Tiere:Warum uns der Hund so gern nachäfft

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Stefanie Riemer hat mehrere Jahre eine Forschungsgruppe zu Hundeverhalten an der Universität Bern geleitet. (Foto: Andrea Schmutz/dpa-tmn)

"Das Leben mit Hund besteht zu 90 Prozent darin, sich gegenseitig hinterherzulaufen, um zu schauen, was der andere wohl gerade frisst." Mag sein, dass diese...

Direkt aus dem dpa-Newskanal: Dieser Text wurde automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen und von der SZ-Redaktion nicht bearbeitet.

Bad Bramstedt/Bern (dpa/tmn) - „Das Leben mit Hund besteht zu 90 Prozent darin, sich gegenseitig hinterherzulaufen, um zu schauen, was der andere wohl gerade frisst.“ Mag sein, dass diese Weisheit, die in sozialen Netzwerken kursiert, etwas übertrieben ist.

Eines jedoch stimmt: Nicht nur wir beobachten unsere Fellnasen, sondern sie umgekehrt auch uns. „Ständig!“, sagt Tierpsychologin Patricia Lösche. Und nicht nur dann, wenn es sich um Hütehunde wie ihren Australian Shepherd handelt.

„Selbst wenn wir denken, dass sie nur stumm in der Ecke liegen und es sich gut gehen lassen, haben sie uns immer im Fokus“, sagt die Vorsitzende vom Berufsverband der Tierverhaltensberater und -trainer. Warum sie das tun? Zum einen, weil es ihr Job ist.

Hund scannt, kopiert und wird so Teil des Systems

Zum anderen aber auch, weil 35.000 Jahre Domestikationsgeschichte für eine gewisse Affinität gesorgt hätten: „Hunde scannen das Umfeld besonders intensiv und schauen, wo Veränderungen sind. Sie wollen sich sicher fühlen, als Teil des Systems, und müssen sehen, dass sie darin ihren Platz behalten.“ Im Umkehrschluss heißt das: Je weniger sie mitbekommen, je unaufmerksamer sie sind, desto weniger Bedeutung haben sie in der Gemeinschaft. Das wollen beziehungsweise müssen sie vermeiden.

Doch Hunde können uns nicht nur beobachten. Manche Hundebesitzer meinen sogar, sie können fühlen, was wir denken. „Das ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt“, sagt die Verhaltensbiologin Stefanie Riemer von der Schweizer „HundeUni - Wissenschaft trifft Praxis“. „Aber sie können wahrnehmen, was wir fühlen.“ Denn in der Forschung gebe es definitiv Hinweise, dass Hunde zu Empathie fähig sind. So wie kleine Kinder, die weinen, wenn der Mutter Blut abgenommen werde.

Mitfühlende Empathie in Studien festgestellt

Belege für die sogenannte „mitfühlende Empathie“ konnten bei Studien festgestellt werden, in denen Hunde mit einer fremden, weinenden Person konfrontiert wurden. Statt unsicher zu reagieren und sich an die eigene Bezugsperson zu wenden, hätten sich viele Hunde tatsächlich um die weinende Testperson gekümmert. „Sie können Emotionen wahrnehmen und darauf reagieren, in einer Art wie fürsorglich“, so Riemer, die mehrere Jahre eine Forschungsgruppe zu Hundeverhalten an der Universität Bern geleitet hat.

Der Sinn dahinter ist eindeutig. Denn sowohl Hunde als auch Menschen sind sehr soziale Lebewesen. „Da ist es von Vorteil, sich in andere hineinversetzen zu können, um vorherzusehen, wie der andere gleich handeln wird.“ Es hilft, um ein Verhalten vorhersagen zu können und zu merken: Wenn der andere zornig ist und ich näherkomme, werde ich attackiert.

Ein zweiter Vorteil: Wenn ich andere beobachte und sehe, wie diese auf etwas Neues reagieren, das gefährlich sein könnte, muss ich nicht selbst noch diese Erfahrung machen. Und schließlich spüre ich auch, wenn ein anderes Gruppenmitglied Angst oder Schmerzen hat. „Wenn man gegenseitig kooperiert und quasi sagt: „Hilfst du mir, helfe ich dir“, nützt dies allen Gruppenmitgliedern, sagt Riemer.

