Umweltschutz:Goldrausch in der Tiefsee

Metalle, Erze und Öl: Mit Wildwest-Methoden reißen sich Industrienationen um Rohstoffe am Meeresgrund. Umweltschützer sind alarmiert.

Sarah Zierul

Manchen Schätzen sieht man ihren Wert nicht an. In einer Lagerhalle am Stadtrand Hannovers beugt sich Michael Wiedicke über eine große, helle Plastikkiste. In Tüten verpackt liegen darin schwarze Klumpen, die aussehen wie schrumpelig-faule Kartoffeln.

Umweltschutz: Gigantische Ölförderschiffe saugen den Meeresgrund vor Angola aus - mit gravierenden Folgen für die Umwelt.

Gigantische Ölförderschiffe saugen den Meeresgrund vor Angola aus - mit gravierenden Folgen für die Umwelt.

(Foto: Foto: AFP)

Es sind so genannte Manganknollen aus 5000 Metern Tiefe im Pazifik. Für sie hat der Geologe der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) soeben acht Wochen auf einem Forschungsschiff zugebracht.

Für sie hat er den Tropensturm Polo über sich ergehen lassen. Für sie hat er tagein tagaus schweres Gerät im wogenden Pazifik versenkt - und gemeinsam mit seinen Kollegen 400 Kilogramm Manganknollen an Bord geholt. Nun will er sie in Hannover genau untersuchen.

Es war die erste Expedition in ein Gebiet, das Wiedicke scherzhaft "Deutschlands 17. Bundesland" nennt - dabei liegt es 15.000 Kilometer von Berlin entfernt. Kaum jemand weiß, dass Deutschland seit 2006 die Rechte an einem riesigen Areal des Meeresbodens im Pazifik besitzt.

Gekauft im Auftrag der Bundesregierung bei der Internationalen Seebodenbehörde in Jamaika, die Schürfrechte in internationalen Gewässern vergeben darf. Das deutsche Gebiet umfasst 75.000 Quadratkilometer - eine Fläche so groß wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen.

16 Anker halten ein Schiff

"Die Knollen stecken voller wertvoller Buntmetalle. Vor allem Kupfer, Nickel und Kobalt enthalten sie in viel höheren Konzentrationen als wir sie aus Erzminen an Land kennen", schwärmt Wiedicke.

Er zeigt neue Fotos aus dem Pazifik: Dicht an dicht liegen massenhaft Manganknollen auf dem Meeresboden, über Hunderte von Kilometern. "So sieht es zwischen Hawaii und Mexiko fast überall aus, auf einer Fläche so groß wie die USA", sagt der Geologe.

Nach Wiedickes Berechnungen könnten die Knollen den weltweiten Bedarf an Buntmetallen einhundert Jahre lang decken. Ihren Wert schätzt er auf bis zu 400 Dollar pro Tonne. Auf dem Tiefseeboden im Pazifik liegen Milliarden.

Deutschland ist nicht das einzige Land, das es auf die Manganknollen abgesehen hat. In seinem Büro zeigt Wiedicke eine Karte des Knollengebiets. Sie sieht aus wie ein buntes Schachbrett: Mitten im Pazifik liegt der deutsche Abschnitt, olivgrün gefärbt.

Direkt daneben: Koreas Lizenzgebiet in rot, das eines osteuropäischen Staatenverbunds in gelb. Auch Russland, China, Japan und Frankreich haben hier ihre Claims abgesteckt, nur durch Linealstriche voneinander entfernt. Immer mehr Staaten entwickeln derzeit Techniken, um die Manganknollen zu heben. Am Meeresboden des Pazifiks liegen die Rohstoffe der Zukunft.

Diese Zukunft hat in Angola bereits begonnen. Hier fliegen Helikopter täglich von Angolas Hauptstadt Luanda aus weit vor die Westküste Afrikas. Sie setzen die Mitarbeiter des französischen Erdölkonzerns Total auf zwei gigantischen Ölförderschiffen ab. Mit ihnen erobert der viertgrößte Erdölkonzern der Welt schon heute die Tiefsee.

