Umweltschutz:Moderner Ablasshandel

Kaufe Bäume, fliege weit: Wie man mit einer kleinen Spende sein Gewissen und das Weltklima rettet

Petra Steinberger

Eine Menge kluger Leute sind in den vergangenen Tagen nach Nairobi gereist, um auf dem Weltklimagipfel über die Zukunft der Erde zu verhandeln. Sie sind aus China gekommen und aus Deutschland, aus Argentinien und Indien. Und sie sind natürlich mit dem Flugzeug gereist - vielleicht mit einem etwas schlechten Gewissen, die meisten von ihnen wissen genau, dass Fliegen ganz und gar nicht ökologisch korrekt ist. Denn die Emissionen des Flugverkehrs sind eine in Prozenten zwar noch relativ geringe, aber rasant steigende Quelle für CO2. Und damit für die Klimaerwärmung.

Eine weit größere Masse ebenso kluger Menschen reist jedes Jahr weit weg in den Urlaub. Viele von ihnen achten inzwischen darauf, dass ökologisch verträglich ist, was sie im Urlaub anstellen. Also fliegen sie nach Costa Rica, um den Urwald unter fachkundiger Führung zu entdecken. Sie fliegen in nachhaltige Hotels nach Bali. Sie helfen beim Schulbau in El Salvador, beim Brunnenbau in Äthiopien - nachdem sie dorthin geflogen sind. Aber auf alle Fälle fliegen sie. Eine einzige dieser Flugreisen verursacht, wie man es auch dreht und wendet, eine ungeheure Menge CO2, die die Einsparung aus sämtlichen häuslichen Energiesparlampen und Sonnenkollektoren zunichte macht - dafür aber umso mehr schlechtes Gewissen produziert.

Wärme kostet

Doch ihnen kann geholfen werden. Das zumindest versprechen immer mehr Anbieter so genannter Offset-Schemata. Diese Anbieter können gemeinnützig oder gewinnorientiert sein, stets verkaufen sie Kredite, mit denen man Kohlenstoffausstoß ausgleichen und im besten Fall ganz neutralisieren kann. Wer also über Weihnachten die Wärme sucht, geht auf eine der entsprechenden Internetseiten und gibt seine Daten in einen so genannten Emissionsrechner ein. Der berechnet den CO2-Verbrauch und gibt gleich an, wie viel man zahlen könnte, um diesen Verbrauch zu neutralisieren.

Da lernt man dann beispielsweise bei der gemeinnützigen Bonner Organisation www.atmosfair.de, dass für einen Hin- und Rückflug von München nach Teneriffa rund 1,7 Tonnen Kohlendioxid berechnet werden, dass, im Vergleich, ein Mittelklassewagen in 12 000 Kilometern, also für seinen durchschnittlichen Jahresverbrauch, rund zwei Tonnen Kohlendioxid ausstößt und dass das "klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen" bei drei Tonnen CO2 liegt. Das ist weniger als zweimal Teneriffa - und wer einmal nach Bangkok (6,34 Tonnen CO2) oder Bali (9,98 Tonnen CO2) fliegt, hat damit gleich mehr als zwei respektive drei Jahre seines Budgets verbraucht.

Stark schwankende Preise

Die Berechnungsmaßstäbe variieren von Anbieter zu Anbieter, abhängig davon, welche Richtwerte jeder zugrundegelegt hat - den Kohlendioxidausstoß allein, den zusätzlichen Schaden, den Kerosin und Kondensstreifen in der Flughöhe anrichten, die bessere oder geringere Auslastung von Flugzeugen und dergleichen mehr. Bei der britischen Organisation Climate Care beispielsweise wird ein Flug von München nach Bangkok und zurück nur mit 2,52 Tonnen berechnet - und soll 28 Euro kosten. Atmosfair wiederum berechnet für die Bangkok-Reise 127 Euro, um den CO2-Verbrauch zu neutralisieren.

Mit der Spende werden dann verschiedene Klimaschutzprojekte gefördert - sei es die Solaranlage, die den rußenden Dieselbrenner eines indischen Bauern ersetzt, sei es ein Zuschuss für eine Bioethanol-Plantage oder eine Windkraftfarm. Und oft werden einfach Bäume gepflanzt, Bäume, die irgendwann einmal soviel CO2 vernichten sollen wie man selbst gerade in die Luft geblasen hat. Zwar weiß man gar nicht genau, wie viel Kohlendioxid wie viel Bäume eigentlich in welcher Zeit vernichten, und man kann auch gar nicht sicher sein, ob sie nicht in ein paar Jahren wieder abgeholzt werden, lange bevor der erhoffte Neutralisierungseffekt eingetreten ist.

