Tunguska-Katastrophe:Winzling mit Wucht

Als am 30. Juni 1908 in Sibirien ein Meteorit die Erde traf, kam es zu einer gewaltigen Explosion. Dabei war das kosmische Geschoss erheblich kleiner als bislang gedacht.

Thomas Bührke

Am 30. Juni 1908 kam es in der Nähe des sibirischen Flusses Tunguska zu einer gewaltigen Explosion. Im Umkreis von 50 Kilometern knickten mehrere Millionen Bäume um oder wurden entwurzelt. Noch in 65 Kilometer Entfernung zersplitterten in einem Dorf die Fensterscheiben.

Tunguska-Katastrophe: Das Tunguska-Ereignis

Das Tunguska-Ereignis

(Foto: Grafik: SZ/Eiden)

Ursache der gigantischen Explosion war der Einschlag eines Steinmeteoriten. 60 Meter Umfang habe das kosmische Geschoss wohl gehabt, glaubten Wissenschaftler lange Zeit.

Mark Boslough an den Sandia National Laboratories in Albuquerque, US-Bundesstaat New Mexico, ist nun mit Hilfe von neuen Computersimulationen zu dem Ergebnis gekommen, dass der Himmelskörper möglicherweise erheblich kleiner war als bislang angenommen. Das bedeute, dass Wissenschaftler die verheerende Wirkung von Meteoriten bislang generell unterschätzt haben.

Bosloughs Computersimulationen, die er kürzlich auf einer Tagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union vorstellte, zeigen mehr Details als vorherige Rechnungen dieser Art. Ihnen war bislang ein wesentlicher Vorgang entgangen. Meteoriten rasen mit durchschnittlich 20 Kilometer pro Sekunde, also vielfacher Schallgeschwindigkeit, in die Atmosphäre hinein.

Durch die Reibung erhitzen sie sich sehr rasch von außen nach innen. Dies führt zu Spannungen in dem Material, die den Körper in mehreren Kilometern Höhe explodieren lassen kann.

Bosloughs Rechnungen demonstrieren, wie nach der Detonation ein Strahl extrem heißer Luft, einem gebündelten Feuerstrom gleich, weiter auf die Erde zurast. Trifft dieser Jet auf die Oberfläche, löst er Druck- und Hitzewellen aus, die die Umgebung verwüsten können.

Damit unterscheidet sich die Wirkung eines Meteoriteneinschlags von der Explosion einer Atombombe, mit der sie häufig verglichen wird. Für das Tunguska-Ereignis hatten Wissenschaftler bislang eine Sprengkraft von 10 bis 20 Megatonnen angenommen, was etwa dem Tausendfachen der Atombombe von Hiroshima entsprechen würde. Boslough meint nun, dass bereits ein Viertel dieser Sprengkraft ausgereicht haben könnte, wenn man die Wirkung des Jets mit einbezieht. Damit hätte der Meteorit von Tunguska auch nur etwa ein Viertel der bislang angenommenen Masse besessen.

Da diese kosmischen Bomben umso häufiger vorkommen je kleiner sie sind, ist damit das Risiko eines Einschlags wie vor knapp 100 Jahren in Sibirien höher als angenommen. Wie hoch es wirklich ist, lässt sich nur schwer abschätzen, weil sich Brocken mit wenigen zehn Metern Durchmesser mit Teleskopen nur in Erdnähe aufspüren lassen.

Winzling mit Wucht

Die bislang beste Methode, um den Meteoritenstrom zu messen, entwickelte vor fünf Jahren ein Forscherteam um Peter Brown von der University of Western Ontario, Kanada. Das Team hatte erstmals Aufnahmen empfindlicher Überwachungssatelliten auswerten dürfen, mit denen das amerikanische Verteidigungsministerium Atombombenexplosionen aufspüren wollte.

Stattdessen fanden sich auf den Bildern die Lichtblitze verglühender Meteorite. Aus den Helligkeiten berechneten sie die Größen der Meteorite und konnten so deren Häufigkeit in der Größenordnung von einem bis zu mehreren zehn Metern ermitteln. Brown und Kollegen kamen damals zu dem Ergebnis, dass man etwa alle 1000 Jahre mit einem Tunguska-Ereignis rechnen müsse. Nach Bosloughs Rechnungen tritt es etwa alle 300 Jahre ein.

Wie sich die neuen Ergebnisse auf die Risikoeinschätzung von großen Asteroiden mit Durchmessern von einem oder mehreren Kilometern auswirken, kann Boslough noch nicht sagen. Diese Körper haben verheerende regionale oder, ab etwa fünf Kilometern Durchmesser, globale Folgen. Bei ihnen hängt die Wirkung sehr stark vom inneren Aufbau ab. Raumsonden, die zu Asteroiden und Kometenkernen geflogen sind, haben gezeigt, dass einige dieser Körper einen sehr porösen, lockeren Aufbau besitzen.

Wenn ein solcher Körper in die Atmosphäre hineinrast, bricht er bereits in großer Höhe auseinander und entwickelt nur eine geringe Sprengkraft. Auf der anderen Seite gibt es seltene Eisenmeteorite. Sie explodieren nicht so leicht, sondern schlagen als ganzer Körper auf der Erdoberfläche ein. Auch dies hat nur eine begrenzte Wirkung. Am gefährlichsten sind solide Steinmeteorite, die weit in die Atmosphäre eindringen und in wenigen Kilometern Höhe detonieren, so wie es Boslough simuliert hat.

Wie häufig diese unterschiedlichen Meteoritenarten sind, ist eine offene Frage. Ein Asteroideneinsturz mit globalen Folgen ereignet sich aber nach heutigem Wissen alle 50 bis 100 Millionen Jahre. Die Untersuchung des inneren Aufbaus von Asteroiden und Kometenkernen ist eine der Aufgaben zukünftiger Weltraummissionen.

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