Die sogenannten "Floating Production, Storage and Offloading Vessels" (FPSO) sind groß wie drei Bohrinseln - und kosten mehrere Milliarden Dollar. 16 Anker halten eine der schwimmenden Fabriken, während das schwarze Gold der Tiefsee in ihre Bäuche strömt. Bis auf 1400 Meter Tiefe reichen die Ölleitungen von den Förderschiffen hinab, von dort aus gehen die Bohrungen weitere 1000 Meter tief in den Meeresboden.

Noch vor zehn Jahren hatte das niemand für möglich gehalten. Die Öl-Förderung aus großen Wassertiefen galt als zu teuer und zu kompliziert. Heute pumpt Total 70 Millionen Liter Öl aus der Tiefsee vor Angola. Tag für Tag. Wichtigste Abnehmer sind China und die USA. Amerika bezieht bereits mehr Öl aus Angola als aus Kuwait.

Goldrausch in der Tiefsee

Aus einem der ärmsten Länder Afrikas ist das neue Dorado der Erdölindustrie geworden. Alle großen Öl-Konzerne lassen sich inzwischen in Luanda nieder. Während Experten warnen, dass die Förderung an Land zur Neige geht, wurden allein vor der Westküste Afrikas bisher zehn Prozent der weltweit bekannten Ölreserven entdeckt. Und je mehr gesucht wird, desto mehr wird gefunden.

Umweltschutz: Auch der Abbau von erzhaltigen Manganknollen im großen Stil stellt eine Umweltgefahr dar.

Auch der Abbau von erzhaltigen Manganknollen im großen Stil stellt eine Umweltgefahr dar.

(Foto: Foto: AP/BGR Hannover)

Krisenherde unter Wasser

Ob Erdöl, Manganknollen oder sogar Gold - weltweit stoßen Forscher und Konzerne in der Tiefsee auf immer neue Lagerstätten. So auch vor Neuseeland. Das deutsche Forschungsschiff Sonne war dort im August 2007 drei Wochen lang unterwegs.

Ein Team rund um Peter Herzig, den eigens angereisten Leiter des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften IFM-Geomar, testete vor Neuseeland erstmals sein neuestes Forschungsgerät. Der Tauchroboter Kiel 6000, groß wie ein PKW und knallgelb gestrichen, war über ein sechs Kilometer langes Kabel mit dem Mutterschiff verbunden. Vom Kontrollraum der Sonne aus lenkten die Forscher das Hightech-Gerät ferngesteuert in die dunkle Tiefsee und prüften, ob seine Videokameras, Lampen und Greifarme einwandfrei funktionierten.

In 1600 Metern Tiefe erreichten sie ihr Ziel. Auf den Monitoren tauchten so genannte Schwarze Raucher auf, heiße Quellen am Meeresboden. Bis zu 400 Grad Celsius ist das Wasser warm, das diese meterhohen Schlote in die kalte Tiefsee speien. In dem Wasser haben sich Gold, Silber, Kupfer und Zink aus der Erdkruste gelöst. Mineralien, die sich nach und nach am Meeresboden absetzen, in meterdicken Schichten.

"Wir müssen hier noch die Gehalte der Erze bestimmen. Aber vom Prinzip her ist das schon ein sehr attraktives Gebiet", sagt Peter Herzig. Er ist weltweit anerkannt als Experte für die rätselhaften unterseeischen Quellen. Attraktiv ist das Gebiet vor allem für die Bergbauindustrie.

Neuseeland hat als eines der ersten Länder der Welt eine Erkundungslizenz für die Gold- und Kupferablagerungen am Meeresgrund verkauft - an das britisch-australische Unternehmen Neptune Minerals. Sie wollen die neuen Erzminen von 2010 an abbauen. Ein Projekt mit Signalwirkung: Schwarze Raucher gibt es auch vor den Küsten anderer Staaten, von Papua-Neuguinea bis Italien.

Dabei ist an vielen Stellen der Erde nicht klar, wem die Schätze der Tiefsee gehören. Zuletzt zeigte sich das am Nordpol. Im Sommer 2007 postierte dort ein russisches U-Boot die Nationalflagge am Meeresboden. Die Aktion sorgte weltweit für Aufsehen.

Geologen vermuten auch unter dem Eis der Arktis enorme Mengen Erdöl und Gas. Seither streitet Russland mit Norwegen, Dänemark, Kanada und den USA darüber, wem der Meeresboden der Arktis gehört - und wer über die dort enthaltenen Rohstoffe in Zukunft verfügen darf. Unter Wasser spielten Staatsgrenzen jahrhundertelang keine Rolle. Doch seit die Tiefsee technisch erschließbar wird, entbrennen neue Konflikte.

