es gibt also Hinweise, dass das Material das wir hier sehen schon vor Jahrzehnten in den Ozean kam." Wahrscheinlich ist der Müll größtenteils von den Küsten des Atlantiks aus ins Meer gelangt und wurde von Strömungen in die Arktis transportiert. Dort aber sitzt er in der Falle.

Umweltverschmutzung: Im Nordatlantik sammelt sich der Plastikmüll zunächst, um dann Richtung Arktis zu treiben.

Im Nordatlantik sammelt sich der Plastikmüll zunächst, um dann Richtung Arktis zu treiben.

(Foto: Quelle: Andres Cozar)

Denn das arktische Meer ist eine Sackgasse. Vom Nordatlantik her kommt eine Meeresströmung hinein, aber dann versperren Eis und Landmassen den Weg, größere Ausgänge gibt es nicht für den Abfall der Menschheit. Die Forscher befürchten daher, dass ihre Funde erst der Anfang sind: Der Transport per Meeresströmung ist langsam, und der Plastik-Eintrag hat im Vergleich zu früher stark zugenommen. Große Mengen Kunststoff dürften sich demnach bereits auf einer Reise durch die Ozeane befinden, die irgendwann in der Arktis enden wird.

Bislang waren vor allem die fünf großen subtropischen Meeres-Wirbel bekannt als eine Endstation für Plastikmüll. Dort treiben Wind und Wasser das Plastik in großen Strudeln zusammen, die sich ewig im Kreis drehen. Nun kommt wohl die Arktis als ein weiteres Plastik-Lager hinzu, auch wenn der Mechanismus ein anderer ist, der es dort hält, Deponie statt Wirbel.

Umweltverschmutzung: Eine Collage der typischen Plastikteilchen, die in arktischen Gewässern schwimmen

Eine Collage der typischen Plastikteilchen, die in arktischen Gewässern schwimmen

(Foto: Andres Cozar)

In den subtropischen Wirbeln sei die maximale Plastik-Dichte zwar höher als in der Arktis, schreiben die Forscher, im Mittel sind es dort etwa 180 Gramm pro Quadratkilometer. Aus ihren Beobachtungen am Nordpol schätzen sie die Müllverschmutzung in der Arktis nur auf etwa 65 Gramm pro Quadratkilometer. Die Anzahl der Partikel aber dürfte mit rund 50 000 pro Quadratkilometer ähnlich sein, da das Plastik am Nordpol schon feiner gemahlen ist. Das mag nach wenig klingen, es ist trotzdem zu viel. Insgesamt vermuten die Forscher einige Hundert Tonnen Plastik allein im offenen arktischen Ozean, hinzu kommt das ins Eis eingefrorene Plastik. Und der Müll bleibt nicht auf Dauer an der Meeresoberfläche: Die Forscher um Cózar spekulieren, dass sich am Meeresboden noch mehr davon befinden könnte.

In der arktischen Tiefsee ist die Situation ebenfalls schlimm

Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven klingt etwas pikiert, wenn man ihn auf diese Behauptung anspricht. Immerhin untersucht das AWI am Hausgarten-Observatorium in der arktischen Tiefsee seit langem diese Frage. Seine Kolleginnen vom AWI haben in mehreren Studien nachgewiesen, dass die Tiefsee zwischen Grönland und Island immer weiter zumüllt - ziemlich genau unterhalb einer Region also, in der die Forscher um Cózar große Plastikmengen gefunden haben. "Es ist beileibe keine neue Idee, dass Plastik sich in der arktischen Tiefsee ansammeln könnte", sagt Gutow. "Tatsächlich passen die neuen Plastik-Funde an der Oberfläche genau zu dem, was in der Tiefe rund um das Hausgarten-Observatorium beobachtet wurde."

Die Langzeitfolgen des Plastiks im Meer sind schwer abzuschätzen. Sicher ist, dass Vögel oder Schildkröten mit Mägen voller Plastik qualvoll verenden. In welcher Größenordnung das geschieht und was der Müll für die Lebensgemeinschaft im Meer insgesamt bedeutet, weiß man weniger genau. Das gleiche gilt für die Tiefsee: Einerseits dürften manche Organismen dort daran gewöhnt sein, auch mal unverdauliche Dinge zu sich zu nehmen; andererseits handelt es sich um ein über viele Jahrtausende eingespieltes Ökosystem, das ganz und gar nicht auf schnelle Veränderungen vorbereitet ist. Studien zeichnen kein einheitliches Bild; manche Lebewesen scheinen besser mit dem Müll zurecht zu kommen, andere schlechter.

Aber wie könnte so eine Störung keinen Schaden anrichten? "Es ist mit Sicherheit ein starker Eingriff, der auch noch zugleich mit vielen anderen Belastungen auftritt", sagt Gutow. Versauerung, Überdüngung, Erwärmung, und auch noch Müll: Alles zusammen macht es dem Ozean sicher nicht leicht.

Besorgniserregend ist auch, dass ein Großteil des Plastiks im Meer irgendwohin verschwindet, wo es nicht mehr verfolgt werden kann. Rund acht Millionen Tonnen Plastik lädt der Mensch alljährlich im Meer ab, das schätzten Forscher 2015 in Science. Nur ein Bruchteil davon wurde bislang an der Meeresoberfläche nachgewiesen; der Rest muss anderswo sein. Mutmaßlich vor allem in der Tiefsee, irgendwo dort unten in der dunklen Welt, über die der Mensch noch so wenig weiß und die doch längst zu seiner Müllkippe geworden ist.

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