Tierversuche:Die Welt ist nicht nett

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Im Streit um die Bremer Affenversuche zeigt sich ein ethisches Dilemma: Der Mensch bringt Tiere um - einfach weil er da ist und lebt.

Christian Weber

Kleine Quizfrage: Wer steckt hinter dem Verein Neuland, der am 25. April dieses Jahres unter dem Motto "Sommer, Sonne und Bratwurst" in Berlin die 8. Bratwurstmeisterschaft abhielt, auf dass Fleischer um den Titel des Schöpfers der kreativsten Bratwurst konkurrieren? Richtig: Einer der drei Trägervereine ist der Deutsche Tierschutzbund (DTB). Im Vorstand von Neuland sitzt Wolfgang Apel, Präsident des DTB.

Sind Affenversuche wirklich armselig, wie es eine Kampagne des Deutschen Tierschutzbundes behauptet? (Foto: dpa/obs/Deutscher Tierschutzbund e.V.)

Nächste Frage: Wer rief anlässlich des Internationalen Tags des Versuchstieres am 24. April dieses Jahres mal wieder zum Ende aller Versuche auf? Richtig: Tierschutzpräsident Wolfgang Apel, im Nebenberuf Vorstand der Fleischvermarktungsorganisation Neuland.

Eine freundliche Bezeichnung für eine solche Haltung ist: weltanschauliche Flexibilität.

Nichts gegen den Verein Neuland, der allem Vernehmen nach mit Erfolg versucht, eine artgerechte Tierproduktion zu fördern. Die Unverfrorenheit liegt in der Annahme, man könne ohne logischen Systemabsturz gleichzeitig Würstchen grillen und gegen Tierversuche protestieren. Dabei handelt es sich nicht nur um eine verschrobene Einzelmeinung, sondern die offizielle Position einer Organisation mit 800.000 Mitgliedern.

Der Prozess um die Affenversuche des Bremer Hirnforschers Andreas Kreiter ist deshalb ein Anlass, um diese weit verbreitete Haltung zu diskutieren. Seit gestern nämlich verhandelt das Bremer Verwaltungsgericht darüber, ob die Gesundheitsbehörde dem Forscher verbieten darf, weiterhin an den Gehirnen von Makaken zu experimentieren. Es wird ein Urteil von bundesweiter Bedeutung werden, weil hier die Grenzen der Forschungsfreiheit definiert werden. Kein Wunder, dass Tierrechtler derzeit wieder ihre Kampagnen intensivieren.

Gerne werden dann die Zahlen zitiert: So wurden in den Laboren Deutschlands im Jahr 2008 knapp 2,7 Millionen Tiere in Versuchen eingesetzt, darunter 2,3 Millionen Mäuse, Ratten und andere Nagetiere. Größere Tiere wie Schweine (13102), Rinder (6288), Schafe (4810), Pferde und ihre Verwandten (598), Hunde (445), Katzen (803) oder Affen (2285) sind relativ selten vertreten.

Starke Belastungen sind eher selten

Im Standardversuch werden Mäusen Substanzen injiziert. Dann nimmt man ihnen Blut oder Harn ab, am Ende werden sie eingeschläfert und seziert - große Schmerzen entstehen dabei nicht. Eher selten kommt es zu starken Belastungen, dann etwa, wenn die Versuchsziele den Einsatz von Schmerzmitteln verbieten oder die Tiere als chronisches Krankheitsmodell dienen. Allerdings erlaubt das Tierschutzgesetz solche Versuche nur, wenn mit ihnen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Sie müssen so wie alle Versuche den Behörden gemeldet und von ihnen genehmigt werden.

Aufschlussreich zur Einordnung des Themas ist aber vor allem der Vergleich mit der Fleischproduktion: "Rekordproduktion!" jubelt das Statistische Bundesamt in seiner Frühjahrsmeldung zum Thema. Rund 60 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde wurden demnach im vergangenen Jahr in Deutschland geschlachtet. Beim Geflügel meldet das Amt nur das Gewicht des erzeugten Fleisches: Hühner, Enten und Truthühner brachten 7,7 Millionen Tonnen auf die Waage. Anders als bei Tierversuchen prüft hier niemand, ob die Tötung eines Tieres zu rechtfertigen ist: Guter Appetit ist immer Grund genug.