Auch vor Angola droht Streit. Innerhalb der 200-Seemeilen-Zone - einer Wirtschaftszone vor der Küste, die jedem Küstenstaat zusteht - verkauft Angolas Regierung die begehrten Tiefsee-Lizenzen für bis zu eine Milliarde US-Dollar an die Ölkonzerne. Kein Wunder also, dass der Staat seine Wirtschaftszone nun auf 350 Seemeilen erweitern will.

Goldrausch in der Tiefsee

Die beiden Nachbarstaaten Namibia und Kongo protestieren jedoch. Am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg rechnen die Völkerrechtler für die Zukunft mit zahlreichen ähnlichen Konflikten. Schon jetzt seien die Grenzverläufe auf See an rund 100 Orten weltweit umstritten. Der Streit eskaliert, wenn dort Rohstoffe gefunden werden.

Ein Gebiet ohne Regeln

Biologen und Umweltschützer verfolgen den Goldrausch in der Tiefsee mit Sorge. Im Labor des französischen Meeresforschungsinstituts Ifremer in Brest, wenige hundert Meter von den steilen Klippen der Bretagneküste entfernt, untersuchen sie Proben aus allen Meeren der Welt. Sie kommen mit ihrer Arbeit kaum hinterher:

Jede Expedition in die Tiefsee fördert Hunderte Lebewesen zutage, die die Forscher nie zuvor gesehen haben. Bis zu 10 Millionen Tierarten vermuten sie in den Ozeanen. Und gerade mal zwei Prozent davon haben bisher überhaupt einen Namen. Joelle Galéron und Lenaick Menot werten Videoaufnahmen aus, die sie im Pazifik gemacht haben - genau dort, wo die deutsche Regierung Manganknollen abbauen lassen will.

Über den Monitor schwimmen knallbunte Seegurken, Anemonen biegen sich in der Strömung, und fremdartige Krebse verschwinden inmitten der Knollen. Doch dann stoßen die Biologen auf Spuren im Meeresboden, die wirken, als sei erst gestern dort ein Bagger durchgefahren.

Es sind die Hinterlassenschaften eines Abbautests von vor 30 Jahren. Damals förderte ein Firmen-Konsortium, dem auch die deutsche Preussag angehörte, 800 Tonnen Manganknollen an Bord. Doch bald darauf brachen die Rohstoffpreise ein und der teure Tiefseebergbau wurde gestoppt.

Heute sind die Pläne aktueller denn je. Die Biologen haben Proben genommen aus dem Meeresboden unter den Knollen. Und sind alarmiert. "Dort leben Tiere, die nur einige Millionstel Meter klein sind", staunt Joelle Galéron. "Aber genau sie machen die ungeheuer reiche Artenvielfalt im Meeresboden aus."

Ihr Kollege Lenaick Menot erläutert, dass ein Abbau über dem Meeresboden eine gigantische Staubwolke aufwirbeln könnte, jahrzehntelang. Er bezweifelt, dass sich die Lebensgemeinschaften der Tiefsee von einem solchen Eingriff erholen würden - es sei denn, man ließe große Flächen zwischen den Abbaugebieten unberührt.

Auch vor Angola waren die französischen Biologen unterwegs, zum Teil finanziert von Total. Ganz in der Nähe der Ölförderanlagen haben sie sensible Ökosysteme entdeckt: Kaltwasserkorallen sowie zahllose unbekannte Lebewesen am Meeresboden.

Welche Folgen eine Ölpest in einer solchen Umgebung hätte, ist noch völlig unklar. Für dringend notwendige, umfassende Umweltstudien fehlt den Forschern das Geld. Verbindliche Umweltregeln gibt es in der Tiefsee bisher fast nirgendwo, auch Schutzgebiete fehlen. Der Meeresboden droht zum Pionierland wie einst der Wilde Westen zu werden - ein Gebiet ohne Regeln und Kontrollen, in dem sich jeder greift, was er kann.

Am Montag, 26. Januar, um 22 Uhr zeigt das WDR den Film der Autorin "Wem gehört das Meer? Wettlauf um die letzten Rohstoffe".

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