Umweltschutz:Auf "Öl-Patrouille"

Immer wieder pumpen Frachter illegal Ölschlamm ins Meer. Deutsche Spezialeinheiten suchen mit großem Aufwand nach den Übeltätern - aber Strafen gibt es kaum.

Güven Purtul

Langsam erhebt sich der blaue Helikopter in die Luft, verharrt kurz in geringer Höhe, und dreht dann in Richtung Lübecker Bucht. Einige Minuten später fliegt der Super-Puma der Bundespolizei-See über eine der meist befahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt.

Umweltschutz: Havarie-Übung bei Warnemünde. Vom Hubschrauber aus versuchen deutsche Polizisten auch Umweltsündern auf die Spur zu kommen.

Havarie-Übung bei Warnemünde. Vom Hubschrauber aus versuchen deutsche Polizisten auch Umweltsündern auf die Spur zu kommen.

(Foto: Foto: ddp)

Die Beamten der "Öl-Patrouille" halten Ausschau nach verdächtigen Flecken auf dem Wasser. "Frachter auf ein Uhr", tönt es aus dem Cockpit. In der Kabine überprüft Polizeihauptmeister Jens Albert Herkunft, Ziel und Ladung des Schiffes, sein Kollege greift zum Fernglas.

"Alles sauber", meldet er. Der Flug verläuft ereignislos, wie meist an schönen Tagen. Wer Ölschlamm über Bord pumpt, macht das lieber bei Seegang und schlechter Sicht.

So wie Anfang Februar, als an den Stränden Nordfrieslands Tausende verölte Trauerenten landeten. Viele der Tiere erfroren, weil ihr verklebtes Federkleid kaum noch isolierte. Tierschützer fingen die geschwächten Tiere ein.

Doch trotz Nährlösung und Wärmelampen war ihre Überlebenschance klein. Beim vergeblichen Versuch das eigene Gefieder zu säubern, nahmen die Vögel giftige Ölbestandteile auf, an denen sie schließlich zugrunde gingen. Der Verursacher wurde nicht gefunden.

Die Umweltschutzorganisation WWF schätzt, dass 30 Prozent aller tot aufgefundenen Seevögel in der Deutschen Bucht an Öl verenden. Genauer: An hochgiftigen Schweröl-Rückständen aus den Maschinenräumen großer Schiffe.

Dieser sogenannte Sludge (englisch für Schlick) wird illegal abgepumpt, um Entsorgungsgebühren in den Häfen zu sparen. Nicht die großen Ölteppiche aus havarierten Tankschiffen sind daher das Hauptproblem für die Meeresökologie, sondern die täglichen Einleitungen aus Schiffen, die auf dem Meer ihre Tanks reinigen oder Brennstoff-Rückstände ablassen.

Solche Schiffe haben die Männer der Öl-Patrouillen im Visier. Je ein Hubschrauber auf Nord- und Ostsee sowie zwei mit ausgefeilter Sensortechnik ausgerüstete Dornier-228-Flieger des Havariekommandos Cuxhaven fahnden aus der Luft nach Verschmutzungen. 400-mal sind sie von Januar bis September 2008 gestartet. Dazu kommen die Schiffe der Wasserschutzpolizei.

Der Aufwand für die Überwachung ist groß, lobt Hans-Ulrich Rösner vom WWF. "Davon geht in deutschen Gewässern abschreckende Wirkung aus."

Zuständig für Abschreckung ist Hauptkommissar Hans-Joachim Bruhn, Leiter der Maritimen Ermittlungs- und Fahndungsgruppe bei der Bundespolizei-See. "Wenn wir vom Hubschrauber aus etwas sehen, sprechen wir das Schiff an und fragen erstens, was leitest du da ein, und sagen zweitens, stell das unverzüglich ab."

Auf "Öl-Patrouille"

Bruhns Männer können direkt aus dem Hubschrauber Proben ziehen. Jens Albert fixiert eine Glasflasche an einem Schwimmer aus Kunststoff. Dann kontrolliert er seine Sicherungsleine, bevor er die Tür des Helikopters öffnet. Frische Seeluft vertreibt den Abgasgeruch aus der Kabine. Der Polizeihauptmeister hakt die Probenflasche an einer Winsch ein und lässt sie ins Wasser hinab. Nach kurzem Flugmanöver ist die Flasche voll und wieder an Bord.

200-mal jährlich nehmen die Patrouillen bei konkretem Verdacht eine Probe aus dem Wasser, die sich später fast immer als verunreinigt erweist. Anschließend verständigt die Hubschrauberbesatzung die Küstenwache, die zusätzlich eine Öl-Probe vom verdächtigen Schiff nehmen soll. Das Gesetz fordert den Nachweis, dass das Öl aus dem Wasser und das Öl vom Schiff identisch sind.

Im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg überführt Gerhard Dahlmann seit 30 Jahren Ölsünder. Dazu nutzt er die besonderen Eigenschaften des schwarzen Goldes. "Das Prinzip der Identifizierung beruht darauf, dass Öl aus Tausenden von einzelnen Verbindungen besteht", sagt Dahlmann. "Wir haben hier die Möglichkeit, innerhalb von 60 bis 70 Minuten etwa vier- bis fünfhundert davon zu bestimmen."

