Es ist eine Klage, erhoben im Namen von vier Schimpansen: Die Tierrechtler-Initiative Nonhuman Rights Project (NhRP) will an drei Gerichtshöfen im US-Bundesstaat New York die Richter dazu bringen, dass sie Menschenaffen als Rechtspersonen anerkennen und diese aus der Gefangenschaft befreien.
Wenn die NhRP erfolgreich ist, könnte sich eine Jahrtausende alte Rechtspraxis verändern: Tiere würden nicht länger als Sachen und Eigentum der Menschen betrachtet, sondern als Persönlichkeiten mit eigenen Rechten. Das hätte Folgen, insbesondere für die Forschung.
Alles fing an mit einer Überlegung, die der Staatsanwalt Steven Wise aus Boston vor rund 30 Jahren anstellte. Als Mitglied des Animal Legal Defense Fund (ALDF) gehörte er zu einer damals kleinen Gruppe von Anwälten, die an den US-Gerichtshöfen für das Wohl der Haustiere, des Viehs und anderer Geschöpfe kämpfte.
Doch Wise ging weiter. Seine Beschäftigung mit der Kognitionsforschung an Tieren brachte ihn zu der Ansicht, dass etwa Schimpansen und Delfine über so viel Selbstbewusstsein verfügen, dass es der Sklaverei gleichkomme, sie in Gefangenschaft zu halten. "Wir setzen sie einer fürchterlichen Folter aus, und das hat aufzuhören", sagt er. Zugleich sah er eine juristische Lösung für das Problem: Die Gerichte müssten nur anerkennen, "dass das gefangene Lebewesen eine Rechtsperson ist".
Das war eine gewagte These im Jahr 1985 - "das Recht, die Wissenschaft und die öffentliche Meinung waren noch nicht so weit", sagt Wise. Doch er publizierte unermüdlich zu dem Thema, gewann den Eindruck, dass die Stimmung sich langsam drehte etwa gegenüber Tierversuchen oder der Massentierhaltung. "Die Tierrechte hatten den Mainstream erreicht", sagt er. "Ich hatte den Eindruck, dass die Richter bereit waren, meine Argumente anzuhören." 2007 gründete er das NhRP, eine Vereinigung von rund 60 Anwälten, Wissenschaftlern und politischen Experten, die gezielt eine Strategie zur Durchsetzung von Tierrechten entwickelten.
Prozess zur Sklaverei als Vorbild
Ihr Ausgangspunkt ist ein berühmter Fall aus dem Jahre 1772: Der in England vor seinem Besitzer geflohene schwarze Sklave James Somerset war wieder gefasst worden und sollte auf einem Schiff nach Jamaika deportiert werden. Sklavereigegner verfassten eine Petition an Lord Mansfield, den Vorsitzenden der Kammer des Obersten Gerichtshofs in London. Sie baten um eine Haftprüfung gemäß der Habeas-Corpus-Akte.
Mansfield folgte dem Begehren, womit er stillschweigend anerkannte, dass Somerset eine Person ist. Dieser kam schließlich frei. Sein Fall trug wesentlich zur Abschaffung der Sklaverei in England bei. Der Entscheid "wandelte eine Rechtssache in eine Rechtsperson", sagt Wise.
So etwas Ähnliches plant das NhRP jetzt mit den Schimpansen.
Die Gruppe bezieht sich auf zwei wichtige Aspekte des Somerset-Falles: Erstens, sie versucht das Gewohnheitsrecht zu ändern, statt sich auf Gesetze oder die Verfassung zu beziehen. "Gewohnheitsrecht ändert sich, wenn sich die Gesellschaft ändert", sagt Wise. "Richter können sich dort auf ihre eigenen Moralvorstellungen beziehen." Und zweitens beansprucht sie das Recht, dass eine Gruppe in Vertretung von machtlosen Gefangenen - den Schimpansen - eine Haftprüfung beantragen darf.
Fünf Jahre lang feilte die NhRP an ihrer Strategie. So suchte sie nach Gerichten, die vermutlich für Tierrechte aufgeschlossen sind. Nicht zuletzt mussten sie geeignete Klienten ausmachen: "Wir durchsuchten den ganzen Bundesstaat nach gefangenen Schimpansen", sagt Wise.
