Troja:"Das war keine Kuhweide, das war Stadtplanung"

Neue Funde untermauern, dass Troja eine größere Stadt war als bislang angenommen. Ein Gespräch mit Grabungsleiter Ernst Pernicka.

Johan Schloemann

Die diesjährigen Grabungen in Troja, an der Nordwestküste der Türkei, gehen in den nächsten zwei Wochen zu Ende. Doch zuvor kann der Tübinger Grabungsleiter Ernst Pernicka noch bemerkenswerte neue Funde präsentieren, die der Diskussion über die Bedeutung des Ortes im 2.Jahrtausend vor Christus neuen Stoff geben.

Troja: Seit Homer hat sich jeder sein eigenes Troja vorgestellt. Der Archäologe Ernst Pernicka fügt nun neue Erkenntnisse hinzu.

Seit Homer hat sich jeder sein eigenes Troja vorgestellt. Der Archäologe Ernst Pernicka fügt nun neue Erkenntnisse hinzu.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Was haben Sie mit Ihrem Team in Troja gerade gefunden?

Ernst Pernicka: Wir haben in diesem Jahr unsere Abschlussarbeiten fortgesetzt, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert werden. Es geht darum, die Grabungstätigkeit von Manfred Korfmann zu einem sinnvollen Ende zu bringen und wissenschaftlich zu publizieren. Das heißt nicht, dass alle Forschung in Troja aufhören wird; aber in erster Linie werten wir die Befunde aus, und das wird auch im nächsten und übernächsten Jahr noch andauern. Doch begleitend machen wir noch relativ kleine Ausgrabungen. Die aber waren in diesem Sommer besonders erfolgreich. Unser verbleibendes Ziel ist es ja, den Verlauf des Grabens, der die Unterstadt des bronzezeitlichen Troja umgibt, im Südosten und Osten der Stadt zu verfolgen. Damit soll die Größe von "Troja VI" und vielleicht auch von "Troja VII" - also dem "homerischen" Troja bis etwa 1200 vor Christus - besser definiert werden.

SZ: Das war der Streitpunkt der berüchtigten Kolb-Korfmann-Kontroverse vor einigen Jahren: Wir groß war das bronzezeitliche Troja?

Pernicka: Genau. Schon in den letzten Jahren konnten wir unwahrscheinlich machen, dass der Graben bloß ein Abwassergraben war, wie man behauptet hatte; von uns wird er als Verteidigungsanlage interpretiert. Nicht nur die Zitadelle von Troja mit ihrer mächtigen Burgmauer - mit 8-Meter-Basis und 10 Metern Höhe - war gegen Feinde gerüstet, sondern eben auch die Unterstadt, aber nicht durch eine Mauer, sondern durch einen Graben. All das liegt unter den griechischen und römischen Besiedlungen, das heißt, wir graben zur dritten Stadt von oben - was sehr zeitaufwendig ist, denn die jüngeren Ruinen können wir ja nicht einfach wegbaggern.

SZ: Und nun haben Sie Ihre Deutung des Grabens weiter bestätigt gefunden?

Pernicka: Ja, wir haben einen überraschenden Fund gemacht: ein weiteres Tor. Das ist eine auffällige Unterbrechung des Grabens, die als Südosttor der Unterstadt zu deuten ist. Diese Erklärung wird verstärkt dadurch, dass wir auch eine Straßenpflasterung entdeckt haben, die außerhalb der Unterstadt liegt, also jenseits des Grabens, vor dem Tor. Außerdem haben wir zwei große Tongefäße gefunden, die nicht zum Herumtragen geeignet sind. Der Ertrag dieser Funde ist: Wir finden im Grabenbereich, und sogar außerhalb, Siedlungstätigkeit.

SZ: Aus welcher Zeit stammt denn der Graben?

Pernicka: Er wurde in Troja VI Mitte angelegt, also etwa im 15. Jahrhundert vor Christus. Aber er wurde später wieder zugeschüttet - die Füllung ist auch bronzezeitlich - und weiter nach außen verlegt. Das kann nur bedeuten, dass sich die Stadt wegen Raumbedarfs weiter ausgedehnt hat. Die Unterstadt muss dicht besiedelt gewesen sein.

SZ: Und die Straßenpflasterung außerhalb des Grabens ist aus derselben Zeit?

Pernicka: Nein, durch Keramikfunde lässt sich bestimmen, dass die Pflasterung sogar aus der Periode "Troja VI früh" stammt - das muss heißen: Der Graben nimmt mit seiner Tor-Unterbrechung auf einen älteren Weg Rücksicht. Insgesamt haben wir jetzt drei Toranlagen mit sternförmig zur Burg hinführenden Wegen nachweisen können. Das ist keine Kuhweide, das ist Stadtplanung.

SZ: Und die neu gefundenen Gefäße?

Pernicka: Eines davon liegt eingetieft in die Grabenfüllung. Das zweite, 50 bis 60 Zentimeter groß, liegt außerhalb des Grabens bei der Straße. Beide Gefäße sind wahrscheinlich auf Troja VI spät oder Troja VIIa zu datieren, also in die Blütezeit, in der die homerische Ilias "spielt". Auch die Gefäße sind Anzeichen für Siedlungstätigkeit - 300 bis 350 Meter von der Burg entfernt.

"Das war keine Kuhweide, das war Stadtplanung"

SZ: Das eine Gefäß ist leer, das andere dagegen ist offenbar noch nicht ausreichend freigelegt, um seinen Inhalt untersuchen zu können.