Hundespezialisierungen: Menschen lesen können

Im Lauf der Domestikationsgeschichte hätten sich Hunde darauf spezialisiert, uns Menschen gut lesen zu können. „Und sie wissen, was unser fürsorgliches Verhalten ihnen gegenüber verstärkt, wenn sie auf unsere Emotionen reagieren“, so die Verhaltensbiologin.

Zwar gibt es keinen Hinweis, dass Hunde bewusst Angstverhalten wie Zittern oder eine eingeklemmte Rute „vorspielen“, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Gleichwohl scheinen einige genau zu wissen, was sie tun müssen, um von ihren Besitzern umsorgt zu werden. „Manche können auf Anhieb humpeln, weil sie gelernt haben, dass sie dann verwöhnt werden“, sagt Patricia Lösche. „Andere legen den Kopf schief und gucken ganz niedlich, weil sie dann ein Leckerchen bekommen.“

Auf jeden Fall haben sie eine ganze Reihe sozialer Verhaltensmuster. So manchen Hunden - vor allem Dalmatinern oder Border Collies - wird sogar nachgesagt, dass sie lachen können. Die Tierpsychologin erzählt vom mexikanischen Nackthund einer Freundin: „Der kann das definitiv, und zwar immer dann, wenn er freundlich auf einen zukommt“, erzählt sie.

Pfiffige Hunde können imitieren und synchronisieren

Offen ist jedoch, ob dabei ein Verhalten zutage kommt, das genetisch irgendwo in der Hundepopulation verankert ist, ob es erlernt sei oder bewusst eingesetzt werde. Oder ob es eher ein Reflex sei: So wie der Hund, der automatisch ebenfalls gähnt, wenn er von seinem Frauchen oder Herrchen angegähnt wird. Klar ist jedenfalls: „Hunde, die pfiffig sind, können uns auch imitieren“, so die Tierpsychologin. „Wenn wir jemanden anmeckern, dann stimmen viele ein und bellen mit.“

Nicht nur äußeres Verhalten wird von unseren Vierbeinern synchronisiert, sondern auch inneres. Und das auch über einen längeren Zeitraum. Wenn wir etwa monatelang Stress durch einen Umzug oder Ärger mit unserem Chef haben, kann sich das auch im Cortisolspiegel des Hundes widerspiegeln. Forschungen legen nahe, dass dies unabhängig von der Persönlichkeit oder dem Aktivitätsniveau des Hundes ist. „Es ist ein Indiz, dass tatsächlich eine Synchronisierung stattfindet“, sagt Lösche.

Hund spiegelt passend - und manchmal auch unpassend

Doch auch spontan wird unser Seelenleben gespiegelt. Etwa dann, wenn wir unserem Nachbarn begegnen, den wir nicht leiden können. Und wenn der Hund ihn anknurrt, obwohl wir selbst scheinbar freundlich sind. „Unsere emotionale Grundeinstellung haben wir nicht unter Kontrolle“, so die Expertin. Bevor wir handeln, hat unser Gehirn schon entschieden, was wir tun werden - und diese Millisekunden bekommt der Hund bereits mit. „Der ist schon vor uns da und wir können ihm gar nichts vormachen.“

Deshalb muss man auch gar nicht sprechen, damit der Hund einen „versteht“ oder weiß, was mit mir los ist. Oder auch, was er tun soll. Im Training etwa macht man sich das Nachahmen durch die Methode „Do as I do“ (Mach's mir nach) zunutze. „Hunde können sehr wohl auch lernen, uns nachzumachen, wenn sie begriffen haben, dass es das ist, worum es geht. Oder dass wir darauf besonders reagieren“, berichtet Patricia Lösche. Damit könne man tolle Trainingseffekte erzielen.

Es gibt nur einen Nachteil: Hunde sind stets so geradlinig, dass sie auch unsere Inkonsequenz nachahmen. Sprich: „Sie spiegeln uns auch dann, wenn wir nicht gespiegelt werden wollen.“

© dpa-infocom, dpa:220728-99-190071/2

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