Süddeutsche Zeitung

Tod des Chefarchäologen von Palmyra:"Machtdemonstration gegen die westliche Zivilisation"

Der Mord an dem Archäologen Khaled al-Asaad erschüttert langjährige Kollegen. Altertumsforscher Andreas Schmidt-Colinet über Asaads Rolle in Palmyra, die Plünderungen des IS in der Ruinenstadt und die Mitschuld des illegalen Kunsthandels.

Interview: Christoph Behrens

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" hat vor wenigen Tagen den syrischen Chefarchäologen der Ruinenstadt Palmyra hinrichten lassen. Der 82-Jährige leitete seit rund 40 Jahren die Ausgrabungen in der Oasenstadt und genoss international hohes Ansehen. Der Altertumsforscher Andreas Schmidt-Colinet arbeitete viele Jahre eng mit al-Asaad zusammen. Der Wissenschaftler forscht zur hellenistisch-römischen Kunst in Palmyra und zur Architektur im Vorderen Orient. Zuletzt war Schmidt-Colinet Professor für Klassische Archäologie an der Universität Wien.

SZ: Herr Schmidt-Colinet, Sie haben selbst lange Zeit in Syrien geforscht. Wie gut kannten Sie Herrn al-Asaad?

Schmidt-Colinet: Ich kannte ihn seit 1980, unsere Kinder sind zum Teil zusammen aufgewachsen, haben manchmal im selben Haus Geburtstag gefeiert. Was dort geschehen ist, ist ein grauenhaftes Verbrechen. Ganz abgesehen von dem menschlichen Verlust, von der Trauer seiner Familie, ist es auch für alle, die dort gearbeitet haben, ein schrecklicher Verlust. Ohne ihn war archäologisches Arbeiten in Palmyra gar nicht möglich.

Was war seine Rolle in der Ruinenstadt?

Er war der Clanvater einer der bedeutendsten Familien in Palmyra. Wir sprechen hier von Großfamilien mit über 50 Mitgliedern. Da war er der 'Stammesälteste', und hatte schon deshalb einen enormen Einfluss in der ganzen Stadt, auf alles, was 100 Kilometer drum herum passierte. Wenn man ihn kannte, öffneten sich alle Türen. Nur er war in der Lage, 80 Arbeiter pünktlich um fünf Uhr morgens an eine Grabungsstelle zu bringen, dafür zu sorgen, dass da genügend Schaufeln sind, Hebebühnen, Kräne, Bagger. Die gesamte technische Infrastruktur lief über ihn. Ohne einen solchen Fürsprecher wäre die Arbeit der Wissenschaftler aus dem Ausland nicht möglich gewesen. Er strahlte Autorität aus - so ein Familienoberhaupt muss den Leuten auch sagen können, wo es lang geht. Das konnte er.

Herr Asaad genoss auch als Wissenschaftler einen hervorragenden Ruf. Was waren die wichtigsten Entdeckungen, die Sie gemeinsam gemacht haben?

Wir haben einen ganzen Grabbau zusammen ausgegraben, vom ersten Spatenstich bis zur Publikation. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht. Dann haben wir zusammen die Textilien von Palmyra untersucht. Da lag 2000 Jahre alte chinesische Seide, die Händler bis nach Syrien gebracht haben. Und wir haben das vorrömische Palmyra entdeckt, das man bis dahin nur aus Schriftquellen kannte. Da sprechen wir vom 3. vorchristlichen Jahrhundert. Das alles haben wir in zwei Bänden publiziert. Ohne Khaled el-Asaad hätten wir das nicht schreiben können.

Nun dieses Verbrechen. Warum musste Herr al-Asaad sterben? Es gibt Vermutungen, er habe Terroristen des IS nicht verraten wollen, wo wertvolle Artefakte liegen.

