Umwelt und Psyche:Infarkt der Seele

Angst, Stress, Kummer und Unzufriedenheit schlagen auf das Herz. Emotionale Belastungen wirken sich sogar ähnlich stark auf das Infarktrisiko aus wie Rauchen, Diabetes oder Bluthochdruck.

Werner Bartens

Kränkungen machen krank, Krankheiten bedeuten Kränkung. Kein Zweifel, dass seelische Erschütterungen die Entstehung und den Verlauf von Leiden beeinflussen können. Herzerkrankungen, besonders verengte Kranzgefäße, Rhythmusstörungen sowie Herzschwäche treten häufiger auf, wenn Stress und Belastungen zu viel sind.

Stress

Psychische Einflüsse wie Stress und Unzufriedenheit in Beruf, Familie oder Partnerschaft werden im Vergleich zu den "klassischen" Risikofaktoren für Infarkte sowohl von Ärzten wie Patienten noch zu wenig beachtet.

(Foto: iStockphoto/Alistair Scott)

Eine Tagung zum Forschungsfeld der Psychokardiologie zeigte am Wochenende in München, wie vielfältig die Belege für den Zusammenhang zwischen Herz und Seele inzwischen sind. "Das höhere Infarktrisiko ist ja kein Voodoo-Phänomen, sondern schlägt sich im Körper nieder", sagt Karl-Heinz Ladwig vom Helmholtz-Zentrum und der TU München.

Dennoch werden psychische Einflüsse im Vergleich zu den "klassischen" Risikofaktoren von Ärzten wie Patienten noch zu wenig beachtet. In einer Studie mit mehr als 30.000 Teilnehmern in 52 Ländern beobachteten kanadische Ärzte schon vor Jahren, dass emotionale Belastungen die Infarktgefahr stark steigern.

Stress und Unzufriedenheit in Beruf, Familie oder Partnerschaft erhöhten das Infarktrisiko um den Faktor 2,67. Damit wirkten sich emotionale Belastungen fast so stark auf die Gefahr aus, einen Infarkt zu bekommen wie das klassische Risiko Rauchen (Faktor 2,87) - und stärker als Diabetes (Faktor 2,37) oder Bluthochdruck (Faktor 1,91).

"Man kann eine Depression als chronische Stresserkrankung sehen", sagt Michael Deuschle vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Bei krankhafter Niedergeschlagenheit ist das Stresshormon Cortisol erhöht, gleichzeitig sind die Zellen weniger empfindlich für Insulin, sodass der Blutzucker und mittelfristig auch die Diabetes-Neigung steigt. Der zudem erhöhte Blutdruck erhöht das Infarktrisiko zusätzlich.

Die genetische Prägung kann das Risiko für seelische wie kardiovaskuläre Probleme gleichzeitig erhöhen. Eine Variation in einer als 5-HTTLPR bezeichneten Genregion für den Transport des Überträgerstoffs Serotonin verstärkt die Neigung für eine Depression, fördert aber gleichzeitig auch die Verklumpung der Blutplättchen, sodass eine Gerinnselbildung wahrscheinlicher wird.

Auffällig ist, wie oft die beiden großen Volksleiden Herzinfarkt und Depression gemeinsam vorkommen. 17 bis 27 Prozent der Patienten mit Koronarer Herzkrankheit leiden zusätzlich an Depressionen. "Bis zu 20 Prozent der Männer zwischen 45 und 75 Jahren erleben in dieser Altersspanne eine depressive Verstimmung, die das Infarktrisiko erhöht", sagt Karl-Heinz Ladwig.

Risikofaktor Narzissmus

Roland von Känel vom Inselspital Bern zeigte, wie bei psychischen Belastungen kleine Entzündungen und verdicktes Blut das Infarktrisiko erhöhen. Evolutionär betrachtet sei das in akuten Kampf- oder Stresssituationen zwar sinnvoll. "Wenn man verletzt ist, will man ja dickeres Blut", sagt Känel. "Werden Entzündungs- und Gerinnungswerte aber um mehr als 15 Prozent aktiviert, wird die physiologische Reaktion krankhaft." Zellen der Gefäßinnenwand besitzen eigens Andockstellen für Stresshormone wie Adrenalin - über diese Rezeptoren stimuliert Stress die Gerinnungsfaktoren.

Für die Hamburger Psychotherapeutin Annegret Boll-Klatt geht es darum, negative Affekte - etwa depressive Ängste, Scham, Neid oder Aggression - in die Behandlung von Herzpatienten einzubeziehen und "Entängstigungsarbeit" zu leisten.

Narzisstische Persönlichkeiten seien besonders anfällig für Herzleiden. "Man muss die emotionale Regulationsfähigkeit dieser Menschen stärken, die oft zwischen grandiosen Omnipotenzphantasien und Nichtigkeitsgedanken schwanken", sagt Boll-Klatt. Infarkte können narzisstische Krisen auslösen, weil sie mit Kontrollverlust einhergehen und die Vorstellung der eigenen Unverletzlichkeit zerstören. Narzissmus und die damit einhergehende Neigung zum Herzschlag wird - in treffender Analogie von Herz und Seele - daher auch als "Ego-Infarkt" bezeichnet.

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