Moderner Ablasshandel

Doch das, könne man meinen, sind Nebensächlichkeiten, später noch genauer zu klären. Wichtig sei zunächst, dass man per Überweisung "karbonneutral" handeln kann, Betonung auf Handeln: "Carbon Offsets", das ist der kleine Emissionshandel des privaten Bürgers. Carbon Offsets bieten inzwischen auch Reiseveranstalter selbst an, ähnliche Projekte gibt es für Autofahrer: Die Ölfirma BP hat im August in Großbritannien ihre Initiative "Target Neutral" ins Leben gerufen, dessen explizites Ziel die "Karbonneutralität" der britischen Autofahrer ist.

Umweltschutz: Der CO2-Ausstoß während eines Ferienfluges macht jedes Energiesparen zuhause zunichte.

Der CO2-Ausstoß während eines Ferienfluges macht jedes Energiesparen zuhause zunichte.

(Foto: Foto: AP)

Es klingt ja so einfach: "Ohne irgendwelche sozialen oder politischen Veränderungen", lästert der britische Umweltaktivist George Monbiot, "und mit nur geringen Kosten für die Konsumenten ist das Problem des Klimawandels gelöst. Man zahlt ein paar Euro und kann wieder ruhig schlafen."

Praxis aus dem Mittelalter

Monbiot und andere Kritiker reden dagegen von einer modernen Form des Ablasshandels. Man begeht eine Untat, die jedoch vergeben wird, sobald man einen vorher festgelegten Preis an eine vorher bestimmte Organisation bezahlt. Vor ein paar Jahrhunderten zahlte ein Mörder ein paar Goldtaler an die Priester und alles war gut. Heute zahlt ein Tourist ein paar Euro an die privaten Emissionshändler, und alles wird gut. Damals kam Luther. Und heute?

Denn so einfach, meinen die Kritiker, funktioniere der moderne Ablasshandel eben nicht. Abgesehen von der Grundsatzdebatte, ob Emissionshandel an sich überhaupt sinnvoll ist, was radikale Umweltschützer bezweifeln, stellt sich die Frage nach der Berechenbarkeit. Eine Tonne Kohlendioxid, die heute produziert wird, so meint beispielsweise Monbiot, wiege weitaus schwerer als eine vielleicht eingesparte Tonne CO2 irgendwann in der Zukunft. Und die meisten Flug- und Kraftfahrzeugverkehrsemissionen verursacht bisher nun einmal der reiche Norden der Erde. Selbst wenn sämtliche armen indischen Bauern Solaranlagen besäßen, würde das kaum etwas ändern - produzieren sie ja insgesamt nur einen Bruchteil des Kohlendioxids, das der Norden in die Atmosphäre bringt.

Das Ziel wäre also eigentlich die Vermeidung oder Reduzierung des Austoßes von CO2 da, wo es produziert wird. Das würde bedeuten, dass beispielsweise Flüge - letztlich - reduziert werden müssten, solange es keine akzeptable Alternative zu Kerosin gibt (und die scheint trotz der laut verkündeten Initiative des Virgin-Gründers Richard Branson noch weit entfernt zu sein). Doch das will kein Reiseveranstalter und keine Ölfirma. Statt dessen wird politisches Handeln durch "besseren", da grünen Konsum ersetzt.

Freiwillige Treibstoffsteuer

Offset-Schemata beim Flugverkehr sind übrigens nichts anderes als eine Art freiwillige Treibstoffsteuer. Legt man einen Preis von zwei Euro (das entspricht vier Litern) pro 100 Kilometer zugrunde, würde die Bangkok-Reise 178 Euro teurer werden. Denn der Flugverkehr zahlt weder Mineralöl- noch Mehrwertsteuern, und hierzulande auch keine Ökosteuer. Noch. Die Industrie will die Besteuerung, die immer wieder diskutiert wird, unbedingt vermeiden.

Die Verantwortungsvollen unter den Offset-Anbieter wie Atmosfair oder Carbonfund weisen zumindest darauf hin: Offset ist gut. Vermeiden ist besser. Aber ein gutes Gewissen machen sie dennoch am Strand.

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