Typologie:Der Fan

Er reist seiner Mannschaft hinterher, kleidet sich in ihre Farben, wirbt für ihre Sponsoren. Mit Liebe zum Team hat das nichts zu tun. Der Fan will nur Freunde treffen, singen und sich im Erfolg der Spieler sonnen. Dass er den Erfolg nicht beeinflusst, weiß er nicht.

Philip Wolff und Jakob Schrenk

DER TOURIST

touri, dpa

Australien - Deutschland: Weiter kann man für seine Mannschaft nicht reisen

(Foto: Foto: dpa)

Fans wollen nicht unbedingt siegen - aber unbedingt reisen.

Tourismusexperten haben einen neuen Markt entdeckt: Fußballreisen. "Unsere Analysen zeigen ein riesiges Potenzial", sagt Herbert Woratschek, der an der Universität Bayreuth Dienstleistungsmanagement lehrt. In videogestützten Interviews haben seine Mitarbeiter das bislang privat organisierte Reiseverhalten deutscher Fans untersucht.

Mehr als 54 Stunden Filmmaterial hat Woratschek ausgewertet, die Ergebnisse erstaunten ihn selbst: Das Hauptmotiv, zu einem Spiel zu reisen, war demnach nicht die Unterstützung einer Mannschaft, sondern der soziale Kontakt zu anderen Fans. Nur etwa 20 Prozent der Befragten seien gereist, um die Spieler ihres Teams anzufeuern. Mehr als 50 Prozent suchten hingegen das Gemeinschaftserlebnis.

Reiseanbieter könnten solche Fahrten organisieren und mit einem Rahmenprogramm versehen, schlägt Woratschek vor - und zwar unabhängig vom Spielausgang, den Fans als eher unwichtig bewerteten: "Vor allem Weite und Dauer der Reise sind wichtig. Die Fahrt selbst ist das Entscheidende."

Der Fan

DER SÄNGER

Typologie: Singen heißt nicht siegen

Singen heißt nicht siegen

(Foto: Foto: dpa)

Mit Leiermelodik bringen Fans ihr Team in Form - glauben sie

Singende Fußballfans erinnern Musikhistoriker an Urmenschen. Denn der Stadion- Gesang ist dem Ursprung von Musik und Sprache eng verwandt: dem Affektlaut, den Johann Gottfried Herder einst "wehklagendes Stöhnen" genannt hatte.

Mit diesem stimmlichen Signal, so vermuten Forscher, koordinierten die ersten Menschen anstrengende Arbeit in Gruppen. "Ein solcher Arbeitsgesang ist auch der Fangesang. Er soll die Leistung der Mannschaft steigern", erklärt Reinhard Kopiez, Musikpsychologe an der Hochschule für Musik und Theater Hannover.

Als ästhetischer Beleg dafür gilt die so genannte Ruf-Terz, die in den meisten Fangesängen enthalten ist: Die Melodie folgt meist dem Vorbild des Kinderliedes "Backe, backe Kuchen" - "einem Terz-Quint-Sext-Modell", sagt Kopiez. Mit dieser Melodik sei jeder Mensch in der westlichen Hemisphäre von Kindheit an sozialisiert. Er kennt sie als Signal, das Handlung motiviert.

Entsprechend singen Fußballfans am häufigsten, um von der eigenen Mannschaft Leistung zu fordern - ein Ziel, das die Gesänge aber verfehlen, sobald es auf dem Fußballplatz nicht um konditionelle Tätigkeiten geht. "Beim Dauerlauf können Fangesänge helfen, aber wenn Spieler komplizierte Situationen erkennen müssen, kann der Gesang sie stören", sagt Kopiez, der das Buch "Fußball- Fangesänge" geschrieben hat.

Dennoch lässt der Fan das Singen nicht. Schließlich drückt es sein Gemeinschaftserlebnis auf den Rängen aus, das bestimmt ist von enttäuschten und erfüllten Erwartungen, "den stärksten emotionalen Reizen überhaupt, die affektiv verarbeitet werden", sagt Kopiez.

Im Gesang setzten die Fans ihre Affekte ins erleichternde Gruppenerlebnis um - auch dann, wenn das Spiel durch Aktionslosigkeit enttäuscht. In diesem Fall hält das Singen die motivierende Stimmung aufrecht. Häufig kommt es in solchen Situationen auch zu Sängerwettstreiten zwischen Anhängern unterschiedlicher Teams.

Dadurch entstehen Innovationen im Fangesang, wie sich vor allem nach internationalen Begegnungen feststellen lässt. So kam der Fangesang erst 1974 nach Deutschland - offenbar aus Großbritannien, wo die Fans bereits seit 1963 singen. Was die Fans der deutschen Nationalelf bei der diesjährigen WM von ihren Gegnern lernen, wird man einige Monate später bei Bundesligabegegnungen in den deutschen Stadien hören, sagt Kopiez.