Schließlich fanden sie Tommy, der in der Stadt Glosterville in privater Haltung in einem dunklen Schuppen vor sich hin vegetierte. Kiko lebt in einem Käfig auf einem Privatgelände in Niagara Falls. Die anderen beiden, Hercules und Leo, sind Forschungsschimpansen an der Stony Brook University. In dieser Woche nun wurde die Klage an drei New Yorker Gerichten in erster Instanz eingebracht. Das Ziel: Freiheit für die Schimpansen. Bei Erfolg sollen die Tiere in ein Heim in Florida überführt werden.
Zwar müsste ein solches Urteil erst von einem höheren Landesgericht bestätigt werden, bevor es zum juristischer Präzedenzfall würde. Doch vielen Wissenschaftlern bereitet die Entwicklung bereits jetzt Unbehagen. "Schockiert und verärgert" sei sie, sagt die Anatomin Susan Larson, die an den Stony-Brook-Schimpansen über die Ursprünge des aufrechten Gangs forscht. Die Tiere lebten in einer angenehmen Umgebung. "Alles, was ich mit diesen Tieren tue, habe ich mit mir selbst gemacht", sagt sie.
Frankie Trull, Präsidentin der National Association for Biomedical Research in der Hauptstadt Washington warnt, dass Schimpansen wichtige Modelle seien, sowohl in der Verhaltensforschung als auch bei der Entwicklung von Impfstoffen etwa gegen Hepatitis C. "Tieren ähnliche Rechte wie Menschen zu verleihen, wäre zerstörerisch für die Forschung", sagt sie. "Erst die Schimpansen, was kommt danach?"
Weitere Klagen für Gorillas und Elefanten
Wise hat eine Antwort : Seine Gruppe bereite bereits Klagen für andere Bundesstaaten und Tiere vor. " Gorillas, Orang-Utans, Elefanten, Wale, Delfine - für alle Tiere, die über solche kognitiven Fähigkeiten verfügen, würden wir gerne Klage einlegen. Wir werden in den nächsten zehn bis 20 Jahren so viel klagen wie nur möglich."
Das beunruhigt auch Forscher wie Heidi Harley, Psychologin am New College of Florida in Sarasota, die seit 30 Jahren in Aquarien und Freizeitparks Delfin-Kommunikation untersucht. "Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden gibt, der mit diesen Tieren forscht und nicht regelmäßig an ihr Wohlergehen denkt", sagt sie.
Der Meeressäuger-Experte Louis Herman, der seit 34 Jahren ein Delfin-Laboratorium in Hawaii betreibt, befürchtet, dass die Tierrechtler Ressourcen von Initiativen abziehen, die Tiere in der Wildnis schützen wollen. "Es werden weiterhin Wale, Elefanten , Gorillas getötet. Hier sind große Anstrengungen nötig."
Die Schimpansen-Forschung steht vermutlich auch ohne NhRP vor dem Ende. Im vergangenen Juni kündigten die National Institutes of Health (NIH) an, dass bis auf 50 alle 360 Forschungs-Schimpansen in den Ruhestand treten sollen. Vielleicht wäre aber auch ein Kompromiss möglich, sagt Stephen Ross, Direktor des Affen-Zentrums im Lincoln Park Zoo in Chicago, Illinois. Er sorgte mit dafür, dass die Schimpansen in seinem Zoo durch eine großzügigen Bambuspflanzung streifen können, dass sie in Termitenhügeln bohren und auf Dutzende Bäume klettern können. "Ich glaube, diese Tiere sollten Rechte haben", sagt Ross. "Sie sollten das Recht haben, dass es ihnen gut geht, und dass sie in einer anregenden Umgebung leben. Doch dafür braucht man keine Persönlichkeitsrechte."
Stattdessen empfiehlt Ross, invasive Forschung sowie die private Haltung der Affen zu verbieten. Alle anderen Schimpansen, egal ob in Zoos oder Universitäten, sollten in Gruppen von mindesten sieben Tieren in großen Gehegen mit Außenflächen leben. "Ich glaube, wir teilen einen gemeinsamen Wunsch", sagt Ross. "Wir wollen die Situation für die Schimpansen verbessern. Wir sind uns nur nicht einig, wie man dahin kommt."
Dieser Text erscheint in der aktuellen Ausgabe von Science , dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org, www.sciencemag.org. Dt. Bearbeitung: cwb
In Deutschland tritt vor allem das "Great Ape Project" für "Grundrechte für Menschenaffen" ein.