Süddeutsche Zeitung

Überraschendes aus Grönland:Ewiges Grün unterm Eis

Lesezeit: 2 min

Forscher haben unter Grönlands Eispanzer bis zu einer Million Jahre alte Spuren von Wald gefunden. Die Insel hat also bereits Erwärmungen unbeschadet überstanden. Auch in Zukunft?

Axel Bojanowski

Was auf der Erde geschah, bevor es Menschen gab, die berichten konnten, schließt man aus Versteinerungen und Knochen. Doch diese Zeugnisse der Erdgeschichte ließen die eisbedeckten Regionen an Nord- und Südpol außen vor.

Kilometerdicke Gletscher schienen dort alle Lebensspuren zerquetscht zu haben. Nun öffnet eine Analysemethode aus der Genetik quasi ein Fenster in die Vergangenheit der Polarregionen.

Inmitten des grönländischen Eispanzers gelang es Forschern, eine bis zu eine Million Jahre alte Waldlandschaft zu rekonstruieren - anhand des Erbgutes von Pflanzen und Tieren, das in mikroskopisch kleinen Hautzellen am Grund des Eises lag.

Die Geschichte Grönlands muss nun umgeschrieben werden, was sich etwa auf Klimaprognosen auswirken könnte. Vermutlich lässt sich mit der Methode aus der Genetik auch in der Antarktis, ja sogar auf anderen Planeten nach Lebensspuren fahnden.

Das unterste Stück eines zwei Kilometer langen Eiszylinders, der 1981 aus dem Grönlandeis gebohrt wurde, schien eigentlich unbrauchbar zu sein. Es konnte nicht wie der übrige Bohrkern für Klima-Rekonstruktionen genutzt werden. Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen erkannte jedoch, dass der scheinbar wertlose Eiszylinder wertvolle Informationen enthielt.

Kiefern, Schmetterlinge und Fliegen

Mit einem internationalen Forscherteam gelang es Willerslev, aus Staubkörnern im Eis das Erbgut urzeitlicher Tiere zu ermitteln - mit der so genannten Polymerase-Kettenreaktion, einer Methode, die eigentlich zur Untersuchung des menschlichen Erbgutes dient. Das Ergebnis wird heute im Wissenschaftsblatt Science veröffentlicht (Bd. 317, S. 111, 2007).

Willerslev und seine Kollegen entdeckten in dem schmutzigen Eis eine längst untergegangene Welt: Wo Südgrönland heute von einem mehr als zwei Kilometer dicken Eispanzer bedeckt ist, sah es früher aus wie heute vielerorts in Schweden.

In Wäldern aus Eiben, Kiefern, Erlen, Fichten und Weiden schwirrten Schmetterlinge, Motten, Käfer und Fliegen umher. Auf bunten Wiesen wuchsen Rosen, Korbblütler wie Löwenzahn und Schmetterlingsblütler wie Wicken. Die Pflanzenarten zeigen, dass im Sommer zuweilen mehr als zehn Grad geherrscht haben.

Dass die Lebensspuren tatsächlich am Ort der Bohrung abgelagert wurden, schließen die Experten aus dem Zustand des Eises, der belegt, dass sich der Gletscher in jener Region nicht bewegt hat. Das Eis liegt dort in einer Mulde.

Wann Südgrönland von Wald bedeckt war, können die Experten allerdings nicht eindeutig sagen. Zwar ermittelten sie anhand von vier verschiedenen Bestimmungsmethoden das Alter des urzeitlichen Erbgutes. Es bleibt dennoch eine große Unsicherheit: Zwischen 130.000 und einer Million Jahre alt sind demnach die Lebensspuren. Wahrscheinlich liege ihr Alter aber zwischen 450.000 und 800.000 Jahren, schreiben die Forscher.

Stabiler als gedacht

Das neue Bild von der Vergangenheit Grönlands könnte im Hinblick auf den Klimawandel eine gute Nachricht sein. Denn als eine der größten Gefahren einer fortschreitenden globalen Erwärmung hatten Klimaforscher das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes ausgemacht - das Schmelzwasser lasse den Meeresspiegel schlagartig ansteigen.

Doch der Eispanzer ist stabiler als angenommen; er hat der neuen Studie zufolge seit mindestens 130.000 Jahren Bestand. "Wäre Südgrönland seither eisfrei gewesen, hätten jüngere Ablagerungen die älteren ersetzt", sagt Michael Hofreiter vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Mit-Autor der Studie.

Das Grönlandeis hat demnach mindestens eine Warmphase überstanden, in der die Temperaturen deutlich höher lagen als heute: die Eem-Warmzeit, die vor 125000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Weil der grönländische Eispanzer dieser Hitzeperiode widerstanden habe, könne er vermutlich auch eine künftige Erwärmung aushalten, folgern die Forscher.

Nun hoffen Hofreiter und seine Kollegen mit Hilfe der Gentechnik auch in der Antarktis am Boden von Eisbohrlöchern Lebensspuren zu entdecken. Dafür müssten die Wissenschaftler allerdings noch viel älteres Erbgut entschlüsseln als in Grönland - die Antarktis ist seit mehr als 30 Millionen Jahren von Eis bedeckt.

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Quelle:
SZ vom 6.7.2007
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