Geschichte:Karl der Große und die Gicht

Portrait of Charlemagne

Macht ist vergänglich und der Mensch mit fortschreitendem Alter gebrechlich - eine Erfahrung, die auch Karl dem Großen nicht erspart blieb.

(Foto: De Agostini/Getty Images)
  • Wissenschaftler kommen in einer neuen Studie zu dem Schluss, dass Karl der Große von der Gicht geschwächt wurde und dann an einer Infektion starb.
  • Die Forscher hatten historische Quellen mit einem bislang unveröffentlichten Bericht von der letzten Exhumierung des Herrschers verglichen.

Von Hubert Filser

Die Probleme fingen früh an, genau genommen vier Jahre vor seinem Tod. Die Fieberschübe häuften sich, die Gelenke schmerzten. Zeitweise musste der Kaiser sogar humpeln. Die Ärzte rieten ihm, endlich auf gebratenes Fleisch zu verzichten, sein Lieblingsgericht. Stattdessen sollte Karl der Große nur noch gekochte oder gedünstete Speisen zu sich nehmen. Aber da wollte der mächtige Herrscher nicht mitmachen.

Der Tod kam schnell: Weder eine in letzter Minute aufgezwungene Fastenkur noch der Verzicht auf Alkohol konnten daran etwas ändern. Nach einer Woche fiebrigen Dahinsiechens starb Karl der Große am 28. Januar 814 im Alter von 66 Jahren. Die genauen Umstände sind gut belegt, der fränkische Gelehrte Einhard schildert sie in der "Vita Karoli Magni". Nur über die genaue Todesursache rätseln Wissenschaftler bis heute.

In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Economics and Human Biology gibt es nun eine neue These. Präsentiert hat sie ein Team um den deutschen Anthropologen Joachim Schleifring und den Schweizer Evolutionsmediziner und Mumienexperten Frank Rühli. Beide glauben, dass Karl der Große - geschwächt von Gicht - entweder an einer Lungenentzündung oder einer anderen Infektionskrankheit wie Malaria starb. Bisher gab es dafür aber keine Beweise.

In historischen Aufzeichnungen wird hingegen öfters ein asbesthaltiges Tischtuch erwähnt, das angeblich am Ende großer Bankette ins Feuer geworfen wurde. Zum Erstaunen der Gäste verbrannte das Tuch nicht. Wissenschaftler vermuteten deshalb lange, dass Karl der Große regelmäßig gefährliche Asbestpartikel eingeatmet hatte. Das soll ihm einen Tumor im Bereich von Lunge und Herz eingebracht haben - wie ihn auch heute Menschen haben, die mit Asbest in Berührung kommen. "Bei der letzten Autopsie ließen sich aber keine spezifischen Veränderungen am Brustkorb feststellen, die auf eine Tumorerkrankung hindeuten, auch keine Hinweise auf chronische Erkrankungen", sagt der Evolutionsforscher Rühli. Die Asbest-Theorie gilt inzwischen als unwahrscheinlich.

Für die neue Studie haben die Wissenschaftler nun historische Quellen mit einem bislang unveröffentlichten Untersuchungsbericht deutscher Anthropologen abgeglichen. Der Bericht stammt von der letzten Exhumierung des Herrschers im Mai und Oktober 1988, als man die Überreste des Kaisers im Dom von Aachen in einen Eichensarg umbettete. Mit dabei war damals Joachim Schleifring, der Co-Autor der Studie.

Er fotografierte damals die Details des Skeletts, dokumentierte jeden einzelnen der insgesamt 94 erhaltenen Knochenfragmente. "Sie waren mit goldenen und roten Fäden oder dünnen Bändern auf eine dunkelrote Unterlage aufgenäht", erinnert sich Schleifring. Wobei das Skelett irgendwie unvollständig und beschädigt auf ihn wirkte. Aus gutem Grund: Über die Jahrhunderte hinweg wurde das Grab immer wieder von Räubern und anderen Ruhestörern geöffnet. Manche Körperteile landeten anschließend als Reliquien in halb Europa.

Der Anthropologe Schleifring bemerkte bei der Sargbesichtigung Kristallablagerungen und weißliche Verfärbungen auf den Knochen. Aber für Aufsehen sorgte beides erst, als Frank Rühli und seine Mitarbeiter die Details neu interpretierten. Sie fanden Hinweise auf Gicht. Die Stoffwechselerkrankung verläuft in Schüben und führt dazu, dass sich Harnsäurekristalle in den Gelenken ablagern. Dadurch werden Knorpel und Gelenke geschädigt, was wiederum zu Entzündungen und sichtbaren Veränderungen etwa im großen Zeh führen kann.

