Trotz Super-GAUs in Fukushima:Japan setzt wieder voll auf Atomkraft

Das zerstörte AKW Fukushima Daiichi im März 2013

Das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2013

(Foto: Reuters)

Die Regierung in Tokio hängt so sehr an der Atomkraft, dass sie unbedingt zeigen will, dass selbst die Folgen einer Groß-Katastrophe wie die von Fukushima zu bewältigen sind. Dabei bekommt der Betreiber Tepco die Reaktorruinen von Fukushima 1 noch immer nicht in den Griff.

Von Christoph Neidhart

Nur wenig mehr als zwei Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wollen vier Betreiber japanischer Atomkraftwerke im Juli die ersten Meiler wieder anfahren.

Ermutigt von Premier Shinzo Abe bereiten sie derzeit ihre Gesuche vor. Zugleich ließ der Premier die Sperrzone Futaba nördlich des im März 2011 havarierten Kraftwerks Fukushima 1 aufheben.

Die Gemeinde Futaba, in der 7000 Menschen lebten, ist damit wieder zugänglich. Abes Regierung tut alles, um den Anschein zu erwecken, die Krise nähere sich ihrer Überwindung - und Japan könne zu seiner früheren Nuklearpolitik zurückkehren.

Allerdings dürfen die Bewohner von Futaba nicht in ihren Häusern wohnen, zumeist auf Jahrzehnte nicht: Die Strahlung ist viel zu hoch. Die "Sperrung aufzuheben" bedeutet nur, dass sie in Stippvisiten von dort Sachen holen dürfen. Bislang war auch das in Futaba untersagt. Dennoch lässt Tokio das Kommunalgebäude von Futaba wieder aufbauen.

Einige weniger verstrahlte Nachbargemeinden sind aufwendig dekontaminiert worden. Die Häuser wurden mit Druckwasser abgespritzt, die oberste Erdschicht abgetragen. Die Strahlung reduzierte sich dadurch aber nur geringfügig.

Die Regierung drängt die Evakuierten dennoch, in ihre Häuser zurückzukehren, auch Familien mit Kindern. Bei Kindern, die nicht sofort evakuiert oder nach der Katastrophe in der Präfektur Fukushima blieben, auch in Dörfern, die als "sicher" eingestuft worden waren, beobachten die Ärzte inzwischen eine hohe Rate an Knötchen in der Schilddrüse.

Der russische Biologe Alexej Jablokow, ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Moskau, erwartet, in einem Jahr werde man die ersten Krebsfälle feststellen.

Zur Dekontaminierung von Dörfern und ganzen Gegenden sagte der Russe jüngst in Tokio, das sei gar nicht möglich. Was in Fukushima geschehe, schaffe mehr Probleme, als es löse. Das Wasser mit den radioaktiven Isotopen fließt in den Boden oder die Kanalisation, die abgetragene Erde wird in Deponien gelagert. In Tschernobyl sei man zu dem Schluss gelangt, dass man die verstrahlte Gegend auf Jahrzehnte sich selber überlassen müsse.

Doch das widerspricht dem Konzept der Regierung Abe, die unbedingt zeigen will, dass selbst die Folgen dieser Groß-Katastrophe zu bewältigen sind - mithin, dass Atomkraft beherrschbar ist. Nur so konnte Premier Abe als Handlungsreisender für die japanische Nuklearindustrie Vietnam, die Türkei oder die Vereinigten Arabischen Emirate besuchen. Auch Indien will er Meiler verkaufen.

Große Probleme mit der Reaktorruine

Derweil bekommt die Betreiberfirma Tepco die Reaktorruinen von Fukushima 1 nicht in den Griff. Pro Minute dringen 300 Liter Grundwasser in die Ruine ein. Hochverseucht, etwa mit dem Isotop Strontium 90, müssen sie rund um die Uhr abgepumpt und gelagert werden.

Dafür baut Tepco ständig neue Tanks und Becken, inzwischen lagern 250 000 Tonnen verseuchtes Wasser hinter der Ruine. Ab und zu leckt ein Tank, dann sickern Dutzende Tonnen radioaktiven Wassers in den Boden. Jüngst hat Tepco deshalb laut darüber nachgedacht, ob man verseuchtes Wasser nicht doch in den Pazifik ableiten könnte.

Die vier Atomkraftwerke, die nun wieder ans Netz gehen sollen, sind Sendai auf Kyushu, Takahama an der japanischen See, Ikata auf der Insel Shikoku und Tomari auf der Nordinsel Hokkaido. Sie müssen allerdings zuerst eine neue Sicherheitsprüfung bestehen, deren Details erst im Juli veröffentlicht werden sollen. Waren bei Prüfungen vor der Katastrophe von Fukushima auch Reaktoren als sicher eingestuft worden, die in Deutschland nie eine Chance auf eine Genehmigung gehabt hätten, soll die neue Aufsichtsbehörde NRA nun durchaus strenge Kriterien anlegen.

Nach Ansicht eines Insiders wird aber entscheidend sein, wie sorgfältig die NRA letztlich prüft und ob sie dem Druck der Regierung standhält. NRA-Chef Shunichi Tanaka, einst eng mit der korrupten Atomwirtschaft verbandelt, hat die Skeptiker bisher positiv überrascht. Seine Behörde hat dem Schnellen Brüter Monju die Verletzung von 11.000 Sicherheitsvorschriften nachgewiesen und jede Betriebsvorbereitung untersagt. Damit dürfte dieses einstige Zukunftsprojekt endgültig Vergangenheit sein.

Auch das Atomkraftwerk Tsuruga wird eingemottet werden müssen. Die NRA hat eine bereits bekannte Erdbebenbruchlinie als aktiv beurteilt. Nun untersucht die Behörde aktive Bruchlinien unter drei weiteren Reaktor-Standorten. Außerdem hat sie festgehalten, elf Meiler würden nicht einmal den Sicherheitsvorschriften von 1975 genügen, darunter alle drei des Kraftwerks Mihama.

Selbst wenn die NRA den Neustart einiger Meiler zulässt und die lokalen Behörden - aus finanziellen Überlegungen und unter dem Druck Tokios - dem ebenfalls zustimmen: Japans Atomstrom-Produzenten sind nur noch Rumpfgebilde dessen, was sie einst waren.

Versuchsreaktor Tokai
Neuer Atomunfall

Japan hat seinen nächsten Atomunfall. Im Versuchsreaktor Tokai im Nordosten von Tokio schrillte am Donnerstag ein Alarm, ein Teilchen-Beschleuniger hatte sich überhitzt. Die Forscher schalteten den Alarm ab und arbeiteten weiter - bis ihre Instrumente eine hohe Strahlung meldeten. Dann öffneten sie die Fenster, um die Radioaktivität abzulassen. Der Unfall wurde am Dienstag auf Stufe 1 der siebenteiligen Skala klassiert. 33 Arbeiter bekamen Strahlung ab, nicht nur einige wenige, wie es erst hieß. Der Reaktor gehört der Japan Atomic Energy Agency (JAEA), die auch den Schnellen Brüter in Monju betrieb. "Aus Fukushima nichts gelernt", konstatierte eine japanische Zeitung.

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