Der Fan

Typologie: Immer auf der Seite der Sieger

Immer auf der Seite der Sieger

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DER NARZISST

Fans wollen sich im Siegesruhm sonnen - sie sind selbstsüchtig

Die Nationalmannschaft ist nicht allein der Star. Millionen deutscher Fußballfans erheben Anspruch darauf, am Status der Spieler teilzuhaben.

"Basking in reflected glory", sich sonnen im abgestrahlten Ruhm, nennt der Psychologe Robert Cialdini von der Arizona State University das Ziel des Publikums: Wir werden Weltmeister." Was sich anhört wie ein treuherziger Wunsch, sei in Wirklichkeit vom egoistischen Drang des Einzelnen gesteuert, in gutem Licht dazustehen, sagt der Sportpsychologe Bernd Strauß von der Universität Münster.

Fahnen schwenken, Trikots tragen - tiefere Gefühle der Zugehörigkeit stecken nicht dahinter: "Unsere Umfragen zur Identifikation mit der deutschen Nationalelf während der WM 2002 und der EM 2004 haben es gezeigt. Kommt das Team ins Endspiel, steigt die Team-Identifikation in der Bevölkerung um 50 Prozent." Verlierer hingegen verlieren Fans: "Cutting of reflected failure" nennen Psychologen das - abstrahlendes Versagen wird nicht angenommen.

Der Fan

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Hooligan in Haft

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DER HOOLIGAN

WM-Partys verhindern Gewalt

Bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal gab es viel weniger Schlägereien als befürchtet. Sonne und Urlaubsstimmung hätten den Hooligans die Lust auf Gewalt genommen, sagt der Fanforscher Gunter Pilz von der Universität Hannover.

Diese These bestätigt der Heidelberger Sozialpsychologe Henning Plessner, der Studien über Fußballgewalt ausgewertet hat. "Wenn Fans wegen allgemein guter Stimmung das Gefühl haben, Teil der großen Fußballfamilie zu sein, neigen sie weniger zu Gewalt." Umgekehrt könnte ein harter Einsatz der Ordnungskräfte zu Übergriffen selbst friedfertiger Fans führen. Statt martialischer Vorkehrungen fordert Pilz daher "mehr WM-Partys".

Der Fan

Typologie: St. Pauli Fan

St. Pauli Fan

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DER GLÄUBIGE

Fussball ist Götzendienst

David Beckham ist ein Gott, nicht nur für britische Fans. Die Statue des englischen Mittelfeldspielers steht in einem buddhistischen Tempel in Bangkok, ein Beweis in Gold: Fußball ist die einzige wirkliche Weltreligion.

Solche Parallelen zwischen Kicken und Glauben hat der Philosoph Markwart Herzog erkundet. Ihm fielen zunächst religiöse Metaphern auf, das "Wunder von Bern" etwa, der "heilige Rasen" oder das "erlösende Tor". Doch auch das Verhalten der Fans ähnelt dem von Gläubigen: "Sie ordnen ihre Woche nach Spieltagen, nehmen lange Pilgerfahrten zu Auswärtsspielen in Kauf und ihr Stadion betrachten sie als spirituelles Heim."

Dort sind alle gleich, ob arm oder reich, wie in der Kirche. Einen Unterschied gibt es aber dennoch: "Wirkliche Religion verspricht ewiges Leben. Das kann der Fußball nicht." Das sehen offenbar auch die ballverrückten Buddhisten so: David Beckham ist für sie nur eine untergeordnete Gottheit.

Der Fan

Fan, ddp

Sinnlose Hilfe: 1860er Fan

(Foto: Foto: ddp)

DER 12. MANN

Fans haben keinen Einfluss aufs Spiel - auch wenn sie das denken

Ein Irrglaube motiviert Fans, ins Stadion zu gehen. "Die Mehrheit der Fußballanhänger sitzt der Illusion auf, sie unterstütze ihr jeweiliges Team und beeinflusse den Spielausgang", meint der Sportpsychologe Bernd Strauß. Seine Studien in Football-Stadien haben gezeigt: Das Zuschauerverhalten hat keinen Einfluss auf die Leistung der Spieler.

Strauß hatte Tribünen und Spielfeld während vier verschiedener Begegnungen filmen lassen. Das Ergebnis: "Die Zuschauer reagieren auf das Handeln der Spieler, nicht aber umgekehrt." Dass Anfeuerungsrufe positive Effekte haben können, ließ sich nur bei konditionellen Leistungen nachweisen (siehe "Der Sänger"). Sonst aber können sie Leistungsdruck erzeugen, der die Konzentration stört, was zum Beispiel bei Elfmetern ganz leicht zu Patzern führt.

"Aufgrund empirischer Untersuchungen müssen wir annehmen, dass sich positive und negative Effekte der Fanaktivität im Fußball gegenseitig aufheben", sagt Strauß. So ist es auch nachweislich irrelevant, ob viele, wenige oder überhaupt keine Zuschauer anwesend sind, weshalb für Psychologen selbst ein von Fans verstärkter Heimspieleffekt ins Reich der Legenden gehört.