Pernicka: So ist es. Der große Topf war mit Steinen bedeckt, die ihn oben eingedrückt haben. Dieser Befund ist noch nicht ganz klar. Aber es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist es ein Vorratsgefäß oder auch eine Urne.

SZ: Eine größere Unterstadt des bronzezeitlichen Troja - was hat das für historische Implikationen?

Pernicka: Damit ist noch besser als zuvor belegt, dass wir am richtigen Ort graben. Wir kennen ja aus Dokumenten des Hethiterreiches eine Stadt und/oder ein Land namens Wilusa, das mit dem griechischen Ilios (Wilios) gleichzusetzen ist. Das ist der Schauplatz der "Ilias" Homers. Wilusa ist in Nordwestanatolien anzusiedeln. Es gibt aber keinen Ort in dieser Region in dieser Größe, der stattdessen das "wahre" Troja sein könnte; die nächstgrößere bronzezeitliche Ansiedlung ist um den Faktor 10 kleiner. Dazu passen auch die topographischen Beschreibungen in der "Ilias".

SZ: Es war eine große, reiche Stadt?

Pernicka: Sonst wäre der Ort nicht so stark befestigt gewesen.

SZ: Könnte man auch nach Ihren Ausgrabungen noch annehmen, dass der Graben der Unterstadt doch einen anderen Zweck hatte als die Verteidigung?

Pernicka: Der Graben ist ein enormes Bauwerk: im Schnitt 4 Meter breit und 2Meter tief. Wir vermuten, dass der Aushub daneben zu einem Wall aufgehäuft war. Das ist ein beachtliches Bollwerk gegen Angreifer - unüberwindliches Hindernis für den Streitwagen, den Panzer der Bronzezeit. Für eine Abwasserrinne ist der Graben zu breit, zudem war er, wie wir jetzt wissen, mindestens dreimal unterbrochen. Und er hat ein Gefälle, mal hoch, mal runter - für eine Abflussrinne auch nicht gerade praktisch.

SZ: Es geht hier ja nicht um eine griechische Stadt, sondern um eine anatolische, die vielleicht mit den Hethitern verbunden war. Das Interesse daran aber ist so groß, weil im griechischen Mythos ein großer Angriff auf diese Stadt unternommen wird. Wie interessant wäre Troja historisch, wenn es keine Trojanische Sage gäbe, keinen Homer, keine "Ilias"?

Pernicka: Mein Vorgänger Manfred Korfmann hat immer mit Recht gesagt: Zunächst brauchen wir Homers "Ilias" nicht. Troja ist eine wichtiger und interessanter Fundort für die gesamte Bronzezeit. Was hier an diesem exponierten Ort gefunden wird, ist Referenzmaterial für die ganze Nord-Ägäis.

SZ: Aber mit "Ilias" ist es noch interessanter?

Pernicka: Natürlich, denn es ist interessant, darüber nachzudenken, was das wohl für Kämpfe zwischen Ost und West waren, die sich vielleicht im Homertext spiegelt: eine Auseinandersetzung, die sich immer mehr erhellt, nicht so sehr aus der Archäologie, sondern aus hethitischen Textquellen. Daraus wird klar, dass Troja/Wilusa, wie andere kleinere Fürstentümer an der kleinasiatischen Westküste, wohl als Vasallenstaat vom Hethiterreich abhängig war.

SZ: Jetzt haben Sie gerade neue Funde gemacht - stimmt es, dass die Grabungen trotzdem in den nächsten Jahren eingestellt werden?

Pernicka: Nein, die Forschung in Troja kann durchaus weitergehen; meine Grabungslizenz, die ich bei der türkischen Antikenverwaltung jedes Jahr beantrage, kann auch immer wieder erneuert werden. Das andere ist, dass man für diese Forschungen Geld und Mitarbeiter braucht - und diese Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft gehen bald zu Ende. Entweder wir erarbeiten uns neue Fragestellungen und erreichen so eine weitere DFG-Finanzierung - oder wir finden andere Geldgeber.

SZ: Es soll auch ein Museum in Troja entstehen?

Pernicka: Die Ausgrabungen haben ein enormes Publikumsinteresse geweckt. Die Zahl der jährlichen Besucher ist auf eine halbe Million angestiegen. Da aber in Troja, anders als in Ephesos oder Pergamon, keine Gebäude zu sehen sind, nur Grundmauern, ist hier die anschauliche Visualisierung im Museum, in dem wir unsere Funde zeigen und erklären wollen, besonders wichtig. Wir sind da auf einem guten Weg, der türkische Kulturminister hat uns kürzlich besucht und zugesagt, der Bau eines Museums in Troja stehe ganz oben auf seiner Agenda.

SZ: Sie kommen ja persönlich eher aus der naturwissenschaftlichen Richtung der Archäologie. Stört es Sie, dass der Mythos immer wieder das objektive Material zu überlagern droht?

Pernicka: Ach, nein. Natürlich erscheint es mir bei der Arbeit eher nützlich, dass ich nicht mit abendländisch-humanistischem Bildungspathos an die Sache herangehe. Aber es ja auch nicht ganz abwegig, im späteren Mythos - wenn auch noch so märchenhaft verformte - Reaktionen auf historisches Geschehen zu sehen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es Kämpfe um die Beherrschung der anatolischen Westküste gegeben hat, an denen die Achäer (Griechen) aus dem Westen beteiligt waren, die "Wikinger der Bronzezeit". Homer, für den Troja sozusagen ein Erinnerungsort war, kann uns nicht die Geschichte des Mittelmeerraums im 15. bis 12. Jahrhundert vor Christus erklären. Aber er muss sie uns auch nicht verstellen.

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