In vielen menschlichen Gesellschaften wird Altsein vor allem mit Eigenschaften wie Leistungsabfall, Gebrechlichkeit und dem Verlust körperlicher Fähigkeiten verbunden. In der Natur sind es hingegen oft die ältesten Tiere, die überlebenswichtige Aufgaben besser erfüllen können als die Jüngeren. „Bestimmte biologische Eigenschaften älterer Individuen – aber auch ihr Wissen, ihre Weisheit und Führungsqualitäten – können von jüngeren Erwachsenen nicht ersetzt werden“, schreibt ein Wissenschaftlerteam um den Ökologen Keller Kopf von der australischen Charles Darwin University in einer gerade im Wissenschaftsjournal Science erschienenen Studie. Darin untersuchten die Fachleute die Bedeutung alter Tiere für die Funktionsfähigkeit natürlicher Lebensgemeinschaften und das Überleben ihrer jeweiligen Art.
Ihre Übersichtsstudie auf Basis von mehr als 9000 Fachpublikationen zu einzelnen Arten ergab, dass über alle Tiergruppen hinweg – vom Fisch über Vögel bis zu Säugetieren – die ältesten Angehörigen einer Population oft besonders erfolgreich im Kampf ums tägliche Überleben und die erfolgreiche Aufzucht von Nachwuchs sind. Sie leisteten damit einen bislang unterschätzten Beitrag für die Stabilität von Ökosystemen und den Fortbestand ganzer Arten, schreiben die Forscher.
Besonders wertvoll ist der Beitrag des Alters demnach bei Arten mit einer hohen Lebenserwartung wie Elefanten, Walen, einigen Fischarten oder auch großen Vogelarten. „Alte Tiere sammeln Wissen und Erfahrung über einen sehr langen Zeitraum hinweg an und verhelfen damit ihrem eigenen Nachwuchs und dem Nachwuchs der weiteren Generationen zu größeren Überlebenschancen“, fasst das Wissenschaftlerteam von vier Kontinenten seine Studienergebnisse zusammen.
Die Tiere selber scheinen um den Vorteil der Oldies in ihren Reihen zu wissen. „Weibchen vieler Arten neigen dazu, ältere Männchen als Partner zu wählen“, schreiben die Forscher. „Diese Männchen übernehmen oft wichtige soziale Rollen, etwa die Führung bei Tierwanderungen über Tausende Kilometer oder die Regulierung sozialer Strukturen durch die Verringerung aggressiven Verhaltens.“ Eine solchermaßen „weise Führung“ etwa in Wolfsrudeln oder in den Herden zahlreicher Huftiere habe direkte Auswirkungen auf die Überlebenschancen der ganzen Gruppe und ihres Nachwuchses.
Müssen alte Tiere besonders geschützt werden?
Herausragende Leistungen der älteren Artgenossen konnten die Studienautoren bei vielen unterschiedlichen Tiergruppen finden. Bei Elefanten etwa sorge die Führung alter Weibchen dafür, dass Herden in schwierigen Zeiten überleben. Ähnlich wichtig seien ältere Wale oder Haie, die durch ihre Erfahrung Artgenossen sicher zu den besten Nahrungsgründen leiteten. Auch erfahrene Elterntiere von Vogelarten mit langem Leben wie Adlern schaffen häufig mehr Nahrung heran als unerfahrene, und sie besetzen oft die besseren Reviere als die Youngster und erhöhen auch so die Überlebenschancen ihres Nachwuchses. „Mit dem Alter kommt die Weisheit“, fasst Chefautor Kopf die Erkenntnisse zusammen.
Der besondere Erfolg und damit die besondere Bedeutung alter Tiere für die gesamte Population sehen die Forscher aber nicht auf Säugetiere beschränkt. Denn kaltblütige Tiere wie Fische und Reptilien wachsen bis ins Greisenalter weiter und produzieren in ihren größeren Körpern deshalb oft viel mehr Nachfahren als jüngere Angehörige derselben Art. Alte Kabeljaus oder Thunfische spielten deshalb eine herausragende Rolle in der Stabilisierung ihrer Populationen. Erst vor Kurzem entdeckten Wissenschaftler, dass ältere Mütter einiger Arten von Fischen und Meeresschildkröten mit zunehmendem Alter sogar exponentiell mehr Nachkommen zur Welt bringen als im jüngeren Lebensalter. Ihr Nachwuchs hat zudem oft bessere Überlebenschancen – nicht zuletzt dank des Erfahrungsschatzes der alten Tiere.
Meeresbiologie:Wie Orcas den größten Fisch der Welt jagen
Walhaie werden bis zu 18 Meter lang und stehen doch auf dem Speisezettel von Killerwalen. Dabei setzen die Raubtiere auf eine gerissene Taktik.
Fatalerweise sind aber ausgerechnet ältere Tiere auch besonders häufig Opfer menschlicher Verfolgung, wie die Forscher aufzeigen. Besonders dramatisch zeige sich das in der Fischerei, wo die Jagd nach großen Fischen zu einem starken Rückgang alter Tiere in mehr als 80 Prozent der Meerespopulationen geführt habe. Auch an Land seien es häufig die älteren Tiere, die wegen ihrer Größe und den besonders ausgeprägten Trophäen gezielt erlegt würden. Die Folgen für die unterschiedlichen Populationen seien häufig gravierend. Elefantenherden verlören ihre Matriarchinnen, Herden von Huftieren und Rudel von Raubtieren ihre Anführer.
Als Konsequenz aus dem Wissen um den zunehmenden Wert alter Tiere fordern die Wissenschaftler ein Umdenken in Naturschutz und -nutzung. Um die Altersstrukturen der verschiedenen Arten zumindest teilweise wiederherzustellen, schlagen sie vor, die „Erhaltung der Langlebigkeit“ als eigene Schutzkategorie in den Roten Listen für die einzelnen Arten festzulegen. Bisher entscheidet vor allem die Entwicklung der Gesamtzahl von Tieren einer Art darüber, ob sie in der Roten Liste als gefährdet eingestuft werden oder nicht. Auch bei der Festlegung von Fangquoten in der Fischerei solle das Alter eine stärkere Rolle spielen, fordern die Experten.