Tierschutz:Millionen Zugvögel verenden in Ägypten

Tierschutz: Ein Ziegenmelker im Netz ägyptischer Vogeljäger.

Ein Ziegenmelker im Netz ägyptischer Vogeljäger.

(Foto: Watter AlBahry)

Nach einem Flug über das Mittelmeer verheddern sich die Zugvögel in Tausenden Netzen entlang der Mittelmeerküste. Tierschützer und Polizei sind gegen die illegale Jagd machtlos.

Von Paul-Anton Krüger

In feinen weißen Schleiern liegt der Morgennebel über dem Manzala-See, die Sonne steht noch tief. Ein Schwarm Schwalben jagt dicht über dem grünen Wasser. Es ist kaum mehr als ein, zwei Meter tief. Fischer waten bis zur Brust im Wasser mit Netzen hindurch, faulig riechende Blasen steigen aus dem dunklen Schlamm am Grund auf, den einst der Nil hier angespült hat. Eisvögel halten neben Reusen nach Beute Ausschau. Schilf wächst meterhoch, und Wasserhyazinthen wuchern zu dicken grünen Teppichen mit blauen Blüten dazwischen. Es gibt Myriaden Mücken, Fliegen, schillernde Libellen und andere Insekten.

Der See liegt westlich von Port Said, direkt hinter der ägyptischen Mittelmeerküste. Salz- und Süßwasser mischen sich hier. Teile des Sees hat der Staat zum Umweltschutzgebiet erklärt. Mohammed Scherif Taalab, einer der Ranger von der Aufsichtsbehörde, ist mit seinen Kollegen im Boot unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Vom Sommer bis in den späten Herbst steuern Millionen Zugvögel den Manzala-See auf ihrem Weg von Europa nach Afrika an, er liegt an einer der wichtigsten Zugrouten in ihre Überwinterungsgebiete. Nahrungsangebot und viele unzugängliche Gebiete machen den See immer noch zu einem idealen Rastplatz nach dem langen, kräftezehrenden Flug, auch wenn der Bau von Fischfarmen, intensive Nutzung, Wasserverschmutzung und Verlandung das Ökosystem gefährden.

Zwischen den beiden Netzen zappeln sie mit den Flügeln. Es gibt kein Entrinnen

Scheue Zwergdommeln flattern aus dem Röhricht auf, der knatternde Außenborder hat sie gestört. Eine Rohrweihe kreist weit oben im Himmel auf der Suche nach Beute. Doch die Morgenidylle auf dem See trügt. Überquert man die Straße auf der schmalen Landbrücke, die den See vom Meer trennt, warten überall Netze auf die erschöpften Ankömmlinge. Dünne, für die Vögel kaum sichtbare Kunststoffmaschen, zweilagig hintereinander gespannt.

Die meisten Ankömmlinge aus Europa erreichen Nordafrika in der Morgendämmerung. Sobald die Tiere die Küstenlinie sehen, halten sie auf den Strand zu, um zu rasten - und fliegen direkt in die Netze. Die erste Lage hat größere Öffnungen. Die Vögel stoßen durch sie hindurch. Die zweite Lage ist kleinmaschig. Zwischen den beiden Netzen zappeln die Vögel mit den Flügeln. Sie sind gefangen, es gibt kein Entrinnen. Die Jäger lösen sie zumeist noch lebend heraus, schneiden ihnen die Schwungfedern der Flügel ab und sperren sie in enge Transportkisten.

Nach Hochrechnungen einer vom deutschen Bundesumweltministerium unterstützten Studie der Organisation Nature Conservation Egypt gehen so inzwischen jeden Herbst bis zu zwölf Millionen Vögel in die Fallen; drei Viertel davon werden illegal gefangen. Nach anderen Schätzungen könnten es zehn Mal so viele sein. Nirgends aber werden an der südlichen Mittelmeerküste so viele Tiere gejagt wie in Ägypten mit seinen 700 Kilometern Küste. In den Netzen landen nicht nur die als Delikatesse begehrten Wachteln, sondern auch viele Singvogel-Arten, die man in Europa mit teuren Artenschutzprogrammen vor dem Verschwinden zu bewahren sucht.

