Weltraum:Was bedeutet der Ukraine-Krieg für die Raumfahrt?

Weltraum: So sollte der Rover "Exomars" mal über den Roten Planeten rollen. Doch aus dem europäisch-russischen Gemeinschaftsprojekt wird vorerst nichts.

So sollte der Rover "Exomars" mal über den Roten Planeten rollen. Doch aus dem europäisch-russischen Gemeinschaftsprojekt wird vorerst nichts.

(Foto: AOES medialab M.Thiebaut/AP)

Teure Projekte wie "Exomars" und der Betrieb der "ISS" stehen infrage. Warum besonders die Europäer in der Klemme stecken.

Von Alexander Stirn

Es hätte so harmonisch werden sollen, so freundschaftlich, allen irdischen Krisen zum Trotz: Ende September sollte in Baikonur eine russische Rakete mit einer ganz besonderen Fracht starten - einem europäischen Roboterfahrzeug. Das Gespann sollte zum Mars fliegen, wo acht Monate später eine russische Landeeinheit den europäischen Rover sanft im roten Staub abgesetzt hätte. So der Plan.

Am Montag die Kehrtwende: "Sehr unwahrscheinlich" sei es, dass die Mission wie geplant in diesem Jahr abhebe, ließ Europas Raumfahrtagentur Esa nach einem Krisentreffen ihrer Mitgliedsstaaten verkünden. Übersetzt aus dem Diplomatendeutsch heißt das: Es wird nicht passieren.

Der russische Angriff auf die Ukraine bedeutet auch für die internationale Raumfahrt eine Zeitenwende. Nur zu gerne hatten Raumfahrtverantwortliche in der Vergangenheit die vermeintlich völkerverbindende Wirkung ihres Tuns betont. Sie sangen das Hohe Lied auf Partnerschaften, auf Freundschaften. Sie waren überzeugt, die Raumfahrt schwebe über den Dingen, sei unpolitisch, könne irdische Konflikte überwinden. All das wird nun hinterfragt. Was diese Zeitenwende für die Zukunft der Raumfahrt bedeuten wird - in Europa wie in Russland - ist längst noch nicht absehbar. Die konkreten Folgen für laufende Projekte werden allerdings langsam klarer.

Mehr als eine Milliarde Euro hat der "Exomars"-Rover gekostet - alles fürs Museum?

Insbesondere Exomars, so der Name des russisch-europäischen Marsprogramms, dürfte die Folgen von Putins Krieg zu spüren bekommen. Exomars war ursprünglich ein Gemeinschaftsprogramm mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Als sich die USA 2011 aus dem Projekt zurückzogen und die Europäer nicht genug Geld hatten, um Exomars alleine zu stemmen, brauchten sie einen neuen Partner. Die Wahl fiel auf Russland. Der Deal: Die Europäer stellen das Roboterfahrzeug, die Russen stellen die Rakete und die Landeeinheit. Im Gegenzug dürfen sie zwei wissenschaftliche Instrumente auf dem Rover unterbringen.

Diese Abhängigkeit wird nun zum Problem. Zwar ist der Start noch nicht offiziell abgesagt - die Esa prüfe, so heißt es, alle Optionen und bereite dann eine formelle Entscheidung vor. Die Alternativen sind aber dürftig: Nur alle 26 Monate eröffnet sich aufgrund der gegenseitigen Stellung der Planeten eine günstige Startmöglichkeit zum Mars. Die Esa müsste somit, will sie nicht mit den Russen starten, eine eigene Rakete finden und innerhalb von zwei Jahren eine eigene Landeeinheit entwickeln. Ein sehr ambitionierter Zeitplan. Würden zwei weitere Jahre verstreichen, käme zudem ein dringend benötigter Relais-Satellit, der seit Oktober 2016 um den Mars kreist, ans Ende seiner Lebenszeit. Gut möglich, dass der Exomars-Rover, in den Europa mehr als eine Milliarde Euro gesteckt hat, reif ist fürs Museum.

Auf der Internationalen Raumstation ISS sind die Dinge noch komplizierter. Der orbitale Außenposten war einst ein Projekt des Kalten Krieges. Nach dem Fall der Sowjetunion wurden die Russen aber absichtlich an Bord geholt, um die Kooperation im All zu stärken. Das Motto dabei: Ohne den anderen geht es nicht. So erzeugt der westliche Teil, betrieben von den USA, Kanada, Japan und zehn europäischen Ländern, den größten Teil des Stroms. Das russische Segment mit seinen angedockten Raumkapseln ist hingegen dafür verantwortlich, die langsam zur Erde fallende Station von Zeit zu Zeit anzuheben. Beide Teile zu trennen, ist kaum möglich. In 400 Kilometer Höhe über der Erde sind Russland und der Westen aufeinander angewiesen, wenn beide weiter forschen wollen.

Hinter dem dünnen Vorhang der Kooperation brodelt es

Entsprechend verhalten fallen die ersten Statements aus. "Wir arbeiten weiterhin mit all unseren Partnern zusammen, um einen sicheren und kontinuierlichen Betrieb der ISS zu gewährleisten", sagte Nasa-Chef Bill Nelson am Dienstagabend in Washington. Auch im wöchentlichen Missionsbriefing des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) fand sich am Dienstag kein Wort zum Krieg und seinen Folgen für die ISS oder den deutschen Astronauten Matthias Maurer, der gerade an Bord ist. Alles wie immer, so die Botschaft.

Hinter dem dünnen Vorhang der Kooperation brodelt es allerdings. Russlands Raumfahrtchef Dmitri Rogosin, bekannt für seine Provokationen, brachte bereits ein Ende der Zusammenarbeit fürs Jahr 2024 ins Spiel - dem bislang vereinbarten Lebensende der ISS. Die USA würden dieses Datum gerne ins Jahr 2030 verschieben.

Überhaupt scheint Rogosin seit einigen Tagen auf einem privaten Feldzug zu sein: In den sozialen Medien wirft er der Esa wahlweise vor, sich selbst in den Fuß zu schießen oder den Kopf in den Sand zu stecken. Er verbreitet auf Telegram Botschaften, in denen Bundespräsident Steinmeier als "Pate des Nazi-Systems" bezeichnet wird. Er deutet an, dass die ISS den Europäern bei einem westlichen Rückzug - ganz zufällig - auf den Kopf fallen könnte. Er verkündet einen Abzug der russischen Sojus-Raketen, mit denen die Europäer bislang in Französisch-Guayana gestartet sind. Er will die einst geschätzten Partner finanziell zur Rechenschaft ziehen - nicht zuletzt die Deutschen.

Insbesondere eRosita scheint den Zorn des russischen Raumfahrtchefs auf sich gezogen haben. Das deutsche Röntgenteleskop ist eines von zwei wissenschaftlichen Instrumenten auf einem 2019 gestarteten russischen Satelliten. Nachdem die Bundesregierung angekündigt hatte, sämtliche Forschungskooperationen mit Russland vorerst auf Eis zu legen, wurde das Teleskop am Wochenende in eine Art Dämmerzustand versetzt. Wie lange? "Da müssen Sie den Herrn im Kreml fragen", sagt einer der beteiligten Wissenschaftler.

Womöglich also sehr lange.

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