Für einen Strafbefehl reicht es fast nie

Im Gaschromatographen verdampfen einzelne Komponenten des Öls je nach Siedepunkt früher oder später. Das Ergebnis sind Messkurven - individuell wie ein Fingerabdruck. Sie spiegeln die Mischung des Öls im Tank und Wasser wider. Stimmen die Messprofile überein, ist das ein klarer Beweis.

Schwieriger wird es, wenn es keinen Verdacht gibt, von welchem Schiff die Verschmutzung stammen könnte. Für solche Fälle hat der Chemiker ein Öl-Archiv angelegt. Im Keller seines Labors lagern Tausende Proben aus aller Welt. Finden die Patrouillen Öl auf hoher See, kann Dahlmann dessen Herkunft per Rasterfahndung in den digitalisierten Datensätzen recherchieren. So weiß er in Sekunden, aus welcher Region oder sogar von welcher Bohrinsel das Öl stammt.

"Danach können dann Ermittlungen stattfinden, welcher Tanker eben dieses spezielle Öl zur entsprechenden Zeit in dem Gebiet transportiert hat", beschreibt Dahlmann das Idealszenario. Die Schiffe und ihre Routen werden schließlich elektronisch registriert.

Doch auch wenn es gelingt, das Schiff zu identifizieren, von dem das Öl stammt, selbst wenn die Proben im Wasser und vom Schiff übereinstimmen - für einen Strafbefehl reicht es fast nie: "Wir haben in Deutschland das Verursacherprinzip", sagt Hans-Joachim Bruhn. "Das bedeutet, wir müssen den finden, der auch tatsächlich diese Verschmutzung begangen hat, der den Hebel bedient hat."

Auf "Öl-Patrouille"

Der Matrose oder Offizier aber ist kaum zu identifizieren, wenn keiner aus der Besatzung redet. Und es ist nicht möglich, den Kapitän zu belangen, der für alle Seeleute an Bord verantwortlich sein sollte.

Fast immer werden nach Ölfunden die Ermittlungen wegen Umweltstraftaten eingestellt. 2006 leiteten die zuständigen Staatsanwaltschaften zwar 124 Verfahren ein, doch es gab keinen einzigen Strafbefehl. Zudem können in Deutschland nur natürliche Personen, also Menschen, von einem Richter verurteilt werden. Auch wenn die Wasserschutzpolizei das fragliche Schiff gefunden hat, muss sich der Reeder daher kaum Sorgen machen.

Die einzige Waffe gegen Ölsünder ist bisher das Ordnungswidrigkeitenrecht. Das BSH kann aus zwei Gründen Bußgelder verhängen: Erstens wegen nicht ordnungsgemäß geführter Tagebücher, mit denen Schiffe den Verbleib von Öl als Betriebsstoff oder Ladung dokumentieren müssen und zweitens wegen verbotener Rohrleitungen, die von Tanks nach außen führen. Hinter diesen Verstößen verbergen sich häufig illegale Einleitungen von Ölrückständen in das Meer.

Die Höhe der Bußgelder beträgt im Schnitt 1000 Euro. "Lächerlich wenig" sei das angesichts der ökologischen Folgen, sagt Hans von Wecheln von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste. Manch skrupelloser Reeder mache da eine Rechnung auf, sagt Kommissar Bruhn: "Je öfter ich illegal entsorge, desto mehr Geld spare ich, dann ist mein Profit entsprechend größer."

Die Industrie-Lobby leistet Widerstand

Das Problem ließe sich mit zwei Maßnahmen aus der Welt schaffen. Umweltgruppen wie der WWF fordern, die Entsorgungskosten zum verpflichtenden Teil der Hafengebühren zu machen. Dann hätten die Tankspüler auf offener See keinen wirtschaftlichen Anreiz mehr. Außerdem könnte ein Verbot von Schweröl als Treibstoff das Problem drastisch entschärfen.

Zwar hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation kürzlich beschlossen, dass Schiffe bis 2020 vom schwefel- und rückstandsreichen Schweröl auf saubere Destillate umstellen sollen. Verpflichtend ist das aber nicht. Solange die Verbrennung von Schweröl erlaubt ist, könnten immerhin schärfere Strafen für die Reeder helfen, wie sie im Ausland längst üblich sind. So verhängten US-Gerichte bereits mehrfach abschreckende Bußen in zweistelliger Millionenhöhe.

Und Frankreich hält sich im Zweifelsfall an die Kapitäne und verhängt Strafbefehle auch bei "relativ dünner Beweislage", wie BSH-Justitiar Rolf von Ostrowski weiß.

Der deutsche Gesetzgeber hält jedoch am Individualstrafrecht fest. Kritiker fordern seit Jahren die Einführung strafrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten auch für körperschaftlich strukturierte Unternehmen. Dann könnten auch die Reedereien bestraft werden. Genau das sieht auch die Ende Mai vom EU-Parlament beschlossene "Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt" vor.

Doch die Industrie-Lobby leistet Widerstand gegen eine Verschärfung des deutschen Rechts. "Die Forderungen der Richtlinie sind bereits im deutschen Recht enthalten", sagt Jan-Thiess Heitmann vom Bundesverband Deutscher Reeder.

Bundesjustizministerin Zypries lehnt ein eigenes Strafrecht für Unternehmen ab: Dass sich juristische Personen als solche nicht strafbar machen können, sei kein Nachteil. Es gebe ja das Recht der Ordnungswidrigkeiten.

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