Tiere:Laterne, Laterne, zeig mir deine Laterne

Tiere: Wenn der Mensch in der Abenddämmerung keine Farben mehr unterscheiden kann, fangen die Glühwürmchen zu leuchten an.

Wenn der Mensch in der Abenddämmerung keine Farben mehr unterscheiden kann, fangen die Glühwürmchen zu leuchten an.

(Foto: mauritius images)

Sie haben Scheinwerfer am Hintern, fressen 200-mal schwerere Schnecken und schalten nach dem Sex das Licht aus. Einblicke in die Welt der Glühwürmchen.

Von Stefan Wagner

Die ersten Besucher kommen schon früh am Morgen. Sie stellen Campingstühle auf, breiten Decken aus. Am frühen Abend gibt es kaum noch Platz auf der Forststraße von Elkmont im Great Smoky Mountains Nationalpark im US-Bundesstaat Tennessee. Shuttlebusse haben 1500 Menschen in das Waldstück gekarrt.

Jetzt stehen Familien, verliebte Pärchen und Touristen in der Dämmerung. Allmählich werden die Menschen leiser, fast andächtig. Dann geht es los, ein Blinken hier, ein Licht da, ein Schimmern unter dem grünen Blätterdach. Dann beginnen Zehntausende Glühwürmchen pulsierend zu leuchten, Beifall brandet auf.

Glühwürmchen sind die sanften Stars der Sommernächte. In dem Nationalpark in Tennessee nahmen vergangenes Jahr 22 000 Menschen an einer Lotterie um die 1500 Zufahrtsberechtigungen teil, um die seltenen synchron leuchtenden Tiere im Wald zu bewundern. Im thailändischen Amphawa gibt es Flussrundfahrten per Boot zu den besten Glühwürmchen-Spots, Japaner feiern Festivals zu Ehren der Insekten, und in Wuhan in China hat vor drei Jahren der erste Glühwürmchen-Themenpark eröffnet.

Und wer erinnert sich nicht an magische Sommernächte, an die Marmeladenglas-Fangversuche als Kind, an das faszinierte Staunen beim Bummel im Stadtpark? Dabei wissen die meisten Menschen nur wenig über die Biologie der blinkenden Wundertiere. Höchste Zeit also, die wichtigsten Fragen zu beantworten.

Können Würmer fliegen?

Natürlich fliegen Würmer nicht. Glühwürmchen sind auch keine Würmer, sondern Käfer. Eigentlich heißen sie ja Leuchtkäfer oder Johanniskäfer, Österreicher kennen sie als Sonnwendkäfer, Experten sprechen von Lampyridae. Glühwürmchen werden die Insekten wohl genannt, weil die Larven und die flügellosen Weibchen an Würmer erinnerten. Weltweit existieren mehr als 2000 Arten, drei davon in Deutschland: der Kleine Leuchtkäfer, der Große Leuchtkäfer und der Kurzflügel-Leuchtkäfer.

Warum leuchten sie?

Die Insekten senden Leuchtsignale aus, damit sich Männchen und Weibchen zur Paarung finden. Die Männchen erkennen die Weibchen ihrer Spezies an deren Leuchtmuster, also der Helligkeit, der Lichtfarbe, der Pulslänge, der Länge der Intervalle oder auch der Form des Leuchtkörpers. Das am hellsten leuchtende Weibchen lockt die meisten Männchen an. Wenn diese ein Weibchen entdeckt haben, fliegen sie es in zwei bis drei Metern Höhe an und lassen sich senkrecht fallen. Dabei beweisen die männlichen Glühwürmchen enorme Treffsicherheit. Bei einem Experiment steckten Forscher Weibchen in ein nach oben offenes Glasröhrchen mit einem Durchmesser von 2,5 Zentimeter.

