Umweltschutz:Brasilien holzt wieder ab

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Die Caatinga im Nordosten Brasiliens sieht im trockenen Winter aus wie eine Wüstenlandschaft. Doch sobald es regnet, wird alles grün. (Foto: Otávio Nogueira)

An allen Ecken und Enden weicht die brasilianische Regierung den Umweltschutz auf. Das trifft nicht nur das Amazonasgebiet, sondern auch unbekanntere, aber genauso schützenswerte Regionen.

Von Christopher Schrader

Dieses Grün! Dutzende Nuancen vom zarten Lind- bis zum satten Moosgrün drängen ins Auge. Sie leuchten von Halmen und Blättern in allen Formen und Größen: vom fingernagelgroßen, kreisrunden Laub eines dornigen Buschs über die fächerförmigen Wedel eines jungen Baums bis zu den armlangen, mit Stacheln bewehrten Blättern einer Bromelie. Überall funkeln Tropfen, weil der Regen eben erst aufgehört hat und die brasilianische Sonne nun wieder auf die Landschaft brennt.

"Vor Kurzem war das hier alles noch silber und grau. Doch dann gab es das erste Mal seit fünf Jahren wieder eine richtige Regenzeit. Und jetzt sehen Sie nur", sagt José Alves. Der Biologieprofessor von der Universität Vale do São Francisco in Petrolina steht auf einem Felsrücken neben einer alten Passstraße im Nationalpark Serra das Confusões im brasilianischen Bundesstaat Piauí. Unter der Krempe seines Lederhuts blickt er über die Caatinga, die jetzt wieder sattgrüne Landschaft im Nordosten Brasiliens mit ihrem typischen Bewuchs.

Das Budget des Umweltministeriums wurde um 40 Prozent gekürzt

Der Name stammt aus der Sprache der Tupi-Ureinwohner und bedeutet "Weißer Wald"; das Biom überspannt 850 000 Quadratkilometer, fast die zweieinhalbfache Fläche Deutschlands. Sie gehört mit der sich westlich anschließenden Cerrado-Savanne zu den weniger bekannten Regionen Brasiliens. Der Nationalpark Serra das Confusões ist das größte Schutzgebiet des Caatinga-Ökosystems: gut 8000 weitgehend unzugängliche Quadratkilometer.

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Auf diesem Felsrücken könnte man fast glauben, dass Brasilien seine Versprechen an die Welt einhält: Biodiversität und Klima zu schützen, indem es die Entwaldung stoppt und ausgelaugtes Land aufforstet. Dafür ist die Nation vor wenigen Jahren von Umweltschützern gefeiert worden. Die brasilianische Zusage, 120 000 Quadratkilometer, also mehr als die Fläche Bayerns und Baden-Württembergs, mit neuem Wald zu überziehen, bejubelte unter anderem das World Resources Institute. Doch diese Politik gehört zu einer Zeit, bevor das Parlament in Brasília die gewählte Präsidentin, Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei, im August 2016 aus dem Amt jagte. Es übergab ihrem konservativen Stellvertreter Michel Temer die Regierungsgewalt, und so gelangte die in Abgeordnetenkammer und Senat stark vertretene Agrarlobby der "Ruralistas" zurück an die Macht.

"Seither verlieren wir als politische Beobachter fast den Überblick, wo die Übergangsregierung überall Umweltgesetze aufweicht, Schutzgebiete einschränkt und zuständige Behörden schwächt", sagt Maureen Santos vom Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro. "Es dürften 30 neue Gesetze und Dekrete in knapp zwei Jahren gewesen sein." Gerade die armen Bundesstaaten des Nordostens, darunter Piauí, zögen Investoren und Kleinbauern an. "Die Staaten sehen das meist als gute Sache an", sagt Santos - es erhöht aber den Druck auf unberührte Flächen.

Angefangen hatte das Ganze 2012, als das Parlament gegen das Veto der Präsidentin ein neues Waldgesetz durchsetzte. Es enthielt unter anderem eine Amnestie für die illegale Aneignung gerodeter Flächen, wenn der Landraub, in Brasilien "grilagem" genannt, bis 2008 erfolgt war. Übergangspräsident Temer und das Parlament setzten 2017 noch einen drauf. Erst per Dekret, dann per Gesetz wurde die Frist für die Amnestie verlängert, nun war auch "grilagem" bis 2011 abgedeckt. Außerdem wurde die maximale Hektarzahl des angeeigneten Flurstücks erhöht. Beides verstärke den Eindruck, Landraub werde am Ende stets straflos bleiben, beklagt eine Studie der Böll-Stiftung.

Gleichzeitig kürzte die Regierung Temer den Etat wichtiger Behörden. Das Umweltministerium musste auf mehr als 40 Prozent seines Budgets verzichten. Da es trotzdem die Gehälter seiner Angestellten zahlen muss, reduzierten sich vor allem die Mittel für Schutzprogramme. Dem Ministerium ist auch die chronisch unterbesetzte Behörde ICM-Bio unterstellt, die die Nationalparks verwaltet und schützen soll.

