Tödliche Hunde-Attacke:Und plötzlich will er nicht nur spielen

Der tödliche Angriff eines Husky-Mischlings auf ein Kind bestätigt: Aggression von Hunden ist keine Frage der Rasse, sondern der Erziehung.

Peter Stenitzer

An diesem Wochenende war es ein Husky-Mischling, also keiner der umstrittenen "Kampfhunde". Es war sogar der eigene Familienhund, der in Cottbus einen Kinderwagen umwarf und ein acht Wochen junges Kind totbiss.

Husky Hunde Angriff Attacke Getty Images

Es war der eigene Familienhund, der in Cottbus einen Kinderwagen umwarf und ein acht Wochen altes Baby totbiss.

(Foto: Foto: Getty Images)

Anders als bei ähnlichen Attacken der vergangenen Jahre war der Hund von seinen Besitzern wohl auch nicht auf Angriff und Aggression gedrillt worden.

Der Fall scheint dennoch zu bestätigen, was Hundeexperten seit längerem sagen: Nicht die Rasse eines Hundes macht seine Aggression aus, sondern der richtige Umgang zwischen Herrchen und Tier.

Trotz des seit zehn Jahren geltenden Bundesgesetzes zur "Bekämpfung gefährlicher Hunde" kommt es immer wieder zu Angriffen von Hunden auf Menschen.

Im August 2009 attackierte ein American Bulldog einen vierjährigen Jungen und biss ihn in den Kopf. Das Kind überlebte schwer verletzt. Kurz zuvor war ein 14-jähriges Mädchen in Magdeburg von einem Staffordshire-Terrier in die Hüfte gebissen worden. Die Besitzerin des Hundes verschwand mit dem Tier, ohne sich um das Opfer zu kümmern.

Am 10. September 2009 war es ein Bernhardiner, der ein fünfjähriges Mädchen ins Gesicht biss. Am selben Tag attackierte ein Pitbull-Terrier-Mischling seinen Besitzer und biss ihn in den Arm und in den Bauch. Sein Herrchen hatte ihn gemaßregelt, weil er einen Welpen, der neu in den Haushalt gekommen war, angegriffen hatte.

Gleich zwei Rottweiler attackierten im vergangenen Dezember einen 67-Jährigen auf einem Firmengelände. Im gleichen Monat verletzte ein Dobermann erst sein Herrchen und fiel dann einen Vater mit seinen drei Kindern an.

Immer wieder die gleichen Rassen

Bei Berichten über derartige Vorfälle scheinen immer wieder die gleichen Hunderassen aufzutauchen: Bullterrier, American Staffordshire-Terrier, Staffordshire Bullterrier und Pitbull-Terrier, um nur einige zu nennen. Es sind Rassen, die per Gesetz in Deutschland als gefährlich eingestuft werden.

Im Bundesgesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde werden neben diesen Rassen auch "deren Kreuzungen sowie nach Landesrecht bestimmte Hunde" einbezogen. Landesbehörden dürfen die Liste noch erweitern.

Die Hunde auf diesen Listen sind allgemein unter dem Begriff "Kampfhunde" bekannt. Betrachtet man die Zuchtgeschichte einiger Rassen, ließe sich diese Bezeichnung durchaus rechtfertigen.

Pitbull-Terrier, Bullterrier und Staffordshire Terrier wurden einst gezüchtet, um in grausamen Hundekämpfen zu bestehen. Der Mastino Napolitano, der in einigen Bundesländern auf der Liste steht, wurde schon im alten Rom gezüchtet, um im Circus zu kämpfen oder auf Schlachtfeldern zu wüten. Der Dogo Argentino, ebenfalls in einigen Bundesländern als gefährlich eingestuft, wurde in Südamerika zur Jagd auf Raubkatzen gezüchtet. Und doch: Es ist nicht die Zuchtgeschichte, die Hunde gefährlich macht.

"Man kann den Begriff Kampfhund nicht an der Rasse festmachen. Rassen bestehen aus vielen Individuen mit individueller Lebensgeschichte und individueller sozialer Lebensweise mit ihrem oder ihren Menschen. Und darauf kommt es an: Wie wurden die Tiere erzogen? Wie gut und zuverlässig können sie von ihren Menschen im Verhalten beeinflusst werden?

