Erderwärmung:Der große Klimabluff

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Im Vertrag von Paris werden Versprechen für das Weltklima abgegeben, die sich nur noch theoretisch erfüllen lassen (Foto: AFP)

Der Klimagipfel von Paris wird weltweit als Erfolg gefeiert. Zu Recht? Es spricht vieles dafür, dass Experten und Öffentlichkeit in die Irre geführt werden durch die Eigenlogik des Politikbetriebs.

Gastbeitrag von Oliver Geden

Es gibt kaum ein stärker an der Zukunft orientiertes Politikfeld als den Klimaschutz. Zum einen wegen der langen Wirkungsdauer von CO₂ in der Erdatmosphäre. Sie sorgt dafür, dass unsere heutigen Emissionen dafür verantwortlich sind, welches Ausmaß der Klimawandel in einigen Jahrzehnten annehmen wird. Zum anderen, weil in der Klimapolitik permanent über die fernliegende Zukunft gestritten wird, etwa darüber, wie die Emissionen bis 2050 abgebaut werden sollen oder über Temperaturziele zum Ende des Jahrhunderts.

Was auf den ersten Blick wie ein Musterbeispiel vorausschauender Politik aussehen mag, hat einen entscheidenden Haken: Da sich die Folgen unseres Handelns nicht sofort zeigen, besteht Klimapolitik im Wesentlichen immer noch aus Ankündigungen. Seit dem Beginn der internationalen Klimapolitik 1992 wird zwar verstärkt über Klimaschutz debattiert. Doch die weltweiten Emissionen sind seither um 40 Prozent gestiegen.

Auch der erfolgreiche Klimagipfel von Paris hat noch nicht mit diesem Muster gebrochen. Zwar hat sich tatsächlich erstmals die komplette Staatengemeinschaft zum Klimaschutz bereit erklärt, aber die Beteiligung von China, Indien und der Vereinigten Staaten war nur um den Preis zu haben, dass es vorläufig bei freiwilligen Ankündigungen bleibt. Selbst wenn diese ohne Abstriche umgesetzt würden, hätte dies bis 2030 einen weiteren Anstieg der Emissionen zur Folge. Zwar sollen die nationalen Zusagen alle fünf Jahre überprüft und tunlichst verbessert werden, aber auch das ist zunächst nur ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft.

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Von falschen Erwartungen in die Irre geführt

Während man sich in Paris lediglich auf den Beginn konsequenten Handelns verständigen konnte, war man bei den Zielen wesentlich mutiger. Nicht nur das Zwei-Grad-Ziel wurde völkerrechtlich verankert, sondern auch der Versuch, die Erderwärmung langfristig auf 1,5 Grad zu beschränken. Vor allem diese ambitionierten Zielentscheidungen waren ausschlaggebend für die positive Wahrnehmung des Klimagipfels. Schließlich spiegelt sich darin der ausdrückliche Wille von 195 Regierungen, den Klimawandel deutlich zu begrenzen. Aber ist dem wirklich so?

Es spricht vieles dafür, dass Experten und Öffentlichkeit hier von einer kulturellen Norm in die Irre geführt werden, von der nicht hinterfragten Vorstellung, dass Sachpolitik konsistent sein sollte. Die Vorstellung, dass reden, entscheiden und handeln nicht im Widerspruch zueinander stehen sollten, findet sich in allen Politikfeldern, nicht nur in der Klimapolitik. Was dabei jedoch unberücksichtigt bleibt, ist die Eigenlogik des Politikbetriebs.

Wer Konsistenz als Norm voraussetzt, präsentiert Ziele als bewusste Auswahl zwischen anzustrebenden Endzuständen, begleitet von einer frühzeitigen Abwägung der geeigneten Instrumente und gefolgt von einer Serie von geeigneten Maßnahmen. Selbstverständlich kann nicht immer alles wie geplant laufen, es kommt immer wieder zu Fehlern. Aber sachrationale Organisationen werden sicher in der Lage sein, daraus für das nächste Mal zu lernen.

