Tierversuche:Labormäusen fehlt der Dreck

Was für die Versuchsmaus gilt, soll auch auf den Menschen anwendbar sein. Aber an Mäusen gewonnene Erkenntnisse lassen sich oft nur mit starken Einschränkungen übertragen. Einem Forscherteam zufolge könnte das anders sein - wenn die Labore ein bisschen schmutziger wären.

Katrin Blawat

Mäuse lügen. Diese Phrase, die sich in der Wissenschaftssprache Englisch sogar reimt ("Mice tell lies"), beschreibt einen der wichtigsten Aspekte, den Forscher bei Tierversuchen bedenken müssen. An Mäusen gewonnene Erkenntnisse lassen sich oft nur mit starken Einschränkungen auf Menschen übertragen. Das könnte, neben vielen anderen Gründen, auch an der sterilen Umgebung liegen, in der Versuchsmäuse üblicherweise leben, wie Forscher um Preben Boysen von der Norwegischen Hochschule für Veterinärwissenschaften in Oslo zeigen (Molecular Ecology, online).

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Labormäusen ginge es einer neuen Untersuchung zufolge besser, wenn ihre Umgebung nicht ganz so steril wäre.

(Foto: Franz-Peter Tschauner/dpa)

Labormäuse wachsen oft in einer keimfreien Umgebung auf. Forscher tragen Schutzkleidung, damit die Tiere nicht mit Mikroben in Kontakt kommen, die natürlicherweise auf und im Menschen und jedem anderen Organismus leben. Die meisten dieser Keime sind harmlos, trainieren aber das Immunsystem. Das Team um Boysen hat das Immunsystem 24 wildlebender Mäuse mit dem von 31 Labortieren verglichen. Die in der Natur aufgewachsenen Nager hatten in ihren Lymphknoten deutlich mehr sogenannte natürliche Killerzellen. Sie helfen, Krebszellen und üble Keime zu vernichten. Außerdem reagierten die Killerzellen freilebender Mäuse schneller auf Botenstoffe, die das Immunsystem aussendet. Insgesamt waren die Killerzellen freilebender Mäuse denen des Menschen ähnlicher als die von Labortieren.

Die Forscher schließen daraus, dass die Zellen ein bisschen Dreck aus der Umwelt brauchen, um richtig aktiv zu werden - Dreck, den Labortiere nicht kennen. Zwar können Forscher nicht auf Mausstudien verzichten. Doch Boysen mahnt zur Vorsicht, wenn Erkenntnisse über natürliche Killerzellen von Labormäusen auf Tiere oder Menschen übertragen werden. Diese Vorsicht ist in der Immunologie besonders wichtig. Immer wieder entwickeln Forscher Medikamente gegen Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose oder ALS, mit denen zwar Mäuse geheilt werden können, Menschen jedoch nicht. Stanford-Forscher Mark Davis beschreibt die Nager gar als "lausige Modelle", wenn es in der Immunologie um die Entwicklung neuer Arzneien geht.

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