Umstritten ist auch, ob Seife oder Gelatine, in die künstliche Knochen eingegossen werden, reale Körperteile ersetzen können. Ein Münsteraner Rechtsmediziner kam nach 47 vergleichenden Schüssen auf solche Ersatzmaterialien und auf Schweineleichen zu dem Befund, dass die künstlichen Materialien sich zumindest nicht zur Analyse von Gewalttaten eignen, die mit Pfeil und Bogen begangen wurden.
Auch die Kadaverforschung wäre ohne Schweine aufgeschmissen. Im renommierten Fachorgan Forensic Science International finden sich regelmäßig Studien, die mit Schweinen die Verwesung menschlicher Leichen simulieren: Da berichten etwa kolumbianische Entomologen, wie sie vier Zwölf-Kilogramm-Ferkel erst erschossen und dann akribisch dokumentiert haben, welche 5981 Insektenarten in den folgenden Monaten die Tiere skelettierten.
Kanadische Anthropologen beobachteten, wie Schweinekadaver von Hunden und Vögeln zerfleddert wurden. Im Meer vor Vancouver verfolgten Forscher mit Unterwasserkameras die Zersetzung von Schweine-Wasserleichen. Belgische Forscher fingen die Gerüche verwesender Tiere auf und analysierten sie mit Gaschromatografen.
Tierschützer mögen es als Fortschritt ansehen, dass seit Mitte der 1990er Jahre Schweine wenigstens nicht mehr im Auto verunglücken. Lange hatten Schweine die zuvor üblichen menschlichen Leichen in Crashtests der Sicherheitsforscher ersetzt.
Der Autoindustrie zufolge haben die Tiere Millionen Menschen das Leben gerettet, weil mit ihrer Hilfe Sicherheitsstandards entwickelt wurden wie Lenksäulen, die den Fahrer beim Aufprall nicht umbringen. Mittlerweile sind jedoch elektronisch aufgerüstete Puppen, sogenannte Dummies, im Einsatz.
Suche nach unerwarteten Effekten
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass solche Ersatzmethoden sämtliche Schweineversuche ablösen werden. Zwar gibt es Ansätze, lebende Tiere durch Teilsysteme zu ersetzen: Physiologen züchten Dünndarmgewebe aus Schweine-Zellkulturen, an dem sie Verdauungsprozesse untersuchen. Pharmazeuten versuchen in ähnlicher Weise, künstliche Haut zu gewinnen. Andere Mediziner erforschen die Wundheilung am isolierten Schweineohr.
Doch beim Prüfen etwa neuer Medikamente gehe es ja gerade darum, dass unerwartete Effekte gefunden werden, wenn die Substanzen beim Durchgang durch die Organe verändert werden, gibt Tierärztin Heidemarie Ratsch zu bedenken, die am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales für die Genehmigung der Tierversuche zuständig ist."Deshalb kann man eben nicht auf Schweine oder andere komplette Organismen verzichten."
Zudem forderten die internationalen Richtlinien bei der toxikologischen Prüfung von Stoffen neben Nagetieren eine zweite Tierart. Traditionell nimmt man dafür Hunde, deren Einsatz aber besonders viel Protest provoziert. Schweine könnten sie in vielen Fällen ersetzen: Sie haben den Vorteil, dass sie eine weniger mächtige Lobby haben als die klassischen Begleittiere des Menschen.
Vor allem in der Industrieforschung etablieren sich seit Anfang der 1990er- Jahre die sogenannten "Göttinger Minipigs". Bei ihnen handelt es sich um eigens für Versuche gezüchtete, genetisch standardisierte Tiere, die noch näher am Menschen sind:
Während die traditionellen Schweinerassen leicht weit über 300 Kilogramm Gewicht erreichen, wiegt das ausgewachsene Minipig nicht mehr als 40 Kilogramm. Es hat eine unpigmentierte, glatte Haut, zudem ist es ruhig und freundlich. Die Herz-Kreislauf-Forschung etwa liefert nur bei stressfreien Tieren brauchbare Ergebnisse.
Das ist wichtig, denn für die Erforschung von Gefäßerkrankungen werden derzeit wahrscheinlich die meisten Schweineversuche in der therapeutischen Forschung gemacht. Wann immer ein Herzmedikament auf den Markt kommt, neue Schrittmacher oder Therapien gegen Blutverlust getestet werden, kann man vermuten, dass Schweine mit dabei waren. Auch Chirurgen haben ihr Handwerk meist unter anderem am Schwein trainiert, bevor sie Menschen operieren.