Zwar gibt es den Heimvorteil. Er habe den jeweiligen Heimmannschaften in der ersten Bundesliga zwischen 1963 und 1998 exakt 53,3 Prozent der Siege eingebracht, erläutert Strauß. Doch der Grund sei nicht in äußeren Begleitumständen von Spielen zu finden, wie Experimente gezeigt hätten: "Nur die positive Erwartung der Spieler selbst", sagt Strauß , "führt zu besseren Konditionsleistungen."

Der Fan

Typologie: Mexico Olé

Mexico Olé

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DIE ANHÄNGERIN

Frauen lieben WM-Fussball - aber noch mehr die Fussballer

Spätestens seit der WM 2002 ist es nicht mehr zu überhören: Die Frauen haben die Stadionränge erobert. Oft übertönen spitze Schreie sogar das männliche Gegröle.

Laut einer Emnid-Umfrage ist der Anteil Fußballbegeisterter in der weiblichen Bevölkerung während einer WM mittlerweile fast genauso hoch wie in der männlichen: Es steht nur noch 52 zu 51 Prozent für die Männer. Für den normalen Bundesliga-Alltag interessieren sich dagegen nur 18 Prozent der Frauen, aber 50 Prozent der Männer.

Der Sportsoziologe Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin vermutet, dass Frauen sich weniger für Fußball und mehr für Fußballer interessieren: "Die Frauen nutzen internationale Turniere, um 'ihre' Jungs mit denen anderer Nationen zu vergleichen." Sie sehen dann zwar, dass Figo eine glattere Haut hat als Schweinsteiger und Beckham eine bessere Frisur als Klose. Das beeinträchtigt ihre Treue zur deutschen Elf aber nicht.

Dass Frauen voyeuristisch Fußball sehen, hat auch Nicole Selmer beobachtet. Sie hat für ihr Sachbuch "Watching The Boys Play" weibliche Fans interviewt. Dabei fand sie auch heraus, dass Frauen sich im Gegensatz zu Männern in der Fankurve nicht so fühlen, als stünden sie selbst auf dem Feld. Ansonsten gibt es im Stadion aber kaum Geschlechtsunterschiede.

Der Fan

Typologie: Kleine Werbefläche

Kleine Werbefläche

(Foto: Foto: ddp)

DER WERBETRÄGER

Fans sind Reklameflächen - auf Marken achten nur WM-Besucher

Sie werben für Getränke- und Automarken, für Telefonfirmen, Banken und Versicherungen. Gekleidet in Mannschaftstrikots, fungieren Fußballfans als riesige, lebende Reklamefläche der Sportsponsoren. "Jeder achte Bundesbürger besitzt heute einen Fanartikel, meist ein Mannschaftstrikot", sagt die angehende Ethnologin Franziska Dost von der Humboldt-Universität Berlin.

Sie hat untersucht, was Hersteller und Händler von Merchandising-Produkten bislang nicht erfragten: Machen Fans gern Werbung? Gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabel Hartung besuchte Franziska Dost Fantreffen, Fanartikelmessen und Foren im Internet und wertete die Aussagen der Fußballanhänger aus.

Ihr Ergebnis: "Die Mehrheit der Kostümierten stellt die Firmenlogos im Bewusstsein zur Schau, damit dem Fußball insgesamt oder einem bestimmten Verein etwas Gutes zu tun", sagt sie. "Der einen Hälfte der Fans ist ihre Werberolle gleichgültig, die andere nimmt sie billigend in Kauf - unabhängig davon, was für eine Firma auf der Kleidung wirbt."

Nur ein verschwindender Prozentsatz der Fans will nicht Litfaßsäule spielen und schneidert die Stadion-Verkleidung selbst. Damit erklären Ethnologen den auf Rekordhöhe gekletterten Merchandising-Umsatz: Mehr als 100 Millionen Euro haben die Anhänger der 36 deutschen Klubs im bezahlten Fußball in der vergangenen Saison für Fanartikel ausgegeben.

Ein Ergebnis, das die WM-Wochen nach Prognosen des Marketingexperten Markus Voeth von der Universität Hohenheim um etwa das Hundertfache übertreffen werden. Voeth ließ 2093 Personen über 14 Jahren befragen, unabhängig davon, ob sie Fußballanhänger sind. Demnach konnten sich 40 Prozent der Deutschen vorstellen, WM-Textilien zu kaufen.

In der Akzeptanz solcher Produkte zeigen die oft nur temporären WM-Fußballanhänger laut Voeth allerdings Unterschiede zum eingefleischten Fan: "Sie kaufen T-Shirts eher, wenn das darauf beworbene Produkt etwas mit Fußball zu tun hat." Versicherungs- oder Bankenwerbung schreckt dagegen ab.

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