Süddeutsche Zeitung

Tsunami 2004:Unheil aus dem Meeresboden

Wieso löste das Seebeben von 2004 einen so extremen Tsunami aus, dass mehr als 230.000 Menschen sterben mussten? Ein internationales Forscherteam glaubt, die Antwort zu kennen.

Christopher Schrader

Eine Kreuzfahrt vor der indonesischen Insel Simeulue erscheint reizvoll, bis man sich erinnert, dass es sich um einen Ort des Grauens handelt.

Am zweiten Weihnachtstag des Jahres 2004 erschütterte ein gewaltiges Seebeben der Stärke 9,2 die Insel und löste einen Tsunami aus. Er riss insgesamt mehr als 230.000 Menschen auf dem 150 Kilometer entfernten Sumatra sowie in Küstenorten am Indischen Ozean zwischen Thailand und Tansania in den Tod.

Drei Monate später bebte die Erde vor Simeulue wieder, die Stöße der Magnitude 8,7 waren etwas schwächer, der Tsunami hatte aber daran gemessen geringe Ausmaße.

Einen Grund für den frappierenden Unterschied glauben nun britische, amerikanische und indonesische Geologen gefunden zu haben: Beim ersten Beben habe eine Schicht relativ weicher Sedimente die Wirkung des Erdbebens verstärkt, beim zweiten hingegen nicht (Science, Bd.329, S.207, 2010).

Auf diese Sedimentschicht sind die Forscher bei ihrer Kreuzfahrt vor Simeulue gestoßen. Mit dem Forschungsschiff Sonne, dessen Einsätze die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe koordiniert, waren sie 2500 Kilometer kreuz und quer durch die Erdbebenzone gefahren. Dabei zogen sie spezielle Bojen hinter sich her, die mit Pressluft Schallimpulse im Wasser erzeugen. Deren Reflexionen an verschiedenen Schichten des Erdbodens lassen sich mit seismischen Geräten auswerten.

So stießen die Geologen auf eine etwa 500 Meter dicke Schicht von Sedimenten, die eine geringere Dichte haben als das umgebende Gestein und schwächer sind. "Im Indischen Ozean reichern sich sehr viele Sedimente aus dem Ganges an, gerade in der Tiefsee vor Sumatra", sagt Birger Lühr vom Geoforschungszentrum in Potsdam. "Viele Wissenschaftler nehmen an, dass sie schwere Beben begünstigen können."

So auch die Geologen um Simon Dean von der englischen University of Southampton. Laut ihrem Science-Aufsatz könnte die weiche Sedimentschicht beim Weihnachtsbeben dazu beigetragen haben, dass sich die zuvor verhakten Erdplatten besonders weit gegeneinander verschoben und so den gewaltigen Tsunami auslösten.

Beim Ereignis zu Ostern des folgenden Jahres fehlte eine solche Schicht, die gleichsam als Schmierstoff zwischen den Erdplatten wirkt. Tatsächlich habe es um die Bruchzonen vieler starker Seebeben herum große Mengen von Sedimenten gegeben, sagt Kelin Wang vom kanadischen Geologischen Dienst in einem begleitenden Kommentar in Science. Er nennt die Beispiele Chile 1960, Alaska 1964 und das Beben vor dem heutigen Vancouver im Jahr 1700.

Birger Lühr hingegen ist nicht überzeugt. "Wenn die Sedimente die Verschiebung der Erdplatten erleichtern, wie konnte sich dieser enorme Druck aufbauen?", fragt er. Um brauchbare Theorien aufzustellen, habe die Erdbebenforschung zu wenige Fallbeispiele und zu viele störende Faktoren. Das zweite Beben vor Sumatra sei eben eine halbe Magnitude schwächer gewesen und habe in flacherem Wasser stattgefunden. "Außerdem gab es mehr Inseln - vielleicht erklärt das, warum der Tsunami kleiner war."

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Quelle:
SZ vom 09.07.2010/mcs
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