Ein gefährlicher Hund ist ein nicht allgemein sozialisiertes Wesen, das keine Rituale im Umgang mit Menschen gelernt hat, keine Tabuzonen kennt und Menschen gegenüber distanzlos ist. Die Rasse spielt, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle", sagt Ethologin Dorit Feddersen-Petersen von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, eine weltweit anerkannte Expertin für Verhaltensforschung bei Hunden.

Doch warum bezeichnet der Gesetzgeber dann explizit diese Rassen als gefährlich?

"Der Halter ist verantwortlich"

"Das hat einen komplizierten Hintergrund. Viele Rassen haben aufgrund ihrer Zuchtgeschichte den Ruf, besonders stark, mutig und aggressiv zu sein. Deshalb sind sie oft in kriminellen Milieus beliebt. Aber da ist in Wirklichkeit nicht der Hund verantwortlich, sondern immer nur der Halter", erklärt Franz Breitsamer, von der Regierung von Oberbayern öffentlich bestellter und vereidigter Hunde-Sachverständiger.

Tödliche Hunde-Attacke: Ein Staffordshire-Mischling. Staffordshire-Terrier gelten als gefählich. Doch eigentlich sind die Halter verantwortlich für Angriffe.

Ein Staffordshire-Mischling. Staffordshire-Terrier gelten als gefählich. Doch eigentlich sind die Halter verantwortlich für Angriffe.

(Foto: Foto: dpa)

Da man in Deutschland nicht grundlos die Anschaffung von Hunden verbieten könne, wurden eben unter Mitwirkung zahlreicher Sachverständiger Rasselisten erstellt. Viel besser wäre es jedoch, sagt Breitsamer, wenn die zuständigen Behörden ohne Angabe von Gründen einzelnen Personen die Haltung von Hunden verbieten könnten.

Auch eine Studie der Universität Hannover, durchgeführt von den Veterinärmedizinerinnen Angela Mittmann und Tina Johann, führt zum Schluss, dass nicht die Rasse einen Hund gefährlich macht. Mittmann wertete die Wesenstests von 415 Hunden der Rassen American Staffordshire-Terrier, Bullterrier, Rottweiler, Dobermann und Staffordshire Bullterrier, sowie Hunde vom Pitbull-Typus aus.

Als Kontrollgruppe dienten 70 Golden Retriever, die als zutraulich gelten. Beim Wesenstest werden Hunde verschiedenen Situationen ausgesetzt, die zum Angriff reizen können. Der Test wird vom Gesetzgeber angeordnet, um das Aggressionsverhalten eines Hundes zu untersuchen.

Kein Zusammenhang zwischen Rasse und Aggression

Die Studie zeigte keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich des aggressiven Verhaltens der verschiedenen Hunderassen. Ein Hund dürfe sich und seinen Herrn gegen Angriffe verteidigen, sagt Breitsamer, "aber nicht auf jede Reizsituation mit Angriff reagieren".

Reizsituation, das bedeutet aus Hundesicht: Irgendetwas ist anders. So könne zum Beispiel eine Begegnung mit einem Gehbehinderten, der sich ungewöhnlich bewegt, einen Hund reizen, erklärt Breitsamer. Dann liege es am Halter, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Und genau das gelingt nicht immer.

"Viele Halter sind nicht in der Lage, ihrem Hund Sicherheit durch die nötige Erziehung zu geben, oder sie pflegen nur ein partnerschaftliches Verhältnis mit ihm. Solche Hunde wissen nicht, was von ihnen erwartet wird und was Tabuzone ist", sagt Feddersen-Petersen.

Hunde stammen bekanntermaßen von Wölfen ab und sind daher bestrebt, sich in einem Rudel einzuordnen. Ein Hund braucht Führung, muss sich am Verhalten des Menschen orientieren und lernen, dass der Mensch stets der Ranghöhere ist. Mit ausgebildeten Hunden passieren die wenigsten Unfälle", sagt Breitsamer.

