Süddeutsche Zeitung

Umwelt - Homberg (Ohm):"Heimat wird zerstört": A49-Einsatz wühlt Dorf auf

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Homberg/Ohm (dpa/lhe) - Irgendwann in der Geschichte fielen bei Dannenrod schon einmal die Bäume. Heute ist das Örtchen, dessen Namensendung auf eine historische Rodung hindeutet, ein Stadtteil von Homberg (Ohm) in Mittelhessen und das Zentrum des Konflikts um die Baumfällungen für den Ausbau der Autobahn 49. Eigentlich ist das 170-Seelen-Dorf Beschaulichkeit gewöhnt. Nun aber bestimmt der Ausnahmezustand mit Blaulicht und Protest den Alltag der Menschen. "Das Dorf ist nicht mehr wiederzuerkennen", klagen Anwohner.

Seit fast drei Wochen ist die Polizei mit Hunderten Kräften am und im angrenzenden Dannenröder Forst im Einsatz. Dort harren wohl mehrere hundert Umweltaktivisten in Baumhauscamps aus und versuchen mit Barrikaden und Kletteraktionen, die Rodungen zu stoppen. Auch am Waldrand gibt es ein Lager von Aktivisten und Unterstützern. Trotz teils frostiger Temperaturen, vor allem in den Nächten, haben hier zuletzt Dutzende Menschen ihre Zelte aufgeschlagen. Für den Polizeieinsatz und die Fällarbeiten ist zudem ein Logistikareal errichtet worden.

"Wo man hinschaut Polizei", berichtet ein Dorfbewohner. Man könne derzeit nur sehr eingeschränkt Wege nutzen. Es sei laut. "Die Menschen finden keine Ruhe", sagt der 72-Jährige. Den Polizeieinsatz hält er für "überdimensioniert". Es wirke alles "einfach sehr erdrückend", sagt er. Die Situation sei belastend für die Menschen.

Im nahe am Ortsrand gelegenen Wald mischt sich immer wieder das Dröhnen der Rodungsmaschinen mit Martinshorn von Einsatzfahrzeugen und Megafon-Durchsagen von Polizisten und Aktivisten. Bisweilen kreisen Polizeihubschrauber über dem Waldstück. An den Wochenenden ziehen Menschen gruppenweise mit Flaggen durch das abgelegene Vogelsberg-Dorf, um gegen die Autobahn zu protestieren. Neben Einsatzfahrzeugen parken hier mitunter auch Wohnmobile, Kleinbusse und Autos aus dem gesamten Bundesgebiet, wie die Nummernschilder verraten.

"Sicherlich stellen Versammlungen, Mahnwachen und andere Aktionen rund um den Weiterbau der A49 und die damit einhergehenden polizeilichen Einsätze eine Belastung für die Bürgerinnen und Bürger dar", räumt ein Polizeisprecher ein. "Wir sind uns dessen bewusst und versuchen die Beeinträchtigungen für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten."

Das gelte auch für notwendige Straßensperrungen. Der Störung durch Hubschrauber sei man sich ebenfalls bewusst: "Aus diesem Grund wägen wir jeden Einsatz sorgsam ab." In dem unübersichtlichen Gelände ermögliche ein Hubschrauber einen Überblick und damit den Schutz für die Einsatzkräfte. Man bitte um Entschuldigung für die Beeinträchtigungen und werbe für Verständnis, "dass sich das leider nicht immer verhindern lässt", betont der Sprecher.

Um sich ein Bild von der Lage zu machen, kommen auch Bürger aus der Region zum Dannenröder Wald. Ein Mann aus Hombergs Nachbarort Kirtorf etwa erzählt, dass er schon als Jugendlicher gegen die A49 gewesen sei - der Lückenschluss wird bereits seit Jahrzehnten geplant. Das Projekt spalte mittlerweile die gesamte Region. "Irgendwann sind die Polizei und die Aktivisten weg - und zurück bleibt ein Riesenscherbenhaufen", sagt der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. Ein anderer pflichtet dem Kirtorfer bei: Die Dörfer in der Umgebung seien teils tief zerstritten. "Ein Haus ist dafür, ein anderes dagegen." Nachbarn sprächen nicht mehr miteinander, auch Familienmitglieder lägen im Zwist miteinander.

Befürworter der A49 sehen ebenfalls eine Polarisierung: "Eigentlich soll der Lückenschluss ja sowohl den Menschen als auch der Wirtschaft in der Region nutzen", hatte vor einigen Wochen ein Sprecher des Regionalmanagements Mittelhessen - ein Zusammenschluss unter anderem aus Wirtschaft und Politik in der Region - gesagt. Stattdessen spalte das Projekt die Bevölkerung in zwei Lager, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüber stünden.

Eine Spaltung in Befürworter und Gegner der Autobahn beobachtet auch Ralf Müller vom Evangelischen Dekanat Vogelsberg. Er koordiniert den kirchlichen Einsatz - beispielsweise von Beobachterteams - rund um den Autobahnbau. "Es kann aufgrund des lange andauernden Konfliktes nicht mehr miteinander diskutiert werden, es werden nur noch Positionen ausgetauscht. Das zeigt die Spannung in den Dörfern auf", so Müller. "Es wird eine Auseinandersetzung, die globale, nationale und Klima-Fragen sowie die Frage der Verkehrswende betrifft, sehr stark auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen - und die ist damit überfordert." Man dränge auf Ruhepausen und Sonntagsschutz, "damit die ansässige Bevölkerung auch mal durchatmen kann".

Die Befürworter, die längst nicht so sehr die Schlagzeilen beherrschen wie die Gegner, erhoffen sich von der Autobahn weniger Verkehr und vor allem Lkws auf den Straßen der Region sowie kürzere Pendelstrecken. Die Gegner wollen eine klimagerechte Verkehrswende ohne Abholzung und neue Autobahn. Die A49 soll einmal Gießen und Kassel direkter miteinander verbinden.

Der 72-jährige alteingesessene Dannenröder sieht noch keine Spaltung, aber klar sei: "Wir müssen alle aufpassen und achtsam sein, dass wir nicht zulassen, dass diese Gräben entstehen." Der Protest gegen die A49 nimmt aus seiner Sicht angesichts der fortschreitenden Rodungen zu. "Wenn man sieht, in welchem Ausmaß die Natur zerstört wird, mit welcher brachialer Gewalt der Wald gerodet wird - es blutete den Menschen hier das Herz, mit anzuschauen, wie ihre Heimat zerstört wird. Ich glaube, das war sehr vielen vorher gar nicht so bewusst."

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