Süddeutsche Zeitung

Tierseuche:Das Wildschwein als Bauernopfer

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Aus Angst vor der Schweinepest will der Bauernverband die Wildschweinbestände in Deutschland stark dezimieren. Doch die Tiere sind nicht das eigentliche Problem.

Kommentar von Hanno Charisius

Der Bauernverband bläst zur Wildschweinjagd. Am Freitag stellte der Verband in Berlin einen Katalog von Maßnahmen vor, mit denen die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest nach Deutschland verhindert werden soll, einer Seuche, die für die Tiere tödlich, aber für Menschen harmlos ist. Eine bereits seit Tagen im Raum stehende Forderung des Verbands lautet: 70 Prozent der Schwarzkittel sollen sterben, weil sie potenzielle Überträger der Seuche sind.

Einmal davon abgesehen, dass niemand weiß, wie viele Wildschweine es in Deutschland gibt, ist die Quote so hoch, dass sie kaum kurzfristig zu bewerkstelligen ist - und schon gar nicht allein durch Bejagung.

Wildschweine kommen kaum als Überträger infrage

Denn das Problem ist ja selbst gemacht. Die von der deutschen und europäischen Agrarpolitik herbeisubventionierten Mais- und Rapsfelder bieten Wildschweinen nicht nur Mastfutter in so üppigen Mengen, dass sie sich inzwischen das ganze Jahr über vermehren können. Bereits heute erlegen Jäger weit mehr Schwarzwild als in früheren Jahren, doch die Bestände wachsen weiter. Das wird sich wahrscheinlich eher durch einen Strukturwandel in der Landwirtschaft ändern lassen als durch Kopfprämien auf Schwarzwild.

An der akuten Bedrohung für deutsche Hausschweine hat sich allerdings seit Juni vergangenen Jahres nichts verändert. Da tauchte ein Fall in der Tschechischen Republik auf. Die Behörden haben durch konsequentes Handeln den Ausbruch bislang unter Kontrolle gehalten. Ein Erfolg und wahrscheinlich auch Vorbild für Deutschland im Ernstfall.

Näher an Deutschland ist der Erreger bislang nicht gerückt. Das kann sich natürlich jederzeit ändern. In Polen hat sich das Schweinepest-Virus weiter ausgebreitet. Die Distanzen zwischen den alten und den jüngsten Ausbruchsorten sind allerdings so groß, dass Wildschweine kaum als Überträger infrage kommen. Sie sind recht heimattreue Tiere. Viel wahrscheinlicher haben Menschen das Virus ungewollt transportiert.

Wildschweine werden zum Sündenbock

Das Ausbreitungsmuster in Polen zeigt, dass die Wildschweine als Sündenbock für eine irrgeleitete Landwirtschaft herhalten sollen: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Wildtiere in Deutschland mit dem Erreger infizieren, schätzt das für Tierseuchen zuständige Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) zwar als hoch ein. Doch in den Schweinestall werden wahrscheinlich Menschen das tödliche Virus schleppen und nicht die wilden Verwandten der Paarhufer - sei es durch schmutzige Stiefel, durch Ferkeltransporte aus Risikogebieten oder durch kontaminierte Lebensmittelreste im Futtertrog. Das Wildschwein trägt daran keine Schuld. Es ist das von der Agrarindustrie gepäppelte Opfer.

Um das Risiko einer Übertragung zu verkleinern, plädieren natürlich auch die FLI-Experten für eine starke Reduzierung der Bestände. Durch eine naturnähere Landwirtschaft mit weniger Mais und Raps, aber auch durch Jagd. Das allerdings fordern sie schon lange und nicht erst jetzt, da normalerweise die Schonzeit für das Schwarzwild beginnt.

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