Dabei geht es in der Viehproduktion meist gewalttätiger zu als im Labor, wo wann immer möglich sorgfältig sediert wird - allein schon deshalb, weil gestresste Tiere keine guten Daten liefern. So werden in Deutschland zum Beispiel jedes Jahr 20 Millionen männlichen Ferkeln ohne Betäubung die Hoden abgeschnitten, damit ihr Fleisch später nicht den urinähnlichen Ebergeruch annimmt.

Der Neurobiologe Andreas Kreiter in seinem Büro auf dem Universitätsgelände der Uni Bremen. Um seine Affenversuche tobt ein erbitterter Streit. (Foto: dpa)

Im Schlachthof werden die Schweine zuerst betäubt, danach haben die Metzger an den Schlachtstraßen häufig nur zwei Sekunden Zeit pro Tier, um ihnen die Schlagadern zu durchtrennen. Wie eine im März veröffentlichte Studie des Max- Rubner-Instituts für Sicherheit und Qualität bei Fleisch in Kulmbach ergab, verfehlen die Schlachter in ein Prozent der Fälle die entscheidenden Blutgefäße oder übersehen einzelne Exemplare.

Alternativmethoden gibt es in vielen Fällen nicht

Die Tiere werden wieder wach und dann bei vollen Sinnen im folgenden kochenden Wasserbad zu Tode gebrüht. Ein Prozent der Fälle, das heißt: weit mehr als 500.000 Tiere.

Da ist es vermutlich immer noch besser, wenn Tiere vom Jäger überraschend getötet werden. Übrigens: In den Wäldern wurden im Jagdjahr 2008/2009 rund fünf Millionen Wildtiere erschossen. Als Fleischesser und Träger von Lederschuhen sollte man schon gute Gründe haben, wieso Schnitzel ethisch korrekt sei, der Tierversuch aber nicht.

Der schwächste Grund ist die Annahme, die Ergebnisse der Versuche ließen sich nicht auf Menschen übertragen. In jeder Uni-Bibliothek lässt sich nachlesen, dass ein Großteil des medizinischen Fortschritts auf Tierversuchen basiert: Impfstoffe und Antibiotika, Schmerzmittel und Anästhetika, Strahlentherapie, Bluttransfusion und Organtransplantation, Herzoperationen und Nierendialyse - all diese Therapien wurden an Tieren entwickelt.

Irrig ist auch die Annahme, dass Alternativmethoden mit Zellkulturen oder Computer-Simulationen die Tiere problemlos ersetzen könnten. Am ehesten vorstellbar ist das noch bei Standardtests etwa auf Schleimhautverträglichkeit. Schwierig ist es, wenn nach unbekannten Effekten in Gesamtorganismen gesucht wird. Unmöglich ist es, wenn Neurowissenschaftler höhere kognitive Leistungen erforschen wollen.

Natürlich ist nicht jeder Tierversuch notwendig: Einige Mäuse sterben für medizinische Doktorarbeiten, die die Welt nicht braucht. Pharmafirmen entwickeln auch überflüssige Medikamente. Mancher Professor hängt aus Gewohnheit an einem Tiermodell, das sich ersetzen ließe.

Besser zu rechtfertigen als Fleischverzehr

Womöglich wird die Einführung von Alternativmethoden tatsächlich nicht mit dem gebotenen Einsatz vorangetrieben. Man darf darüber streiten, welche Belastung welche Tierart ertragen muss. Aber das sind keine prinzipiellen Einwände. Vom Umfang und Zweck her sind Laborversuche eine Tiernutzung, die sich besser rechtfertigen lässt als die meisten anderen. Auf Fleisch kann jeder leichter verzichten als auf vielleicht lebensrettende Therapien.

Die interessante Frage ist, warum dennoch so viele Menschen gegen Tierversuche eingestellt sind? Eine Antwort könnte sein, dass sie Schuldgefühle kompensieren wollen. Sie ahnen, dass ihr Steak nicht in zellophanverpackten Styroporschälchen in Supermarktregalen erzeugt wird. So prügeln sie halt auf eine Branche ein, deren Ergebnisse sie vermeintlich nicht brauchen: die Wissenschaft.

Die einzig ehrenwerte und einigermaßen logische vertretbare Haltung als Tierversuchsgegner wäre, zumindest auf alle Fleischprodukte und einen Großteil der medizinischen Therapien zu verzichten. Doch selbst dann bleibt der Mensch in einem ethischen Dilemma gefangen: dass er nämlich Tiere umbringt, einfach weil er da ist und lebt.

