Türkische Umweltinitiative:"Viele türkischstämmige Berliner nehmen die Mülltrennung ernster als ihre Nachbarn"

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Türkische Umweltinitiative: Unterwegs im Mariannen-Kiez mit Gülcan Nitsch

Unterwegs im Mariannen-Kiez mit Gülcan Nitsch

(Foto: Sascha Montag/Zeitenspiegel)

Yeşil Çember ist die erste türkischsprachige Umweltschutzinitiative in Deutschland. Gründerin Gülcan Nitsch weiß, wie man Einwanderer überzeugt: Mit Appellen an den Glauben und heißem Tee.

Interview von natur-Autor Markus Wanzeck

Ein kalter Freitagmorgen in Berlin-Kreuzberg. Die Wiege der türkischsprachigen Umweltbewegung in Deutschland wirkt unwirtlich. Grau der Himmel. Grau die Stadtlandschaft am Kottbusser Tor. Das NKZ, ein mit Satellitenschüsseln gespickter 1000-Menschen-Wohnklotz, liegt wie eine Betonschranke über der Adalbertstraße. Davor, darunter: das Café Simitdchi. Eilige Laufkundschaft an der Theke. An den Tischen Menschen mit Zeit, manche sind reich damit gesegnet. Vor ihnen: dampfender Schwarztee und Simitler, türkische Sesamkringel. Hier sind wir mit Gülcan Nitsch verabredet. Erst ein Tee. Dann ein Spaziergang durch den Kiez, in dem alles begann.

Nitsch: Guten Morgen! Tut mir leid, dass ich etwas spät dran bin. Es war ein langer Abend gestern. Hier, schauen Sie.

Sie zieht ein Faltblatt aus ihrer Umhängetasche. "Yeşil Evlilik" steht darauf, "Grün Heiraten".

Diese Kampagne haben wir gestern Abend offiziell gestartet, zusammen mit einem Ökostrom-Anbieter und einer nachhaltigen Bank. Es gab eine Pressekonferenz, auch der türkische Vizekonsul war da. Wir möchten, dass die Menschen an ihrer Hochzeit nicht nur sich selbst, sondern auch die Umwelt glücklich machen.

natur: Hat man am Hochzeitstag nicht schon genug andere Sorgen?

Türkische Hochzeiten sind unglaubliche Konsumveranstaltungen. Allein schon die Größe! Man lädt einfach jeden ein, den man kennt. Und verschuldet sich oft dafür. Als ich 15 war, hat meine ältere Schwester geheiratet - mehr als 1000 Gäste! Da die türkische Tradition keine Wunschliste kennt, bekommt das Hochzeitspaar vieles doppelt geschenkt. Warum also nicht eine Wunschliste, um Verschwendung zu vermeiden? Warum nicht Mehrweg- statt Einweggeschirr? Warum nicht Einladungen auf Recyclingpapier? Wir wollen die Aufmerksamkeit auf die CO₂-Bilanz des Heiratens lenken.

Nicht sehr romantisch.

Tja. Die Berge an Geschenken sind auch nicht romantisch. Und Schuldenberge schon gar nicht. Außerdem ist die Hochzeit ein guter Anlass, um in seinem Leben Weichen zu stellen. Wenn ein Paar zusammenzieht - das ist doch der ideale Zeitpunkt, um den Stromanbieter oder die Bank zu wechseln.

Welche Umweltschutzpotenziale sehen Sie?

Wir könnten viele tausend Tonnen CO₂ einsparen. Allein beim Generalkonsulat in Berlin haben letztes Jahr 220 türkische Paare geheiratet. Deutschlandweit dürften es 2000 bis 3000 sein.

Ein Bruchteil der türkischstämmigen Menschen in Deutschland.

