Umgang mit Sexualstraftätern:Therapie statt Härte

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In der Politik dominiert in Deutschland der Trend, Sexualstraftäter immer länger wegzusperren. Experten stemmen sich dagegen - aus unterschiedlichen Gründen.

Angela Köckritz

Peter Schumacher hat einen Traum. Einen bescheidenen Traum, klein genug, dass er in ein Reihenhäuschen am Stadtrand passen würde. Kinder, Familie, eine Frau. Eine, die ihm die Tür aufmacht, wenn er abends nach Hause kommt. Eine, die nicht lacht, wenn er ihr seine Gedichte vorliest, die er in Schönschrift in ein Album malt. Eine, die nicht die Rechtschreibfehler sieht, sondern die Gefühle dahinter.

Bilder, die politischen Druck erzeugen: Das Grab der sechsjährigen Alexandra wurde Opfer eines Sexualverbrechens. (Foto: Foto: dpa)

Es klingt ganz einfach, aber das ist es nicht. Denn was immer Peter Schumacher (Name geändert) auch anpacken möchte, da ist "diese Sache", von der er spricht, als sei er Staatsanwalt. Das hat er in drei Jahren Gefängnis gelernt. Schumacher sagt "die Sexualstraftat", sich selbst nennt er "Sexualstraftäter".

Wenn er erzählt, dann klingt das, als wäre er am liebsten ein Anderer. In einem anderen Leben. Denn in seinem eigenen, sagt Schumacher, "ist eine Menge schief gelaufen".

Der Vater Polizist, die Mutter Hausfrau, beide wollen Leistungen sehen, doch das fällt Schumacher schwer. Er ist Legastheniker. Und Außenseiter. "Das ist wie bei einer Schnecke. Wenn die aus dem Haus kommt und man haut ihr immer auf die Fühler, dann kommt sie irgendwann nicht mehr raus."

Im Internet am Pranger

Schumacher möchte gerne Schreiner werden oder Klempner, doch keiner will ihn ausbilden. Und so wird er, was er nie werden wollte: Metzger. In der Lehre wird Schumacher sexuell missbraucht.

Alle sehen auf ihn herab, nur die eine nicht. In seiner Familie gibt es dieses Mädchen, 14 Jahre jünger als er. Sie bewundert ihn. Schumacher missbraucht sie, sieben quälende Jahre lang. Erst Jahre später zeigt das Mädchen ihren Peiniger an. Schumacher sitzt drei Jahre im Gefängnis ab, die verbleibenden fünf Monate werden auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt. Seit April vergangenen Jahres ist er draußen.

Ein entlassener Sexualstraftäter, das ist für viele Menschen eine Horrorvorstellung. In den USA stellt das Justizministerium Sexualstraftäter im Internet an den Pranger. Wer im "National Alert Registry" seine Postleitzahl eintippt, erhält die Namen der im Umfeld wohnenden Verurteilten, oftmals samt Foto und Adresse.

Wiederholt kam es zu Lynchjustiz, was die Gesetzgeber des Bundesstaates Ohio nicht davon abbringen konnte, ein verschärftes Gesetz zu verabschieden: Sexualstraftäter sollen fortan grün fluoreszierende Nummernschilder an ihre Autos montieren.

Sex und Verbrechen verkaufen sich gut

Auch in Deutschland findet die Idee des öffentlichen Prangers Anhänger, Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo forderte erst kürzlich eine öffentlich zugängliche Sexualstraftäterdatei. Er hat sich damit viel Kritik eingehandelt, denn die Verfassung gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung auszurichten. Wie aber soll einer in die Gesellschaft zurückfinden, auf den die Menschen im Supermarkt mit dem Finger deuten?

Resozialisierung, damit können viele Menschen gar nichts anfangen. Warum jemandem eine zweite Chance geben, der sich an Kinder und Frauen vergriffen hat und es vielleicht wieder tun würde?

Und das, während die Zahl der Sexualverbrechen ständig zuzunehmen scheint - zumindest in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Nach einer Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen glauben die Deutschen, dass die Zahl der Sexualmorde zwischen 1993 und 2003 um 260 Prozent angestiegen sei.

Tatsächlich sank die Zahl der schweren Sexualverbrechen in den alten Bundesländern zwischen 1981 und 2004 auf ein Drittel.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass in dieser Zeit die Privatsender in Deutschland auf Sendung gingen. Sex und Verbrechen verkaufen sich gut. Das verstärkt den Druck auf die Politik. So sagt Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU): "Wenn heute ein Verbrechen geschieht, sind wir damit viel stärker konfrontiert, als das früher der Fall war."

Der Druck setzt wiederum die Wahlkampfthemen. "In den vergangenen zehn Jahren ist Sicherheit Wahlkampfthema Nummer eins geworden, das galt vor allem für Schröder und Stoiber", sagt Norbert Nedopil, Leiter der Psychiatrischen Klinik der Münchner Uniklinik. Die sinkende Zahl der Delikte führt er übrigens auf die Überalterung der Gesellschaft zurück.

Die Strafen sind härter geworden. So hat sich die Zahl der Straftäter, die nach der Haft in Sicherungsverwahrung bleiben, in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Verdoppelt hat sich im gleichen Zeitraum auch die Zahl derer, die nach den Paragraphen 63 oder 64 des Strafgesetzbuchs aufgrund psychiatrischer Erkrankungen oder einer Sucht im Maßregelvollzug und damit in einer psychiatrischen Einrichtung landen.