Selbst ein Vegetarier muss es verantworten, dass nach Schätzung der Deutschen Wildtierstiftung Mähmaschinen jedes Jahr 500.000 Tiere zerstückeln, darunter 90.000 Rehkitze. Als Autofahrer trägt er nach einer Hochrechnung des Deutschen Jagdschutzverbandes dazu bei, dass jedes Jahr eine Million Rehe, Wildschweine, Hasen und Füchse auf den Straßen sterben.

Als Bürger profitiert er von der Ungezieferbekämpfung, die beständig versucht, die Zahl der 300 Millionen Ratten in Deutschland mit möglichst gemeinen Giften zu reduzieren. Als Tierhalter verantwortet er, dass Hunde und Katzen jedes Jahr etwa 20.000 Tonnen Futtermittel fressen, das vor allem aus Fleischabfällen besteht.

Nicht mal die Natur wäre richtig schön

Wer keine Schuld auf sich laden will, müsste sein Gemüse selber anbauen und nur noch mit Kondomen verhüten, denn die Pille wurde im Tierversuch entwickelt. Womöglich würde er wegen seines Verzichts auf Medikamente früher sterben, vielleicht an der Beulenpest, die sich nach dem Verzicht auf Rattenbekämpfung wieder ausgebreitet hat. Noch nicht mal die Natur wäre richtig schön, denn die von der Jagd befreiten Rehe würden ziemlich am Wald nagen.

Man kann es tragisch finden, aber es ist wohl so, dass menschliche Lebensart prinzipiell den Tieren schadet. Wer glaubt, dass alle Wesen auf diesem Planeten in friedlicher Eintracht miteinander leben könnten, romantisiert die Natur. Das heißt nicht, das alles erlaubt sein muss. So sind Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika in Deutschland seit 1998 verboten. An Menschenaffen wird seit 1991 nicht mehr geforscht.

In Bremen steht nun die Entscheidung darüber an, ob Andreas Kreiter Grenzen überschreitet. Auch hier ist eine rationale Diskussion nur schwer möglich, weil allein schon die Versuchsbeschreibung Grusel-Phantasien bedient: Die Makaken sitzen bis zu vier Stunden mit fixiertem Kopf im Primatenstuhl und blicken auf einen Monitor, während implantierte Elektroden die Reaktionen einzelner Nervenzellen auf visuelle Stimuli messen. Wenn sie auf die richtige Taste drücken, werden sie mit Saft belohnt. So wollen die Forscher unter anderem herausfinden, wie die Neuronen untereinander kommunizieren, wenn sie die Welt abbilden - ein zentrales Thema der Neurowissenschaft.

Eingriffe unter Vollnarkose

Andererseits: Die Zugänge zum Gehirn werden den Tieren unter Vollnarkose gelegt, die Elektroden spürt das Tier nicht, weil das Gehirn aus schmerzfreier Materie besteht. Sie sind so dünn, dass es nicht zu Ausfallerscheinungen kommt. Die Tiere arbeiten freiwillig bei dem Experiment mit, andernfalls - so versichern Forscher - wäre es nicht durchzuführen. Zwar bekommen die Tiere am Versuchstag nur wenig zu trinken, sodass sie durstig nach Belohnung lechzen. Eine Qual ist das aber nicht.

Das eigentliche ethische Problem ist daher weniger die Art dieses Experiments als die Frage, ob entwicklungsgeschichtlich hochstehende Tiere wie Primaten überhaupt für die Wissenschaft eingesetzt werden dürfen. Dagegen steht der Zweck: Auch wenn solche Grundlagenforschung natürlich nicht sofort medizinische Anwendungen produziert, steht doch fest, dass ein besseres Verständnis des Gehirns die Voraussetzung ist für neue Therapien verbreiteter neurologischer Erkrankungen wie Schizophrenie oder Demenz. Mutig, wer hier ein schnelles Urteil fällen kann.

Deshalb zum Schluss nur eine Anekdote: 1966 brach in einer Schimpansenkolonie im ostafrikanischen Gombe eine Polioepidemie aus. Die Primatenforscherin Jane Goodall - eine entschiedene Tierversuchsgegnerin - ließ daraufhin einen ursprünglich für Menschen entwickelten Impfstoff einfliegen und verfütterte ihn mit Bananen an die Affen. Die Aktion hatte Erfolg. Für die Erforschung der Kinderlähmung und die Entwicklung dieses Impfstoffes wurden, so berichtet sein Entdecker Albert Sabin, 9000 Affen und mehr als 100 Schimpansen eingesetzt.

© SZ vom 29.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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