Das klingt logisch. Kampfhunden wird aber eine weitere Eigenschaft nachgesagt. Sie sollen auch eine höhere Beißkraft haben als andere Hunde. "Das wurde noch nie wissenschaftlich nachgewiesen", sagt Feddersen-Petersen.

Tatsächlich gibt es keine Studie, die eine angeblich höhere Beißkraft von Kampfhunden bestätigen würde. Das sagt auch Breitsamer, fügt jedoch hinzu, dass "bei einem Bullterrier oder einem Rottweiler nach meiner Erfahrung wahrscheinlich mehr Kraft dahintersteckt als bei einem Hovawart oder einem Golden Retriever".

Viele Halter sind mit ihrem Hund überfordert

Paragraph 28, Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung schreibt vor, dass eine Person "geeignet sein" muss, einen Hund zu führen. Doch diese Eignung zu kontrollieren, ist schwer.

Zwar gibt es strenge Verordnungsrichtlinien, die es fast unmöglich machen, die Genehmigung zur Haltung eines sogenannten gefährlichen Hundes zu bekommen. In München zum Beispiel ist ein Antrag auf Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Hundes beim zuständigen Kreisverwaltungsreferat einzubringen.

Zudem muss ein Sachkundenachweis und ein von der Stadt ausgestelltes Führungszeugnis eingereicht werden, der Hund muss verhaltensgerecht und ausbruchsicher untergebracht werden und benötigt eine Mikrochipkennung.

Zu guter Letzt muss der Halter noch eine Haftpflichtversicherung und ein "berechtigtes Interesse an der Hundehaltung" nachweisen können. Das berechtigte Interesse können zum Beispiel wissenschaftliche Forschungen sein. Aufgrund dieser Regelungen gibt es eine gute handvoll mit Genehmigung der Behörden gehaltene Listenhunde in München.

Die Dunkelziffer schätzt Breitsamer jedoch allein für München auf gut hundert illegale Tiere. Abgesehen davon kann sich jeder Hunde zulegen, die nicht auf der "Kampfhunde"-Liste stehen.

Hunde brauchen einen "Rudelführer"

Viele Menschen schaffen sich aber einen Hund an, ohne zu wissen, wie sie mit dem Vierbeiner umgehen müssen. Die Tiere brauchen eine feste Rangordnung und müssen beschäftigt werden. Dazu reicht das Gassigehen nicht aus.

Ein Hund benötigt konsequente Führung und möchte von seinem "Rudelführer" Aufgaben zugewiesen bekommen. Feddersen-Petersen empfiehlt: "Wer sich einen Hund nehmen will, sollte sich bei einem Tierarzt mit Erfahrung in Verhaltenskunde bei der Auswahl eines geeigneten Hundes beraten lassen."

Dieser gute Rat wird selten beherzigt. Die Konsequenz sind Herrchen und Frauchen, die mit ihrem Hund schlichtweg überfordert sind.

Ein Hoffnungsschimmer wäre eventuell ein Hundeführerschein, für den man eine Prüfung ablegen muss. So eine Prüfung gibt es in Deutschland bereits: Den Dogs-Owner-Qualifications-Test, kurz D.O.Q-Test.

Diese Prüfung besteht aus einem praktischen und einem theoretischen Teil, dauert etwa zwei Stunden und soll Aufschluss über das Wesen und den Gehorsam des getesteten Hundes geben. Prinzipiell kann der theoretische Test bei jedem Tierarzt gemacht werden (www.doq-test.de). Der Haken: Der Test wird auf freiwilliger Basis abgelegt - und kostet bis zu 150 Euro pro Hund.

Geld, das sich viele Halter lieber sparen. Und damit sich und ihrem Hund die Chance nehmen, ein besseres Verhältnis sowohl zueinander als auch zu ihrer Umwelt aufzubauen.

Ein verpflichtender Hundeführerschein könnte die Situation zumindest verbessern, sagen Breitsamer und Feddersen-Petersen übereinstimmend. Weil der Hundeführerschein aber auch Ländersache wäre, wird eine einheitliche Regelung dafür wohl nie zustande kommen.

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