"Es gibt heute eher die Bereitschaft, jemanden länger unterzubringen. Und das geht, wenn nicht die Voraussetzung für die Sicherungsverwahrung besteht, am ehesten im Maßregelvollzug", sagt Herbert Steinböck, Chefarzt der Forensischen Klinik in Haar bei München.

Denn die Sicherungsverwahrung ist ein verfassungsrechtlich verfängliches Instrument. Wird ein Straftäter über seine Strafe hinaus weggeschlossen, muss dies durch seine Gefährlichkeit gerechtfertigt werden.

Straftäter aber, die im Maßregelvollzug landen, verlassen diesen nicht nach Absitzen ihrer Haftstrafe, sondern erst dann, wenn sie als gesund genug gelten, um entlassen zu werden. Früher blieben sie dort durchschnittlich vier Jahre, heute sind es bereits sechs.

Jedes Opfer ist eines zu viel

Ob härtere Strafen etwas nützen, ist in der Fachwelt umstritten. Ja, meint Justizministerin Merk. Sie setzt auf Abschreckung. "Wir sind das Bundesland, in dem die Menschen am längsten hinter Gittern bleiben. Damit sind wir sehr gut gefahren." Nein, meint Psychiater Steinböck. "Strafverschärfung nimmt den Leuten die Hoffnung und damit den Willen zur Kooperation."

Zudem erhöhten zusätzliche Einschränkungen das Risiko. Verzichte man beispielsweise auf Freigänge, könne man den Häftling nicht erproben. Am Tag der Freilassung wisse man nicht, wie sich dieser in Freiheit verhalte. "Der scheinbare Sicherheitsgewinn schlägt dann in das Gegenteil um."

Es ist ein heikles Thema. Heikel, weil jedes Opfer eines zu viel ist. Heikel, weil Richter und Gutachter abwägen müssen, was keiner mit Sicherheit abzuwägen vermag - niemand kann in den Kopf eines Sexualstraftäters sehen. Heikel, weil immer ein Restrisiko bleiben wird. "Es gibt kein Allheilmittel", sagt Steinböck.

Selten rückfällig

In einem aber sind sich die Fachleute einig: Therapie hilft. Nicht allen, aber einem großen Teil. Bei etwa 40 Prozent der Sexualstraftäter sei sie sinnvoll, sagt Nedopil. Die Erfolgschancen seien abhängig vom Tätertypus.

So werden Inzesttäter selten rückfällig, bei Pädophilen liegt die Quote hingegen bei 80 Prozent. Im Durchschnitt könne Therapie das Rückfallrisiko um 30 Prozent senke, sagt Nedopil.

"Eine erfolgreiche Resozialisierung ist der beste Weg, die Bevölkerung zu schützen", sagt auch Merk. Sie setzt sich für eine Ausweitung der Therapieplätze in bayerischen Gefängnissen ein, kein sehr einfaches Thema für ihre Partei.

Das Therapieangebot ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, und die Unterschiede könnten sich in Zukunft noch verstärken. Denn der Strafvollzug ist nunmehr Ländersache, so bestimmt es die Föderalismusreform.

Doch was passiert, wenn der Straftäter entlassen wird? "Die Zeit nach der Entlassung ist besonders schwierig", sagt Merk. Peter Schumacher weiß das. Er war ziemlich alleine, als er aus dem Gefängnis kam.

Die Familie hatte sich von ihm abgewandt, nur zwei, drei Freunde hielten zu ihm. Fast ein Jahr lang suchte er Arbeit, bis er einen Chef fand, der bereit war, sich auf einen Sexualstraftäter einzulassen. Seit vier Monaten arbeitet Schumacher als Metzger im Verkauf.

Eine gefährlich lange Zeit

Er hat Glück gehabt. Er ist nicht rückfällig geworden. Vielleicht auch, weil es Menschen gibt, die sich um ihn kümmern. Untergebracht ist Schumacher in einer Einrichtung des Evangelischen Hilfswerks für entlassene Straftäter. Er besucht regelmäßig einen Therapeuten, eine Sozialpädagogin hilft bei Alltagsproblemen.

Nicht bei allen geht das so schnell. "Manchmal kann es ein, zwei Jahre dauern, bis die Therapie beginnt", sagt Gordon Bürg, Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerk München.

Eine gefährlich lange Zeit. Gerade für Straftäter, die auf dem Land leben, ist es schwer einen spezialisierten Therapeuten zu finden. Viele Therapeuten scheuen sich, einen Sexualstraftäter aufzunehmen, aus Angst vor den Konsequenzen, falls dieser rückfällig werden sollte. Fachleute hoffen daher auf eine Fachambulanz, wie es sie schon in Berlin und Stuttgart gibt.

Dort könnten entlassene Straftäter rund um die Uhr von spezialisierten Therapeuten betreut werden. "Untersuchungen in Stuttgart zeigen, dass die Rückfallquote dadurch um 30 bis 50 Prozent gesenkt werden konnte", sagt Bürg.

Peter Schumacher wurde schon viel betreut. Therapie in der Haft, Therapie nach der Entlassung - manchmal spricht Schumacher selbst schon wie ein Psychologe. Vielleicht macht es das alles ein bisschen einfacher, die große Herausforderung aber, die liegt noch vor ihm. Bislang hat er sein Opfer nicht getroffen. Vielleicht werden sie sich wieder begegnen können, "irgendwann einmal".

© SZ vom 3.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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