Etwa 65 Prozent der Männchen gelang es, direkt in das Röhrchen zu stürzen, der Rest landete im Umkreis von 20 Zentimetern. Es ist ein Rennen gegen die Zeit: Können Weibchen keine Männchen anlocken, wird das Leuchten schwächer und schwächer, bis die Laterne erlischt. Wenige Weibchen haben genug Energie, um länger als etwa zehn Tage zu leuchten. Klappt es mit der Paarung, stirbt das Männchen unmittelbar nach dem Akt, das Weibchen schaltet in der Regel sein Licht ab und beginnt wenige Tage darauf mit der Eiablage. Manchmal glimmen bereits die Eier der Glühwürmchen, auch die Larven können ein wenig schimmern, wenn sie gestört werden.

Wann kann ich sie sehen?

In Mitteleuropa sind normalerweise die Monate Juni und Juli die Hochzeit der Käfer. Höhepunkt ist häufig um den Johannistag am 24. Juni, deshalb werden die Insekten auch als Johanniskäfer bezeichnet. Je nach Temperatur und Klima verschiebt sich die Leuchtperiode von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort. Generell beginnen die Käfer in der späten Dämmerung zu leuchten, etwa dann, wenn Menschen in der Dunkelheit keine Farben mehr unterscheiden können.

Das Wetter spielt eine untergeordnete Rolle, besonders die Weibchen leuchten auch bei Regen. Ideal sind die Tiere natürlich in der Dunkelheit erkennbar, fernab von Lichtquellen. Die Leuchtkäfer fliegen zwischen ein und drei Stunden. 22 Uhr ist die optimale Zeit, gegen Mitternacht hört das Blinken meist auf.

Leuchten Glühwürmchen wirklich oder spiegeln sie nur andere Lichter wider?

Leuchtkäfer erzeugen selbst Licht. Diese Fähigkeit heißt Biolumineszenz. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Phosphoreszenz oder der Fluoreszenz. Solche Tiere leuchten nur, wenn sie angestrahlt werden, ähnlich wie die Leuchtsterne an Kinderzimmerdecken. Am Hinterleib der Glühwürmchen befinden sich ihre Lichtmaschinen, die Leuchtzellen, Laternen genannt.

In ihnen läuft eine chemische Reaktion ab. Der Stoff Luciferin reagiert unter dem Einfluss des Enzyms Luciferase mit Sauerstoff, dabei wird Energie in Form von Licht frei. Luciferin kommt aus dem Lateinischen, von lux (Licht) und ferre (tragen, bringen). Luciferin ist also der "Lichtträgerstoff". Die Laternen sind wie Autoscheinwerfer aufgebaut: eine durchsichtige Gewebschicht (das Glas), die lichtgebenden Zellen (die Glühbirne) und eine Zellschicht aus Harnsäurekristallen (der Spiegel, der das Licht nach außen reflektiert).

Wie lange leben sie?

Die fliegenden Leuchtkäfer leben nur etwa sieben bis zehn Tage. Ihre Larven bereiten sich zwei bis drei Jahre auf diese wenigen Tage vor. Die Glühwürmchen leuchten also weit weniger als ein Prozent ihrer Lebenszeit. Die Larven schlüpfen im August und ernähren sich von Schnecken. Nach zwei oder drei Wintern verpuppen sich die Larven im späten Frühjahr oder Frühsommer. Nach zehn Tagen verlassen sie als Käfer die Puppe. Dann folgt die Blinkphase und die Paarungszeit.

Statt Sex kommt der Tod

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Unter den 2000 Glühwürmchenarten gibt es viele unterschiedliche Signale. Weibchen der nordamerikanischen Leuchtkäferart Photuris versicolor imitieren das Blinken der Leuchtkäferweibchen anderer Arten. Kommen die Männchen paarungswillig zum blinkenden Weibchen, erwartet sie jedoch statt Sex der Tod: Die Weibchen fressen die Männchen der anderen Art.

Wovon ernähren sich Glühwürmchen?

