Worum geht es?
Die Werke von Mishka Henner strahlen eine grausige Eleganz aus. Tausende schwarze Punkte wuseln in seiner Bildserie "Feedlots" auf pastellfarbenem Untergrund. Dünne Rechtecke umzäunen die zahllosen Tupfen, die Parzellen aneinandergereiht wie Häuserblocks. In der Mitte liegt ein blutroter See (hier können Sie die Bilder betrachten). Es sind Mastbetriebe in Texas, die der belgisch-amerikanische Künstler in Kunst verwandelt hat, mithilfe von Satellitenaufnahmen. So gigantische Ausmaße hat die Massentierhaltung erreicht, dass sie sich nur mehr vom Weltraum aus erfassen lässt. Bis zu hunderttausend Rinder mästet eine einzelne der texanischen Anlagen, ihre Gülle ergießt sich in künstliche Seen in der Prärie.
Diese durchindustrialisierte Tierhaltung hat dafür gesorgt, dass heute kein Staat so viel Rindfleisch produziert wie die USA. Alleine in Texas gibt es 13 Millionen Rinder, unter 26 Millionen Texanern. Gerne würden die Amerikaner ihre Steaks auch nach Europa verschiffen. Doch die EU verbietet Wachstumshormone im Tierfutter, ohne die eine so hochgefahrene Produktion undenkbar wäre.
Nicht nur die amerikanischen Rinderzüchter hoffen jetzt auf das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, um solche Hemmnisse zu beseitigen. Die US-Geflügelindustrie, ebenfalls zum weltgrößten Produzenten aufgestiegen, drängt nach Europa, genauso wie die Produzenten von genverändertem Saatgut, das in den USA einen Großteil der Felder beherrscht.
Doch mit einem solchen Widerstand aus Europa dürften sie kaum gerechnet haben. Besonders das Chlorhuhn ist zum unheiligen Symbol des Vertragswerks geworden. "Mit mir wird es Chlorhühnchen nicht geben", versprach SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz im Europawahlkampf. Justizminister Heiko Maas sekundierte mit der gleichen Botschaft ans Volk. Kanzlerin Angela Merkel versprach den Deutschen höchstpersönlich, amerikanisches Geflügel von ihrem Teller fernzuhalten, als ginge es um feindliche Raketen.
Klar ist: Lebensmittel sind das Aufregerthema bei TTIP - die hohen europäischen Lebensmittelstandards seien in Gefahr, warnen die Gegner. Deren Befürchtungen zufolge drohen mit dem Freihandel Plagen biblischen Ausmaßes in deutschen Küchen: Hormonfleisch, Klonsteaks, Genfood, Chlorhühnchen.
Aus Sicht der Amerikaner könnte man viele der Streitpunkte in den Verhandlungen schnell abhaken. Beispiel Chlorhühnchen: Seit Jahrzehnten benutzen amerikanische Geflügelverarbeiter Substanzen wie Chlordioxid oder aktiviertes Natriumchlorit, um Geflügel nach der Schlachtung von Keimen zu befreien. Diese Stoffe töten krankmachende Keime wie Campylobacter oder Salmonellen ab - und dienen damit aus der Sicht der Züchter dem Verbraucherschutz. 20 Milliarden Kilo Geflügel behandeln die USA damit jährlich. In der EU wird das Industrie-Geflügel hingegen nur mit heißem Wasser abgesprüht.
Das amerikanische Landwirtschaftsministerium stufte das Chlor-Verfahren wiederholt als sicher ein, die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA konnte 2005 keine Gefahren ausmachen. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung hält die Desinfizierung mit Chlor für unbedenklich, sieht das Verfahren jedoch eher als mögliche Ergänzung zu bestehenden Hygienemaßnahmen.
Also viel Aufregung um nichts? Ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn mit der Frage nach Unbedenklichkeit ist die Diskussion nicht beendet; sie fängt gerade erst an.