Das stimmt. Allein in Berlin dürften um die 220 000 Türkischstämmige leben, deutschlandweit drei Millionen. Aber wir haben ja auch noch andere Kampagnen. (Sie zieht weitere Infobroschüren aus ihrer Umhängetasche.) Hier, darin geht es um ökologisches Putzen. Und das ist "Atomausstieg selber machen". Die türkische Version. In zehn Jahren haben wir mehr als 50 000 Menschen mit unseren Kampagnen erreicht. Und wir sind ständig gewachsen. Heute engagieren sich über 100 Ehrenamtliche in zwölf deutschen Großstädten für Yeşil Çember ("Grüner Kreis", Anm. d. Red.). Wir hoffen, dass uns bald 2000 Ehrenamtliche unterstützen - und wir so bis zum Jahr 2020 eine Million Menschen erreichen!

Aus natur 06/2016

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  • natur 06/2016

    Der Text stammt aus der Juni-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 06/2016 auf natur.de...

Klingt ähnlich ambitioniert wie Merkels Ziel, bis 2020 eine Million E-Autos auf die Straßen zu bekommen.

Man muss sich große Ziele setzen - und sich dafür engagieren. Gerade auch wir türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Wir leben seit 50 Jahren hier. In vierter Generation. Und wir sind in so vielen Bereichen aktiv. Doch beim Umwelt- und Klimaschutz sind wir noch ein kleines, kleines Lichtlein. Das muss sich ändern! Dann wird die türkische Community auch ein positiveres Bild in der deutschen Gesellschaft bekommen.

Was prägt dieses Bild?

Zumindest in Berlin ist es doch so: Wenn der Tiergarten mal wieder vermüllt ist, heißt es, das waren die Türken, die ein Grillfest gefeiert haben.

Ist das aus der Luft gegriffen?

Ich bin gegen Pauschalisierungen. Natürlich gibt es türkische Familien, die ihre Picknickabfälle im Park liegenlassen. Aber auch solche, die sehr vorbildlich sind. Viele türkischstämmige Berliner nehmen die Mülltrennung ernster als ihre deutschen Nachbarn. Und die türkische Community ist selbst sehr heterogen: Aleviten, Kurden und so weiter. Wer, wie ich, hier geboren ist und einen deutschen Pass hat, bei dem wird es noch komplizierter.

Nitsch erblickt eine Freundin, winkt ihr zu. Sie tritt an unseren Tisch. "Merhaba!", grüßt sie, beginnt eine Unterhaltung auf Türkisch. Nitsch zeigt auf mich.

Nitsch: Er spricht übrigens kein Türkisch.

Freundin: Oh, kein Problem. Ich dachte, in einem türkischen Café, dass sie auch Türkisch sprechen würden.

Leider nicht.

Freundin: Na, wir sind auch der deutschen Sprache mächtig ... Wie ich höre, unterhalten Sie sich gerade über Yeşil Çember. Eine gute Sache! Auch der türkischstämmige Teil der Gesellschaft sieht, was mit der Umwelt passiert. Der ist nicht auf den Kopf gefallen. Aber es braucht konkrete Anleitungen und Rituale, damit die Menschen lernen, wie sie selbst zur Lösung der Probleme beitragen können.

Nitsch: Nehmen Sie zum Beispiel unsere Broschüre über das Putzen. Die haben wir hier in Kreuzberg tausendfach verteilt. Da werden ganz gezielt Handlungsanweisungen gegeben, die kulturelle Eigenheiten berücksichtigen. Türkische Frauen sind nämlich regelrechte Putzfetischistinnen. Für die deutsche Community sind diese Broschüren nicht so relevant.

Sind die Deutschen nicht so reinlich?

Jedenfalls hantieren sie nicht mit 20 verschiedenen Reinigungsmitteln. Und schon gar nicht mit diesen giftigen Sachen, die Sie hier in Kreuzberg überall in den türkischen Geschäften kaufen können. Schwefelhaltiges Zeug, das in Deutschland eigentlich gar nicht mehr erlaubt ist. Oder chlorhaltige Mittel. Damit reinigen viele sogar ihre Teegläser, damit die Ränder schön sauber werden. Ich hoffe nur, dass das hier im Café nicht gemacht wird.

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