Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz im Ruhrgebiet:Das Blaue vom Himmel

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Als es noch Industrie gab zwischen Duisburg und Dortmund, konnte man vor Smog kaum die Hand vor Augen sehen. Vor fünfzig Jahren versprach Willy Brandt einen sauberen Ruhrpott - jetzt ist sein Versprechen in Erfüllung gegangen.

Bernd Dörries

Willy Brandt hatte für jeden etwas zu bieten, so wie das in Wahlkämpfen üblich ist. Den Hausfrauen versprach er die Abschaffung der Zündholzsteuer, den Rentnern subventionierte Fernsehgeräte und den Menschen im Ruhrgebiet das Blaue vom Himmel. "Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden", sagte Brandt am 28. April 1961 in Bonn bei der Vorstellung seines Programms für die Bundestagswahl.

"Reine Luft, reines Wasser und weniger Lärm dürfen keine papiernen Forderungen bleiben", sagte Brandt. Die Wahl gewann er nicht, aber fünfzig Jahre später muss man zumindest sagen, dass sein Versprechen in Erfüllung gegangen ist. Dem Ruhrgebiet geht es gut.

"Brandt war seiner Zeit weit voraus", sagt Jochen Flasbarth, der Präsident des Umweltbundesamtes. Denn er habe über Umweltschutz geredet, als es den Begriff noch gar nicht gab. Flasbarth ist in Duisburg-Rheinhausen aufgewachsen, dem Pompeji der Nachkriegszeit, mit leuchtenden Hochöfen und Ascheregen vom Himmel. "Wir konnten die Wäsche kaum draußen aufhängen, weil es so dreckig war", sagt Flasbarth. Aber beschwert habe sich kaum einer, man wollte auch in all dem Dreck kein Nestbeschmutzer sein. Die Industrie hatte Wohlstand für viele gebracht. Und wenn doch jemand aufbegehrte, dann half es nicht viel.

Umweltweltschutz hieß damals, Schornsteine höher zu bauen

Als die Schrebergärtner in Duisburg-Neuenkamp an einem Aprilmorgen 1961 in ihre Gärten kamen, war alles schwarz und tot. Über Nacht hatte es Schwefeldioxid geregnet, das Tausende Obstbäume verbrannte. Die Kleingärtner stellten Strafanzeige gegen Unbekannt, die Ermittlungen verliefen im Sande, weil die Justiz damals keine große Lust hatte, gegen Umweltsünder vorzugehen - und weil sie auch wenig machen konnte.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch mussten die Menschen das an Gift und Dreck in ihrer Umgebung hinnehmen, was nach den "örtlichen Verhältnissen" üblich war. Und die verheerende Umweltverschmutzung war üblich im Ruhrgebiet. "Wer zu lang dort lebt, bekommt beim Atmen leichte Krämpfe. Aber wer lebt dort schon lang?", sang der Kabarettist Georg Kreisler über Gelsenkirchen.

Im Jahr 1961 gab es 93 Kraftwerke und 82 Hochöfen im Ruhrgebiet - 1,5 Millionen Tonnen Staub, Asche, Ruß und vier Millionen Tonnen Schwefeldioxid blies die Industrie in die Luft. Umweltschutz hieß damals höchstens, die Schornsteine höher zu bauen. Der Dreck kam trotzdem runter. Kinder bekamen Leukämie und Rachitis, die Älteren Lungenkrebs.

In den sechziger Jahren wurde es manchmal gar nicht hell in den Städten, bei Smog konnte man nur fünf Meter sehen. Das Ruhrgebiet war schwarz - auch politisch gesehen. Der CDU-Ministerpräsident, aufgeschreckt durch Brandts Himmelsversprechen, reiste in die US-Stahlregion nach Pittsburgh, wo er den blauen Himmel sehen konnte; und die Gesetze, die ihn ermöglichten.

Daheim verabschiedete der Düsseldorfer Landtag 1962 das erste Immissionsschutzgesetz. Die Fabriken bauten Filter ein, die Luft wurde besser, die Schwefeldioxid-Konzentration sank seit 1964 um 97 Prozent - weil die Gesetze schärfer wurden, und weil nicht mehr die Bäume starben, dafür die Zechen und Hochöfen. Die Halden aus taubem Gestein wurden grüne Hügel, auf dem Gelände der Hermannshütte in Dortmund fluten sie gerade einen See von 24 Hektar. "Das Ruhrgebiet ist grüner als man denkt", ist heute in der Region ein Allgemeinplatz geworden - über den sich auch sehr schön wandern lässt.

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Quelle:
SZ vom 28.04.2011
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