Ein Blick auf die Schienbeine reicht: Karl der Große war tatsächlich sehr groß

Bei Karl dem Großen könnte häufiger Verzehr von gebratenem Fleisch ein Auslöser für die Gicht gewesen sein. Dazu passt es gut, dass sich der Kaiser regelmäßig in heißen, schwefelhaltigen Thermalquellen in der Nähe von Aachen erholte. Die Kuraufenthalte könnten ein Indiz dafür sein, dass er rheumatische Beschwerden wie Gicht oder andere Gelenkprobleme hatte. Das viele Jagen dürfte jedenfalls einen Anteil an den Verschleißerscheinungen gehabt haben.

"Gicht schädigt auch die Niere", sagt der Evolutionsmediziner Rühli. "Solche Schwächungen hätten bei gravierenden Infektionen wie einer Lungenentzündung eine Rolle spielen können." Aus seiner Sicht deutet die klinische Beschreibung auf eine schnell einsetzende und ansteckende Lungenerkrankung hin. Ohne Antibiotika können ältere Leute, die schon geschwächt sind und auch zu wenig trinken, an einer solchen Lungenentzündung sterben.

Bei den kristallinen Ablagerungen muss es sich aber nicht zwangsläufig um Harnsäurekristalle handeln. "Es könnte sich prinzipiell auch um Pilzsporen oder um eine chemische Reaktion aufgrund von Konservierungsmaßnahmen durch den deutschen Anthropologen Hermann Schaaffhausen im 19. Jahrhundert handeln", sagt Rühli. Als sein Kollege Schleifring vor 30 Jahren den Sarg öffnete, kam ihm jedenfalls ein stechender Geruch entgegen - als ob jemand Formaldehyd verwendet hätte. Diese Behandlung dürfte zumindest oberflächlich die DNA zerstört haben, auch wenn es eine DNA-Untersuchung bislang nicht gibt. Rühli würde sie liebend gern durchführen.

An Karl dem Großen arbeiten sich noch immer Wissenschaftler in ganz Europa ab. Der französische Forensiker Philippe Charlier untersuchte zum Beispiel kürzlich mithilfe eines Röntgenmikroskops dessen Haare. Sie klebten an einem Wachssiegel des Herrschers in den französischen Nationalarchiven in Paris. Auch Frank Rühli forscht schon länger an Karl dem Großen. Vor acht Jahren errechnete er dessen Körpergröße aus Dicke und Länge des linken Schienbeins, das in der Aachener Schatzkammer verwahrt wird. Heraus kam eine Körperlänge von 1,84 Metern, ein Gewicht von 78 Kilogramm und ein Body-Mass-Index von 22. Alles Werte, die durch aktuelle Messungen bestätigt werden. "Karl der Große dürfte die Menschen seiner Zeit um 15 Zentimeter überragt haben", schätzt Rühli.

In der neuen Studie gibt es allerdings noch eine weitere Überraschung. Bei ihrem Quellenstudium stießen die Wissenschaftler auf eine eher vage Notiz des fränkischen Gelehrten Einhard. Darin heißt es, dass der Körper des Kaisers nach dem Tod sorgfältig gewaschen und behandelt wurde. Die Forscher machte das neugierig. Aus den Untersuchungsberichten von 1988 erfuhren sie, dass man neben den Knochen auch drei Säckchen aus weißer Seide in Karls Schrein entdeckt hatte.

Eines enthielt Zähne, das zweite Gipsbrocken, das dritte offenbar mumifizierte Muskulatur. Aus mittelalterlichen Berichten über merowingische Gräber aus dem 6. Jahrhundert wussten die Wissenschaftler bereits, dass die Toten oft einen aromatischen Duft ausstrahlten. "Man verwendete offenbar Gewürze und Kräuter", sagt Rühli. "Möglicherweise wurden auch salz- oder weinhaltige Lösungen zusammen mit Kräutern mithilfe eines Klistiers in den Körper injiziert." Harze wie in Ägypten waren hingegen eher unüblich.

Dass der Leichnam von Karl dem Großen teilweise mumifiziert wurde, könnte an den kalten Temperaturen im Januar 814 und am schnellen Einbalsamieren gelegen haben. Um das zu belegen, wäre aber eine neuerliche Exhumierung nötig. Der Eichensarg des Kaisers könnte also bald wieder geöffnet werden.

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