"Die Netze müssen mindestens 500 Meter von der Küstenlinie entfernt stehen"

Es gibt Vorschriften für die Vogeljagd in Ägypten, Gamal Gomaa Medani, Abteilungsleiter im Umweltministerium in Kairo fischt sie aus seinem Computer. "Wir haben eine Liste mit Arten, die für die Jagd freigegeben sind", sagt er. "Die Netze müssen mindestens 500 Meter von der Küstenlinie entfernt stehen." Ein Viertel jedes für die Jagd bewilligten Abschnitts muss von Netzen freibleiben, sie dürfen eine Höhe von drei Metern nicht überschreiten. Jeder Vogelfänger muss eine Genehmigung einholen. Das ist die Theorie.

Entlang des Manzala-Sees bis nach Ras el-Bar, 70 Kilometer westlich, sieht die Praxis so aus: Netz an Netz steht auf jedem Meter Strand, der zugänglich ist. So gut wie nirgends stehen die an Latten und Rundhölzern aufgespannten Netze einen halben Kilometer von der Küste weg. Manchmal sind sie auch im Kreis aufgebaut, weiter im Hinterland. "Das ist typisch für den Einsatz von Stimmenimitatoren", sagt Watter al-Bahry, Fotograf und Umweltschützer bei Nature Conservation Egypt, der seit Jahren die Exzesse der Vogeljagd an der Küste dokumentiert. Die Geräte spielen die Rufe der Vögel ab und locken sie so an. Auch das ist verboten. Ebenso Netze, die über Bäume gespannt werden.

"Die Ägypter haben Tausende Jahre auf die Zugvögel gewartet"

Ibrahim al-Ibrahim, 43, weißes T-Shirt mit blauen Streifen und schwarze Hose, sitzt im Schneidersitz auf einer Schilfmatte in einem Verschlag am Strand, das Dach aus Palmwedeln geflochten. In der einen Hand hält er Schiffchen und ein Messer, in der anderen ein Netz. Mit dem Fuß spannt er es, um es auf ein Seil aufzufädeln. "Seit 1807 jagt meine Familie an diesem Strand Vögel", erzählt er.

"Ich habe 440 Meter Netz." Alle 17 Meter ist ein Pfosten in den Boden gerammt; für jeden davon muss er drei Pfund Gebühr zahlen, etwa 20 Cent. Die Jagd hat er von seinem Vater gelernt und der von seinem. Ibrahim al-Ibrahim war sechs, als er das erste Mal an den Strand kam. Von Ende August bis Mitte November ist er hier, jedes Jahr, übernachtet in der Hütte. Die Vögel kommen früh am Morgen. "Wenn wir Bienenfresser fangen, dann gibt es bald auch Wachteln" sagt er.

Doch die Bienenfresser bleiben aus, es ist ein schlechtes Jahr. Sieben oder acht Wachteln habe er gefangen, sagt der Vogeljäger - pro Woche. "Vergangenes Jahr waren es 20 oder 30." Auch er hat schon überlegt, sich einen Stimmenimitator zuzulegen. "Es gibt sie importiert aus Italien, Thailand oder Russland zu kaufen", sagt er. Sie kosten umgerechnet 100 bis 200 Euro. Auch ein MP3-Spieler mit Vogelstimmen aus dem Internet und ein paar billige, einfache Lautsprecherboxen erfüllen den Zweck.

"Die Ägypter haben Tausende Jahre auf die Zugvögel gewartet"

"Aber das wäre nicht in Ordnung", sagt Ibrahim weiter. Gott schickt ihm die Vögel, so glaubt er. Und wenn es dieses Jahr weniger sind, dann habe Gott das so bestimmt. Dass der Rückgang an übermäßiger Jagd liegen könnte, hält er für Quatsch. Es gebe Schwankungen von Jahr zu Jahr. Für die Wachtel gibt es bislang noch keine tragfähigen wissenschaftlichen Belege, dass die Jagd die Bestände so weit dezimiert, dass sie gefährdet werden. Bei anderen Arten, die aus Deutschland nach Afrika ziehen, legen Daten einen Zusammenhang dagegen nahe.