Das Problem in der internationalen Klimapolitik ist jedoch, dass bislang fast nichts so läuft wie einst geplant. Das liegt an der zumeist übersehenen Tatsache, dass Politiker und Diplomaten Entscheidungen als eigenständige Kategorie begreifen, die nicht notwendigerweise mit entsprechendem Handeln verknüpft sein muss. Nur so lässt sich erklären, dass zu einer Zeit, wo schon das Zwei-Grad-Ziel aufgrund jahrzehntelanger Untätigkeit nur noch theoretisch zu erreichen ist, plötzlich ein 1,5-Grad-Ziel beschlossen wird.

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Beide Ziele ließen sich nach Ansicht des Weltklimarats IPCC nur noch einhalten, wenn man der Erdatmosphäre in großem Umfang CO₂ entziehen würde, bis zum 20-fachen des heutigen Jahresausstoßes. Da sich Klimapolitiker und Diplomaten einer Diskussion über "negative Emissionen" aber verweigern und in Paris de facto eine weitere Steigerung der Emissionen beschlossen haben, geht es bei anspruchsvollen Klimazielen ganz offensichtlich nicht um eine sachrationale Auswahl. Der 1,5-Grad-Beschluss erfüllt jedoch eine Reihe anders gelagerter Funktionen: die Sicherung von Legitimation für den UN-Verhandlungsprozess, der erkennbare Ausdruck des Willens zur Rettung des Planeten, die symbolische Anerkennung von Klimawandelrisiken sowie die Erleichterung eines Verhandlungsabschlusses. Für alle diese Funktionen gilt: Um sie kurzfristig zu erfüllen, ist eine konsequente Umsetzung gar nicht notwendig.

In einer komplexen Welt ist es illusorisch, ein konsistentes Handeln der Staaten zu erwarten

Dieses Verhalten als inkonsistent zu kritisieren, übersieht einen entscheidenden Punkt. Politiker müssen sich im Alltag stets bemühen, externe Unterstützung zu mobilisieren. Zugleich sind sie aber mit Ansprüchen einer Vielzahl von Interessengruppen konfrontiert, die nicht mit einander vereinbar sind. Der praktikabelste Weg, damit umzugehen, ist die selektive Ansprache. Manche Gruppen werden durch Reden angesprochen, andere durch Entscheidungen, wiederum andere durch konkretes Handeln. Unglücklicherweise wählen die meisten Regierungen bislang den Ansatz, progressiv über Klimaschutz zu reden und zu entscheiden, während ihr Handeln eher konservativ ausfällt. Möglich ist dies nur deshalb, weil das breite Publikum wie selbstverständlich davon ausgeht, dass ambitionierte Langfristziele auch entsprechendes Handeln zur Folge haben werden, bei der Umsetzung aber nicht mehr so genau hinsieht.

Intentionen sind im Alltag der Klimapolitik bislang weit wichtiger als konkrete Resultate. Beschlüsse über ehrgeizige globale Klimaziele waren bislang nicht Voraussetzung für entsprechendes politisches Handeln, für die meisten der 195 in Paris vertretenen Regierungen fungierten sie bislang eher als Placebo. Wenn die Weltgemeinschaft den Klimawandel wirksam eindämmen will, kommt es aber entscheidend auf die konkreten Resultate von Klimapolitik an, nicht auf die geäußerten Intentionen.

Es mag verführerisch sein, permanent die Diskrepanz zwischen Reden, Entscheiden und Handeln in der Klimapolitik anzuprangern. Doch in einer immer komplexeren Welt ist es illusorisch, eine widerspruchsfreie Politik zu erwarten. Es würde schon genügen, die Schwerpunkte der Inkonsistenz zu verschieben. Klimapolitik sollte sich deshalb künftig auf die Umsetzung ehrgeiziger Maßnahmen konzentrieren, Ziele und Visionen können hingegen auch vorsichtiger formuliert sein. Statt einem absehbaren Scheitern an unrealistischen Temperaturzielen könnte man sich auf diese Weise permanent selbst übertreffen und eine dauerhaft positive Dynamik im Klimaschutz etablieren.

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Von Christoph von Eichhorn, Marlene Weiß und Markus C. Schulte von Drach

Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist Experte für Klimapolitik.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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