Umweltgifte:Müll, der gefährliche Fressreize aussendet

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Plastikmüll, der unachtsam oder illegal entsorgt wird, zerfällt durch Einfluss von Sonne, Wind und Wasser in immer kleinere Teile. (Foto: Mike Nelson/dpa)

Mikroplastik schadet Organismen deutlich stärker als bislang angenommen. Fische verlieren den Überlebenstrieb und entwickeln unheimliche Essstörungen.

Von Hanno Charisius

Anmerkung der Redaktion: Die im folgenden Text zitierte Studie wurde zurückgezogen, die beiden Autoren sollen "wissenschaftlich unredlich" gehandelt haben. Weitere Details lesen Sie hier ...

Winzige Plastikpartikel in Flüssen, Seen und Meeren haben einen gefährlichen Einfluss auf die Fische, die dort leben. In einem Laborexperiment setzten die Ökologen Peter Eklöv und Oona Lönnstedt von der schwedischen Uppsala-Universität Barschlarven Plastikmengen aus, wie man sie heute auch in vielen natürlichen Gewässern findet. Im Aquarium schlüpften weniger Fischbabys als normalerweise, die Tiere wuchsen langsamer, entwickelten ein unnormales Fressverhalten und reagierten nicht auf Warnsignale, die sie normalerweise in die Flucht treiben würden.

Als Mikroplastik werden Kunststoffpartikel zusammengefasst, die kleiner als fünf Millimeter sind und in der Umwelt zirkulieren. 30 Millionen Tonnen davon landen laut Umweltbundesamt pro Jahr weltweit in den Meeren - aus Europa kommen allein 3,4 bis 5,7 Millionen Tonnen. Woher der Kunststoff stammt, wird zurzeit noch im Detail untersucht. Nach einer norwegischen Studie ist etwa die Hälfte Abrieb von Autoreifen. Große Mengen gelangen durch Pannen in kunststoffverarbeitenden Betrieben in die Umwelt. Eine andere bedeutsame Quelle ist größerer Plastikmüll, der unachtsam oder illegal entsorgt wird und dann durch Einfluss von Sonne, Wind und Wasser in immer kleinere Teile zerfällt. Zu den Folgen für die Umwelt gibt es bislang nur wenige Studien.

Ökologin fordert Politiker zum Handeln auf

Die schwedischen Forscher testeten nun verschiedene Plastikmengen, die so auch an manchen schwedischen Ostseestränden und anderen Regionen der Welt gefunden werden. Sie mischten 10 000 Polystyrol-Partikel pro Kubikmeter Wasser für eine durchschnittliche Konzentration und 80 000 für eine hohe. Dieser Kunststoff wird zu Verpackungsmaterial verarbeitet, zu Schaumstoffen, Folien und Platten. Polystyrol ist eines von fünf Kunststoffmaterialien, die hauptsächlich in Gewässern gefunden werden. In den Becken mit der hohen Konzentration fraßen alle Larven die 90 Mikrometer großen Partikel, erzählt Lönnstedt. "Das Material sendet einen Fressreiz an die Larven, entweder chemisch oder optisch." Unter diesem Einfluss verloren viele der Tiere das Interesse an ihrem normalen Futter. Alle Larven, die Plastik verzehrt hatten, bewegten sich langsamer und waren nach spätestens 48 Stunden tot, berichten Eklöv und Lönnstedt im Fachblatt Science.

Experten, die nicht an der Untersuchung beteiligt waren, beurteilen die Studie insbesondere wegen der halbwegs realistischen Plastikmengen als wertvoll. Zwar finde man nicht überall auf der Welt Plastikpartikel in diesen Konzentrationen, erklärt der Ökologe Christian Laforsch von der Universität Bayreuth. Doch gebe es durchaus Gebiete vor allem in Küstenregionen, die eine relativ hohe Konzentration aufweisen. Zuvor sei selten gezeigt worden, dass es neben den direkten Effekten auf einzelne Tierarten auch indirekte Effekte gibt, die sich zum Beispiel auf das Nahrungsnetz auswirken. Auf welchem Wege der Kunststoff die Fischlarven beeinflusst, sollte jetzt aufmerksam untersucht werden, sagt Mikrobiologe Matthias Labrenz vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Rostock. Nur mit dieser Information kann man abschätzen, wie groß der Effekt in der Umwelt ausfällt.

In einem Kommentar zu der Studie fordert die Ökologin Chelsea Rochman die Politik auf, endlich gegen Kunststoff in der Umwelt vorzugehen. Rochman forscht zurzeit an der University of Toronto und betont die Bedeutung des schwedischen Experiments für das Verständnis der ökologischen Folgen der Plastikverschmutzung. Ein Verbot von Mikropartikeln in Kosmetika wäre bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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