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Tiere:Wie Pferdehaltung sich verändert

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Berlin/Ahausen (dpa) - Als Senator in den Futterständer tritt, öffnet sich im vorderen Bereich ein Schieber. Der Zugang zum Heu ist frei, das Pferd beginnt zu fressen. Auch beim Kraftfutter wie Hafer oder Pferdemüsli bekommt der große Braune seine Portion, auch hier öffnet sich der Schieber.

Über den Chip in der Mähne des Pferdes erkennt die Technik, welches und wie viel Futter Senator heute bekommt. Als der Wallach fertig mit Fressen ist, läuft er entspannt über das Gelände des Bewegungsstalls auf dem Heidehof Wolfsgrund im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme). Neben Hallen mit Stroh zum Hinlegen gibt es Flächen mit Sand- und Steinböden sowie einen Zugang zur Weide. Dort grasen rund 25 Ponys und Pferde, weitere traben oder galoppieren in Richtung der Futterstellen.

Bewegung und Kontakt zu anderen Pferden wichtig

"Es ist ein Pferdehof, kein Reiterhof", sagt Volker Paetzold, der den Hof in der Gemeinde Ahausen-Eversen gemeinsam mit seinem Team betreibt. "Das Pferd soll sich wohlfühlen." Dann fühle sich auch der Mensch wohl. Insgesamt 24 Hektar Fläche gehören zu dem Hof, auf dem rund 50 Privatpferde gegen Bezahlung untergebracht und versorgt werden. Neben dem Bewegungsstall, Weiden und Auslaufflächen gibt es eine Reithalle, einen Reitplatz, einen Longierzirkel sowie 20 Paddockboxen - Pferdeboxen mit einer kleinen, eingezäunten Außenfläche. Pferde, die dort stehen, kommen täglich auf die Weide. Bewegung, Licht, Abwechslung und Kontakt zu anderen Pferden sind aus Sicht des 59-jährigen Hofinhabers sehr wichtig in der Pferdehaltung.

Rund 1,3 Millionen Pferde leben in Deutschland - so teilt es der Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht, die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), mit. Deren Haltung hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verändert. "Früher erkannte man Pferdeställe und Reitanlagen daran, dass draußen Pferdeanhänger standen. Heute sieht man es daran, dass draußen Pferde sind", sagt die bundesweit tätige Sachverständige für Pferdehaltung, -zucht und -sport Christiane Müller aus Westerau in Schleswig-Holstein. Ihr zufolge ist ein freies Bewegungsangebot einer der wichtigsten Faktoren für tiergerechte Pferdehaltung.

Trend zu Offen- und Bewegungsställen

Wie viele der Pferde in einem sogenannten Bewegungsstall gehalten werden, ist unbekannt. Erhebungen dazu gebe es nicht, sagt die 63-Jährige, die Tierschutz-Beauftragte der FN ist. Bei einem Bewegungsstall sind die Bereiche für Bewegung, Fressen und Ruhen voneinander entfernt, die Pferde sollen sich viel bewegen. Auch in einem Offenstall werden die Pferde in einer Gruppe gehalten - bei dieser Haltungsform haben die Tiere ebenfalls dauerhaften Zugang zu einem Außengelände.

Ein Offen- oder Bewegungsstall ist der Sachverständigen zufolge aber nicht automatisch besser als Boxenhaltung. Denn oft seien zu viele Pferde auf zu kleiner Fläche untergebracht. Dann könnten sie zwar rein- und rausgehen, hätten aber keine Fläche, um zu traben und zu galoppieren. Boxenhaltung, bei der die Pferde täglich auf Freiflächen kommen, kann demnach artgerechter sein als die Haltung in einem kleinen Offenstall. Ställe, in denen Pferde im Winter keinen Auslauf haben, sind der Expertin zufolge ein Auslaufmodell. "Es wird das vereinzelt sicher geben, dass Pferde nicht rauskommen - aber das ist jetzt aus der Zeit gefallen."

Tierwohl immer mehr im Fokus

Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums im Pferdeland Niedersachsen spielen Offen- und Bewegungsställe zunehmend eine größere Rolle. Auch wenn es keine Statistik gebe - ein Trend hin zu mehr Platz, Luft, Auslauf- und Bewegungsmöglichkeiten sei klar zu erkennen, schreibt eine Sprecherin. "Die Konzeption von Neu- und Umbauten tragen dem zunehmenden Tierschutzbewusstsein zunehmend Rechnung und rücken das Tierwohl immer mehr in den Fokus." Auch Hofinhaber Paetzold, der sich mit Pferdebesitzern und Betrieben austauscht, sieht eine Entwicklung. "Es geht mir viel zu langsam, aber es geht in die richtige Richtung", so der 59-Jährige. Noch seien Pferdebetriebe wie seiner in der Minderheit. "Aber: Es werden mehr."

Das Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin verweist auf das Tierschutzgesetz. Demnach müssen Tiere verhaltensgerecht untergebracht werden. In den "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten", die das Ministerium im Jahr 2009 herausgegeben hat, steht unter anderem: "Allen Pferden, insbesondere aber Zuchtstuten, Fohlen und Jungpferden muss sooft wie möglich Weidegang und/oder Auslauf angeboten werden."

Experten zufolge wirkt sich gute Pferdehaltung deutlich aus. Pferde liebten Licht, Luft, Bewegung und Sozialkontakte, sagt die Sachverständige Müller. "Wenn sie das in ihrer Haltung - egal in welcher Haltungsform - vorfinden, dann sind sie zufrieden, ausgeglichen und entspannt."

© dpa-infocom, dpa:220630-99-859161/2

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