Umwelt - Kirtorf:Abschiedsmelodie für den Dannenröder Forst

Deutschland
Eine Aktivistin steht bei der Aufnahme ihrer Personalien zwischen Polizisten. Foto: Andreas Arnold/dpa (Foto: dpa)

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Homberg/Ohm (dpa/lhe) - Melancholische Pianoklänge statt dröhnender Harvester: Zum Ende der Rodungen im Dannenröder Forst für den Weiterbau der Autobahn 49 lässt der Pianist Igor Levit am Freitag das irische Volkslied "Danny Boy" in dem Waldstück erklingen. Auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat sich eingefunden, um sich solidarisch mit den Gegnern des Verkehrsprojekts zu zeigen. Levits Klavier, das eigens für die Aktion über einen nahen Weg hergebracht wurde, steht auf einem kleinen Podest mitten in Schneeresten, Matsch und Herbstlaub und direkt an der Rodungsschneise, die mit Bauzaun und Natodraht gesichert ist. Dutzende Polizisten halten sich dort auf, überall auf der Schneise stehen Polizeifahrzeuge, Baumstämme türmen sich. Vor diesen Bildern wirkt die Musik wie ein Abgesang für die Bäume, die für die A49 weichen müssen.

Vor mehr als einem Jahr hatten Umwelt- und Klimaschützer den Dannenröder Forst besetzt, um die Rodungen für das Verkehrsprojekt zu verhindern. Eine schnelle Mobilitätswende, der Erhalt dieses Waldes und anderer Wälder sowie eine "klimagerechte Welt" haben sie sich auf die Fahne geschrieben - und rund ein Dutzend Protestcamps und zahlreiche Barrikaden im "Danni" errichtet, wie sie das Waldstück nennen. Die Befürworter der Autobahn hingegen versprechen sich davon weniger Verkehrsbelastung in Dörfern der Region und kürzere Wege für Pendler und Unternehmen.

In dem Waldstück sind am Freitag nur noch wenige Baumhäuser übrig. Trotzdem wollen die Aktivisten nicht aufgeben. Bis zuletzt harren sie bei winterlicher Witterung aus und stemmen sich gegen die Räumungen, klettern in Bäume und lassen sich von der Polizei wieder herunterholen. "Der Danni bleibt ein bedeutendes Zeichen im Kampf für Klimagerechtigkeit und die radikale Verkehrswende", erklärt Aktivisten-Sprecherin "Charlie Linde".

Schon bald aber dürfte der letzte Baum an der Schneise gefällt sein - und damit schneller, als von Vielen erwartet. Noch zu Beginn hatten sich immer wieder Verzögerungen bei den Räumungen und Rodungen ergeben, weil Aktivisten von der Polizei geräumte Barrikaden über Nacht wieder aufbauten, auf Baumstamm-Gestelle kletterten und so Wege blockierten. Nach den vorangegangenen Rodungen für den Weiterbau der Trasse im Herrenwald bei Stadtallendorf (Kreis Marburg-Biedenkopf) und im Maulbacher Wald nahe Homberg/Ohm (Vogelsbergkreis) hatten sich die Beamten bereits auf mehr Widerstand im Dannenröder Forst eingestellt.

Auch zu gefährlichen Zwischenfällen kam es dort mehrfach, darunter drei Abstürze von Aktivisten, die sich dabei schwer verletzten. Für den ersten der Fälle soll ein Polizist verantwortlich gewesen sein, der laut Staatsanwaltschaft Gießen zuvor ein Seil gekappt habe, das mit dem Gestell verbunden gewesen sei. Die Verbindung soll für den Beamten nicht erkennbar gewesen sein.

Es folgten Vorwürfe der Umweltschützer, die Polizei gefährde bei ihrem Großeinsatz im Dannenröder Forst Menschenleben und wende immer wieder Gewalt bei den Räumungen an - was die Beamten zurückwiesen. Zugleich ermitteln die Gießener Staatsanwälte wegen Verdachts auf ein versuchtes Tötungsdelikt, nachdem ein Gestell aus Baumstämmen in Richtung von Polizisten gestürzt war. Bei dem Vorfall hatten die Einsatzkräfte gerade noch zur Seite springen können und waren unverletzt geblieben. Mehrfach berichteten sie von Steinwürfen sowie Angriffen mit Pyrotechnik und Zwillen.

Aus Levits Sicht gebührt den Aktivisten Dank für ihren Einsatz für den Dannenröder Forst. "Ihr habt eine Situation nicht nur wach gehalten, Ihr habt sie mit neuem Leben gefüllt", sagt er, bevor er sich ans Klavier setzt. Trotzdem sei es ein "trauriger Tag". Seine Musik wird per Lautsprecher zu den letzten verbliebenen Baumhäusern übertragen, es ist eine gemeinsame Aktion von Greenpeace und Fridays for Future. Neubauer pflichtet Levit bei: Die Auseinandersetzung um das Waldstück werde "schnell reduziert auf irgendeinen Konflikt zwischen Aktivisten und Polizei, aber letztendlich ist es der Versuch, Ökosysteme und unsere Lebensgrundlagen zu verteidigen, zu schützen", sagt die Aktivistin.

Auch in den kommenden Tagen will sich Prominenz im Dannenröder Forst einfinden, darunter etwa am Sonntag der bekannte Förster und Buchautor Peter Wohlleben sowie führende Vertreter mehrerer Umweltorganisationen. Die Grünen-Kommunalpolitikerin Barbara Schlemmer aus dem nahe gelegenen Homberg/Ohm, die schon lange gegen das Autobahnprojekt kämpft, freut sich zwar über die Unterstützung, hätte sich aber schon früher noch mehr davon gewünscht. "Ich finde es schade, dass die Promis jetzt erst kommen, wo der Wald im Prinzip im Wesentlichen umliegt", sagt die Sprecherin des Bündnisses "Keine A49". Entmutigen lassen will sich Schlemmer aber nicht, zumal der eigentliche Autobahnbau noch nicht begonnen habe. Man kämpfe auch juristisch weiter an verschiedenen Fronten gegen das Projekt - nun eben unter dem neuen Motto: "Der Stopp kommt noch, und wir forsten den Dannenröder Forst wieder auf."

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