Seit 2012 schreibt das Gesetz auch den Anteil von Flächen vor, den Eigentümer naturbelassen erhalten mussten. In der Region Amazonas liegt diese Quote bei bis zu 80 Prozent, zudem gilt dort ein Moratorium gegen den Anbau von Soja. "Brasilien hat gute Arbeit beim Schutz des Amazonas-Regenwaldes geleistet, aber die anderen Biome haben den Kürzeren gezogen", fasste es Marcia Macedo vom Woods Hole Research Center in Massachusetts vor einiger Zeit zusammen. Allerdings zeigen neueste Zahlen eine Zunahme der Abholzung am Amazonas; die norwegische Regierung hat Brasilien bereits den Stopp von Entwicklungshilfegeld angedroht.

In den anderen Regionen müssen Besitzer allerdings nur 20 Prozent ihres Landes erhalten. Unter dem größtem Druck steht seit Langem die Cerrado-Savanne, die sich von der Grenze zu Paraguay im Südwesten über die Hauptstadt Brasília bis in den Nordosten erstreckt. Nach Schätzung des brasilianischen Umweltministeriums war 2009 bereits die Hälfte des Ökosystems durch Landwirtschaft, Viehhaltung und Bergwerke verloren gegangen - immerhin eine Million Quadratkilometer. Das Waldgesetz gab 2012 weitere 400 000 Quadratkilometer für die Entwaldung frei. Besonders im Fokus steht zurzeit die Matopiba genannte Grenzregion der Staaten Maranhão, Tocantins, Piauí und Bahia, die die brasilianische Regierung explizit als Entwicklungszone ausgewiesen hat. Mehr als die Hälfte der 400 000 Quadratkilometer freigegebener Cerrado-Naturfläche entfällt auf die vier Bundesstaaten.

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Dieses Schicksal droht auch der benachbarten Caatinga. Das Waldgesetz gibt hier 240 000 Quadratkilometer frei; 110 000 davon könnte die Landschaft bis 2050 verlieren, stellte vor drei Jahren eine Modellstudie unter Beteiligung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen fest. Wie im benachbarten Cerrado wäre dann etwa die Hälfte des ursprünglichen Lebensraums zerstört. Diese Entwicklung kritisiert der Biologieprofessor José Alves heftig. "Wir wissen sehr wenig darüber, wie dieses Biom überhaupt funktioniert. Aber wir haben schon gelernt, dass es sehr empfindlich ist."

Alves' Versuche, sich gegen den Verlust der Naturflächen zu stemmen, werden von Budgetkürzungen aus Brasília durchkreuzt. Ursprünglich sollte es acht Zentren in der Region geben, erzählt er, die die Aufforstung erkunden. Sie haben seit 2013 ihre Finanzierung praktisch komplett verloren. Sein Institut ist von einst 30 auf fünf Mitarbeiter zusammengeschrumpft. Der Professor formt Zeige- und Mittelfinger zum Dolch und sticht sich in die Brust. "Es trifft mich ins Herz." Piauís Gouverneur hingegen, Wellington Dias von der Arbeiterpartei, verbreitet Optimismus. Er will die Natur in seinem Bundesstaat mit der Aktion "ativos verdes" (die grünen Aktivposten) schützen. Die brasilianischen Gesetze sehen ein Handelssystem für den Erhalt der Vegetation vor: Wer auf seinem Land die 20-prozentige Naturquote nicht erfüllt, kann ein Zertifikat von jemandem kaufen, der auf seinem Grund entsprechend mehr vom Biom erhält.

Für einen besonders armen, noch recht grünen Bundesstaat wie Piauí mag darin eine Chance liegen. Doch dass dieses System nicht überall greift, zeigt sich an der Landstraße PI-236 zwischen Oeiras, der ehemaligen Hauptstadt des Staates aus der Kolonialzeit, und dem Ort Regeneração. Der Bus klettert hier zunächst auf ein Hochplateau, auf beiden Seiten der gewundenen Fahrbahn liegt undurchdringlicher Caatinga-Wald. Oben führt die Straße kilometerweit schnurgerade über die Ebene, und die Felder beginnen. An einer Stelle, so hatte es der ortskundige Führer erzählt, habe der Besitzer einer Farm sein Land komplett gerodet und statt dessen Eukalpytus-Bäume angepflanzt. Die Plantage ist bald gefunden, schlanke Stämme in lichten Reihen, soweit das Auge reicht. Doch links und rechts des künstlichen Waldes steht mitnichten der natürliche: Dort erstrecken sich Sojafelder. Irgendwann in den vergangenen 18 Monaten, sagt der Führer erschrocken, müssen auch diese Flächen entwaldet worden sein.

Gouverneur Dias, auf das Beispiel angesprochen, erklärt lediglich, die Gesetze in seinem Staat sähen vor, dass Landbesitzer sogar 30 Prozent der Fläche im natürlichen Zustand erhalten. Einem Europäer liegt nun die Frage auf der Zunge, welche Quote in dem armen Bundesstaat tatsächlich gilt. Und wer das kontrolliert. Mit etwas Kenntnis der brasilianischen Wirklichkeit muss man vermuten: Keine von beiden Quoten gilt. Und niemand kontrolliert.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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