Die Zugsaison ist an der ägyptischen Nordküste Jagdsaison, das war schon immer so. "Die Ägypter haben Tausende Jahre auf die Zugvögel gewartet. Im alten Ägypten wurden sie verehrt", sagt Nur Nur, Geschäftsführer von Nature Conservation Egypt. Sie wurden geschätzt als zusätzliche Proteinquelle und für den Eigenbedarf gejagt; auch die Familie von Ibrahim al-Ibrahim isst einen Teil der Vögel selbst. Ein anderer wird seit jeher auf lokalen Märkten verkauft, man kann die Wachteln in Port Said finden und anderen Küstenstädten, aber auch in Kairo. 13 bis 14 Pfund kosten sie dieses Jahr, ein Drittel mehr als 2015, weil es nur wenige gibt. Auch Enten und Gänse werden angeboten. "Neue Techniken, billige Netze und die wirtschaftlichen Probleme Ägyptens haben allerdings dazu beigetragen, dass Vögel seit einigen Jahren in industriellem Maßstab gefangen werden", sagt Nur Nur.

Tierschutz: SZ-Karte

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Ein Zwischenhändler kommt morgens um neun an den Strand und kauft Ibrahim al-Ibrahim den Fang der Nacht ab. Ein Teil der Beute geht - ebenfalls zumeist illegal - in den Export. Etwa in die Golfstaaten, wo Pirole, denen eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wird, als Delikatesse gelten. Insgesamt, so schätzt der deutsche Naturschutzbund, hat die jährliche Beute der Jäger einen Wert von etwa 40 Millionen Euro.

Aufruf zur Null-Toleranz-Politik

Im Sommer, auf einer internationalen Konferenz in Kairo, haben im Rahmen der Bonner Konvention zum Schutz wandernder Tierarten erstmals Regierungsvertreter der Mittelmeerländer beraten, wie sie die illegale Jagd von Zugvögeln erfolgreich bekämpfen können. Die Staaten verabschiedeten einen Arbeitsplan, der alle Mittelmeer-Anrainer zu einer Null-Toleranz-Politik aufruft. Vor allem dazu, das Strafniveau für illegale Jagdmethoden so anzuheben, dass es abschreckenden Effekt hat. Zudem sollen Polizisten ausgebildet und spezielle Einheiten aufgestellt werden, um zu gewährleisten, dass die Gesetze auch eingehalten werden.

In Ägypten hat man inzwischen damit begonnen, diese Beschlüsse umzusetzen; Tierschützer von Nature Conservation Egypt haben mehrere Kilometer illegal gespannte Netze entfernt, auch Mohammed Scherif Taalab und seine Ranger-Kollegen. Sie müssen dabei immer mit der Polizei zusammenarbeiten. Aber es ist ein fast aussichtsloser Kampf. Naturschützer wie Polizisten wissen um die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Familien. Außerdem sind sie einfach viel zu wenige, um die gesamte Küste regelmäßig zu kontrollieren.

Die Tierschützer versuchen deshalb, den Jägern klarzumachen, dass übermäßiger Fang nur dazu beitragen wird, dass in den kommenden Jahren noch weniger Vögel in den Netzen landen, eine Entwicklung, über die viele von ihnen selber klagen. Manche sehen das ein, haben sie früher ja aus ähnlichen Gründen einen Teil des Fangs fliegen lassen. Aber wer Schwierigkeiten hat, seine Familie zu ernähren, wer sich wegen der extrem gestiegenen Preise Fleisch und Geflügel kaum noch leisten kann, ist schwer von langfristigen Konzepten der Nachhaltigkeit zu überzeugen.

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