Umweltschutz nach Rio 1992:Mit Kornblumen gegen Cadmium

"Global denken - lokal handeln" war einer der Leitsätze von Rio 1992. Abertausende örtliche Projekte in aller Welt sollten die Nachhaltigkeit voranbringen. Was ist aus all den Agenda-21-Gruppen geworden?

Marlene Weiss

Mit dem Projekt "O'pflanzt is" in München geht es voran, man kann das schon an dem handgemalten Pappschild erkennen, das am Tor zum Brachgelände hängt. "Bald geht es los", stand da einmal, aber das "Bald" ist durchgestrichen. Und durch ein "Jetzt" ersetzt.

Jeder, der will, kann helfen, auf dem verwahrlosten Gelände im Stadtteil Neuhausen Wiesen und Gemüsebeete anzulegen. Oder seine Spende in einen Plastikball mit der Aufschrift "O'bolus" werfen. In einem improvisierten Gewächshaus wachsen Überraschungstomaten, auf Hochbeeten werden Mangold, Kohlrabi, Kürbis und Sellerie gezogen. Das Prinzip ist für die Ewigkeit gedacht, auch wenn das Gelände nur gepachtet ist und im Boden noch alte Bomben vermutet werden.

Es ist eines von Abertausenden Projekten, die Nachhaltigkeit voranbringen sollen; Lokalpolitik im allerbesten Sinn: Global denken - lokal handeln, das war schließlich der Leitsatz der "Lokalen Agenda 21", die eines der wichtigsten Kapitel im Abschlussdokument von Rio 1992 war. Oder einfacher: Wenn wir es nicht machen, macht es keiner. Der Verein "O'pflanzt is" wird zum Teil aus dem Agenda-21-Fördermitteltopf der Stadt München finanziert. 2500 Städte und Kommunen in Deutschland schlossen sich nach der ersten Rio-Konferenz der Lokalen Agenda 21 an, etwa jede fünfte. Damit liegt Deutschland im europäischen Mittelfeld.

Unter dem Dach der Lokalen Agenda 21 tummeln sich Gruppen mit sehr unterschiedlichen Anliegen: Initiativen verteilen Schulobst in Düsseldorf, organisieren Fahrradtaxis in Berlin, kümmern sich um Feuchtgebiete in Petershagen-Eggersdorf, sie beraten Unternehmen in ökologischer Betriebsführung in Hannover oder bringen Kindern den Molchschutz in Stuttgart nahe. Das Lokal-Prinzip funktioniert sogar bei der Energiewende: Mehr als 100 Städte, Kommunen und Regionen haben sich bereits zu 100-Prozent-Regionen erklärt, die vollständig auf erneuerbare Energien umstellen wollen.

In einer Ecke des Münchner Brachgeländes ist Erde aufgeschüttet. Die Gärtner haben sie geschenkt bekommen, sie fiel anderswo bei einem Umbau an. Leider stellte sich heraus, dass sie voller Cadmium ist, Gemüse kann man nicht darauf anbauen.

"Wir nehmen das sportlich", sagt eine Gärtnerin mit einem weißen Kopftuch. Jetzt sollen Klatschmohn, Kornblumen oder Weiden darauf wachsen, Pflanzen, die das Cadmium aufnehmen und die jedes Jahr verbrannt werden. Nach vielen Jahren kann man den Boden dann hoffentlich wieder verwenden: "Hat ja auch einen pädagogischen Wert, so eine Sanierungsfläche."

Ein anderes Gebiet ist markiert, auf dem kargen Boden ist eine Sand- und Felsrasen-Samenmischung ausgesät. Tatsächlich keimen schon die ersten Pflänzchen, tapfer mitten im Kies.

Im Kleinen zeigt sich oft, warum es so schwierig ist, die Welt zu retten. Schon die Zwischenbilanz im Jahr 2002 ergab, dass die Agenda in den meisten Städten nur einige Jahre gewirkt hat; danach ließ das Interesse nach, die Arbeit wurde eingestellt oder blieb Privatgruppen überlassen.

Viele Kommunen stampften nur ein vages Leitbild aus dem Boden und vergaßen es alsbald wieder. Nie hat es klare Ziele oder eine gründliche Überprüfung gegeben. Und viele Projekte betreiben noch immer nur Aufklärung, statt mit der Umsetzung zu beginnen. Aber in vielen Städten sind auch durch die Lokale Agenda Bürgerstiftungen entstanden, die Projekte weiter vorantreiben.

Auch in München gibt es eine solche Stiftung, die jedes Jahr knapp 34.000 Euro Agenda-21-Geld der Stadt München verteilt. "Mit der Zeit ist das Öko-Thema etwas in den Hintergrund getreten, wir machen jetzt auch immer mehr Bildungs- und Musikprojekte", sagt Petra Birnbaum, Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung. "Aber wir leben die Agenda 21, und wir tun etwas Gutes für die Stadt."

Bei "O'pflanzt is" kommen und gehen die Neugierigen, nur wenige bleiben. Eine der festen Helferinnen ist Linn, sie hat hellblonde Haare, trägt ein grünes Kleid und blinzelt Besuchern in der Samstagmittagssonne freundlich entgegen. "Ich arbeite gerne mit den Händen in der Erde", sagt sie, "ein Garten in der Stadt ist eine tolle Sache."

Aber hinter dem Projekt stehe mehr: der Bio-Gedanke, Recycling, eine andere Perspektive auf die Stadt. Auf einer Tafel im selbstgebauten Unterstand steht der Gießplan. Gegossen wird mit Regenwasser, einen Wasseranschluss hat der Garten nicht. Am Anfang war es so: Immer, wenn es nicht regnete, mussten alle Wasser mitbringen.

Trotz dieser Widrigkeiten ist die Fläche, die vor wenigen Monaten noch brach lag, inzwischen grün und lebendig. Das ist die eigentliche Stärke der Lokalen Agenda: Wenn genug Leute es wollen, dann passiert immerhin etwas - auch wenn es immer nur ein bisschen ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: