Winzige Plastikpartikel in den Böden von deutschen Flüssen und Meeresgewässern sammeln offenbar weit mehr Schadstoffe an, als bislang angenommen. Das zeigen die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Die Resultate wurden am Montag in der Hamburger Hafencity vorgestellt. Demnach trägt vor allem der am häufigsten genutzte Kunststoff Polyethylen (PE) zu den massiven Umweltproblemen durch Mikroplastik bei.
Das sogenannte Mikroplastik zieht schon seit Jahren immer größere Aufmerksamkeit auf sich. Es stammt zu einem großen Teil aus dem Binnenland, zum Beispiel durch Reifenabrieb und aus Kosmetik, die heute in vielfältiger Weise mit Peeling- oder Schleifkörnchen aus Kunststoff versetzt wird. Oder aber aus größeren Plastikteilen, die am Ufer oder im Wasser durch UV-Strahlung und mechanische Belastung verwittern und dabei in immer kleinere Fragmente zerfallen. Als Mikroplastik sind diese Teile dann kleiner als fünf Millimeter im Durchmesser, oft sind sie selbst unter dem Mikroskop nicht von gewöhnlichen Sandkörnern zu unterscheiden. Anders als Sand allerdings ziehen die kleinen Plastikkügelchen Schadstoffe wie Dioxine oder Polychlorierte Biphenyle an wie ein Magnet. Und mit dieser giftigen Fracht gelangen sie auch in die Nahrungskette.
Umweltgifte:Müll, der gefährliche Fressreize aussendet
Mikroplastik schadet Organismen deutlich stärker als bislang angenommen. Fische verlieren den Überlebenstrieb und entwickeln unheimliche Essstörungen.
In Flussmündungen finden sich teils schon mehrere Tausend Mikroplastikpartikel je Kilogramm Sediment. Auch im Wasser schweben teils Hunderte der winzigen Teilchen. Schätzungen gehen davon aus, dass bereits ein Zehntel des Plastikmülls in den Weltmeeren als Mikroplastik die ozeanischen Ökosysteme belastet.
Die aktuellen Resultate sollen diesem Bild nun weitere alarmierende Aspekte hinzufügen, wie die Hochschule verlauten ließ. Die vollständigen Ergebnisse sind derzeit zwar noch nicht für die Öffentlichkeit einsehbar, dennoch weisen die Umweltchemiker der HAW auf einige besonders frappierende Befunde hin. Zum einen fanden die Toxikologen, dass das Mikroplastik etwas drei bis vier Mal so viel Gift enthält wie der umliegende Gewässergrund. "Schlickhaltiges Sediment nimmt im Gegensatz zu sandhaltigem deutlich mehr Schadstoffe auf, was im Umkehrschluss auch mit einer höheren Belastung des Mikroplastiks einhergeht", sagt die Projektleiterin Gesine Witt. Das feine Gewässersediment kennt man vor allem aus den Wattenmeeren. Es kann sich aber am Grund jedes Gewässers bilden.
Zum anderen zeigen die Untersuchungen der HAW, dass die Mengen von Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen wie Fluoranthen oder von Polychlorierten Biphenylen insbesondere auf Polyethylenpartikeln sehr hoch ausfallen. Fast ein Viertel des weltweit produzierten Kunststoffes ist Polyethylen. Der Kunststoff gilt nicht als besonders witterungsbeständig. Entsprechend hoch wird auch die Belastung durch Mikroplastik aus diesem Material eingeschätzt.
Wie kann das Problem gelöst werden? Das ist völlig offen
Welche Folgen hat das giftige Mikroplastik nun für die Umwelt? Zahlreiche Studien haben bereits untersucht, wie sich die Aufnahme auf die Gesundheit von kleinen und großen Organismen auswirkt. Wissenschaftler vom Alfred-Wegener-Institut konnten zeigen, dass nicht alle Lebewesen im Meer gleich empfindlich auf die winzigen Kunststoffpartikel reagieren, einige wie die Meeresasseln, scheiden das Plastik unverändert wieder aus. In Muscheln dagegen treten die winzigen Sphären aus dem Verdauungstrakt auch ins Gewebe über, wo sie nach und nach auch ihre Schadstofflast wieder abgeben können und bei sehr hohen Konzentrationen zu Entzündungen führen.
Was aus dieser Belastung letztlich für den Menschen folgt, der Meeresfrüchte und Fisch ja als hochwertige Lebensmittel konsumiert, ist bislang nicht bekannt. "Die Forschung steht hier leider noch am Anfang", sagt der Toxikologe Claus-Dieter Wacker. Der Präsident der HAW glaubt, dass es noch Jahrzehnte dauern kann, bis man etwa über mögliche zusätzliche Krebsfälle durch die aufgenommenen Umweltgifte ein klares Bild hätte. Zu lange eigentlich, um tatenlos zu warten.
Doch es bleibt völlig unklar, wie das Plastikproblem, ob makros- oder mikroskopisch, überhaupt in den Griff zu bekommen wäre. Kunststoffe wie Polyethylen sind weltweit derart verbreitet, dass sich die in Deutschland nun durchgesetzten Gebühren für Plastiktüten und das Pfand für Getränkeflaschen aus Kunststoff kaum spürbar positiv auswirken werden.
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Wie verbreitet Mikroplastik inzwischen in Flüssen und Meeren ist, wird derzeit von mehreren großen Forschungsprojekten untersucht. So gibt es ein EU-Projekt zu Mikroplastik, an dem 24 Institutionen aus elf europäischen Ländern beteiligt sind. Die Untersuchungen von Witts Team an der HAW wurden mit 200 000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und waren allein auf die Frage ausgerichtet, in welchen Mengen die flottierenden Plastikpartikel Schadstoffe anreichen. Dazu wurden 50 Sonden mit Mikroplastik für drei Monate in ausgesuchten Gewässern installiert. Im Fokus standen dabei Substanzen, die lipophil, also fettfreundlich sind, und sich deshalb in Wasser schlecht lösen. Solche Substanzen haften gut auf den ebenso fettfreundlichen Oberflächen von Kunststoffen.