Das halte ich für reine Spekulation. Was sollen das für Geheimverstecke sein? Die Ruinen stehen ja da, für alle sichtbar! Es erscheint jedoch wahrscheinlich, dass sie ihn drei Wochen lang gefoltert haben. Da sollte ein ganz grausliches Exempel statuiert werden - der Mann wurde erst enthauptet und dann an einer Säule aufgehängt, die er selber restauriert hat. Das ist eine Lynchdemonstration, die darauf abzielt, unser kulturelles Gedächtnis zu zerstören. Das sagen die Terroristen auch in ihren Videobändern: Sie wollen nicht nur die materiellen Gegenstände zerstören, sondern auch alle, die daran forschen - das sind wir Archäologen - und alle, die darauf aufbauen - das ist der gesamte Westen. Es ist eine grauenhafte Machtdemonstration gegen die westliche Zivilisation.

Worin liegt die Bedeutung Palmyras für den Westen?

Palmyra ist deshalb wichtig, weil die Bewohner dieser Stadt es einst verstanden haben, aus völlig unterschiedlichen Kulturen eine neue Gemeinschaft zu formen. Da trafen sich im 1.- 3. Jahrhundert nach Christus Römer, Griechen, Inder, Kaufleute aus Thrakien und Mesopotamien, um miteinander Handel zu treiben. Ein Aufeinandertreffen so wie heute zwischen Islam und Christentum in Mitteleuropa. Und damals hat man etwas völlig Neues, Gemeinsames daraus gemacht. So sieht der große Beltempel an der Längsseite aus wie ein altmesopotamisches Heiligtum, die Schmalseite erinnert an einen griechisch-römischen Tempel. Das ist so, als hätte die Frauenkirche in München nicht zwei Kirchtürme, sondern zwei Minarette. Oder als würde man Lederhose zum schwarzen Anzug kombinieren.

Palmyra war eine Brücke zwischen Ost und West, ein multikulturelles Zentrum. Heute ist es die größte und wohl schönste Ruinenlandschaft des Vorderen Orients, wo vor dem Bürgerkrieg jeder Tourist Halt gemacht hat, weil der Ort so eine Faszination ausstrahlt. Auch diese Faszination soll zerstört werden, und die für diese Faszination vermeintlichen Verantwortlichen sollen bekämpft werden - selbst wenn es ein alter Mann ist. Außerdem ist natürlich die Absicht der Henker, dass nun auch darüber berichtet wird. Es ist insofern eine zweischneidige Sache, sich dazu zu äußern.

Die Alternative wäre zu schweigen...

Das sollte man ebenfalls nicht tun, und das macht den Fall zur Zwickmühle. Wir alle, die dort geforscht haben, haben, ohne dass wir es wollten, dazu beigetragen, dass al-Asaad ermordet wurde. Er hat uns die Türen geöffnet, das ist ihm zum Verhängnis geworden. Das ist tragisch. Ich bin nicht schuldig, aber ich fühle Mitschuld.

Was hat der IS mit den Kunstschätzen vor, die nun in seine Hand gelangt sind?

Dass der "IS" Gräber plündert, um damit Waffen zu bezahlen, ist sehr wahrscheinlich. Von antiken Gegenständen aus dieser Gegend wimmelt es auf den europäischen Kunstmärkten - in München, Wien, London, oder über das Internet kann man sich ganz einfach ein palmyrenisches Grabrelief besorgen. Angeblich stammt das dann zum Beispiel aus altbayrischem Familienbesitz. So ein Unsinn. Da müssten zahlreiche Bayern im 19. Jahrhundert in Syrien per Zufall Dinge ausgegraben, gekauft oder gefunden haben - die uns teilweise erst seit fünf bis sechs Jahren bekannt sind. Da wird eindeutig geplündert und hier teuer verkauft. Raubgräber - das ist nicht nur der "IS" - sind sicher Verbrecher. Aber die Zwischenhändler und die Käufer sind letztlich ebenfalls schuldig. Gäbe es die Gier und Sammlerleidenschaft der Endverbraucher nicht, würde der illegale Kunsthandel zusammenbrechen.

Hat die Instabilität vor Ort zu dem Markt beigetragen?

Natürlich. Die Unruhen und das damit verbundene politische Vakuum vor Ort haben eine Verzehnfachung des illegalen Kunsthandels ermöglicht.

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