Trend zum Familienstammbaum:Opa war ein Henker

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Die Genealogie, die Erforschung der eigenen Familiengeschichte, ist zum neuen Hobby der Deutschen geworden. Doch nicht alle sind mit den Ergebnissen zufrieden.

Arno Makowsky

Der Moment, als die Familie aus dem Schwäbischen alles über ihre Vorfahren erfuhr, muss ein Schock gewesen sein. Man hatte für viel Geld einen Genealogen engagiert, einen Familienforscher, der in alten Kirchenbüchern recherchiert und das Internet nach Zeugnissen der Vergangenheit durchforstet.

Trend zum Familienstammbaum: Das Ziel aller Ahnenforscher - ein weit verzweigter, doch übersichtlicher Stammbaum.

Das Ziel aller Ahnenforscher - ein weit verzweigter, doch übersichtlicher Stammbaum.

(Foto: Grafik: Stefan Blaich)

Bis ins Mittelalter war der Mann vorgedrungen; schließlich gab es Gerüchte, die Familie sei einst adelig gewesen. Und was kam heraus? Die Recherchen ließen leider keine Zweifel zu. Die Vorfahren waren über Generationen: Henker.

Als Claus Billet, der Familienforscher, diese Geschichte erzählt, muss er selbst lachen. "Die haben gesagt: Nein, das wollen wir nicht, hören Sie auf!" Erschwerend kam hinzu, dass die Kunden auf der Suche nach einem schönen Familienwappen waren, wie es vor Jahrhunderten bei Adeligen und in gehobenen bürgerlichen Kreisen üblich war.

Billet sollte herausfinden, ob die Familie einst so eines geführt hatte. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie dieses Wappen ausgesehen haben muss: rotes Beil auf schwarzer Kapuze, oder so ähnlich. Jedenfalls nicht das, was man gerne im Bekanntenkreis herumzeigt.

Gefragte Ahnenforscher

Claus Billet betreibt Familienforschung ganz professionell. Eigentlich nennt er sich "Heraldiker", also Wappenkundiger, der die Informationen über die Vorfahren seiner Kunden dafür verwendet, um bunte Familienwappen oder kunstvoll verschnörkelte Stammbäume zu zeichnen.

Befragt, wie die Geschäfte laufen, sagt er gleich: "Wahnsinn! Den ganzen Tag läutet das Telefon." Wobei die meisten Leute nur von ihm wissen wollten, wie sie etwas über ihre Familie herausfinden können - "und wenn ich denen ein paar Tipps gegeben habe, höre ich nichts mehr von ihnen."

Dabei wären solche Menschen nicht auf die Hilfe dieses redlichen Experten aus dem schwäbischen Filderstadt angewiesen. Überall im Land mühen sich Vereine um private Ahnengeschichten, im Internet gibt es ein unüberschaubares Angebot an einschlägigen Seiten, und im Online-Buchshop "Amazon" können Interessierte unter mehr als 100 deutschsprachigen Gebrauchsanweisungen zum Thema wählen - vom Titel "Genealogie für Dummies" bis zum "Abenteuer Ahnenforschung". Ganz offensichtlich ist die Genealogie, die Erforschung der eigenen Familiengeschichte, zum neuen Hobby der Deutschen geworden.

Interesse auch bei den Jungen

Überraschend daran ist vor allem, dass die Suche nach den eigenen Wurzeln nicht mehr, wie früher, vor allem Rentner oder egomane Adelige umtreibt. Wenn der Freiburger Historiker Volker Jarren, der sich auf Genealogie spezialisiert hat, in Kirchenarchiven stöbert oder in Standesämtern recherchiert, trifft er immer öfter junge Menschen. "Ich bin überrascht, wie viele das Thema zu interessieren scheint", sagt er, "früher fragten mich die Leute an der Uni immer: ,Genealogie? Was ist das denn?'"

Nach wie vor hat dieser Begriff keinen guten Klang. Seit die Nazis von jeder deutschen Familie einen "Ariernachweis" verlangten, wird die "Geschlechterkunde" unselig mit der NS-Ideologie in Verbindung gebracht. Die genealogischen Vereine halfen damals bereitwillig mit, Kampfbegriffe wie "Sippe" und "überlegene Rasse" zu verbreiten. Von diesem Missbrauch hat sich die Genealogie lange nicht erholt. Immerhin dient der "Ahnenpass" der Großeltern vielen jüngeren Hobbyforschern als Grundlage für ihre eigenen Recherchen.

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