Leuchtkäfer fliegen in ihrer Fastenzeit. Viele der Leuchtkäferarten haben nicht einmal Beißwerkzeuge, da sie in ihrem kurzen Leben ohnehin nichts zu sich nehmen müssen. Sie leben von Luft und Liebe. Nur die Larven der Käfer fressen - und zwar reichlich. Ihre Leibspeise sind Nackt- und Gehäuseschnecken aller Art. Da die Larven praktisch blind sind, folgen sie dem abgesonderten Schleim, den die Schnecken hinterlassen.

Dieser Spur können sie noch dreißig Stunden nach dem Vorbeikriechen folgen. Die Larven greifen bis zu 200-mal schwerere Tiere an. Sie beißen in das Vorderende der Schnecke und injizieren ein Gift. Bei Gehäuseschnecken reiten sie auf dem Schneckenhaus und belauern die Öffnung, um die Schnecke immer wieder zu beißen, so lange, bis diese gelähmt ist.

Können alle Glühwürmchen fliegen?

In Europa können nur die Männchen fliegen und blinken, die Weibchen sind flugunfähig, haben nicht einmal Flügel. Während der Paarungszeit sitzen die Weibchen leuchtend im Gras oder auf Büschen, die Männchen tanzen blinkend durch die Luft und halten Ausschau nach ihren Partnerinnen. Manchmal bewegen sich die weiblichen Insekten nur wenige Zentimeter von ihrem angestammten Fleck weg. Alle Energie wird auf das Leuchten verwendet, Bewegung wäre Kraftverschwendung.

Wo finde ich Glühwürmchen?

In unseren Breitengraden halten sie sich gerne an Waldrändern und in lichten Gebüschen auf, in Wiesen, Parks und Gärten, an Böschungen und Bahndämmen. Sie lieben die Nähe zu offenem Wasser. Ideal sind naturbelassene, ungemähte, feuchte Wiesen nahe bei einem Wald. Nicht finden kann man sie in dichten Wäldern und Nadelwald. Die Larven leben in Laubstreu.

Wie hell ist ihr Leuchten?

Eine Kerze leuchtet etwa tausend Mal heller als ein mitteleuropäischer Leuchtkäfer. Stärker leuchten die Tiere in anderen Weltregionen wie den Urwäldern Lateinamerikas. Der Naturforscher Alexander von Humboldt soll sich auf einer seiner Expeditionen eine Leselampe gebastelt haben, indem er einen Kürbis aushöhlte, mit Löchern versah und einige Leuchtkäfer darin einsperrte. Dabei sind alle Arten extrem energieeffizient.

Sie haben einen Wirkungsgrad von bis zu 98 Prozent. Das heißt, dass fast die gesamte Energie in Form von Licht und nur ein geringer Teil als Wärme abgegeben wird. Bei einer herkömmlichen Glühlampe liegt der Wirkungsgrad bei fünf Prozent. Berührt man hell leuchtende Leuchtkäfer geben sie keine Wärme ab, was schon im 16. Jahrhundert den italienischen Naturforscher Ulisse Aldrovandi verwunderte: "Sonderbarerweise verbrennt man sich nicht, wenn man die Tiere berührt."

Wie kann ich den Tieren helfen?

Mit einigen Maßnahmen lässt sich ein Garten glühwürmchenfreundlicher machen. Weil die Tiere ihre Partner über die Leuchtsignale der Weibchen finden, behindern Störlichter die Tiere bei der Fortpflanzung. Es hilft, die Zahl der künstlichen Lichtquellen zu verringern. Das gilt vor allem in der kritischen Zeit Ende Juni/Anfang Juli. Lampen sollten nach unten leuchten, um zu verhindern, dass die Männchen geblendet oder verwirrt werden. Insektiziden und Schneckenmittel gefährden Larven und Leuchtkäfer, außerdem töten sie Schnecken. Laub-, Stein- oder Asthaufen liegen lassen. Trockenmauern, Streifen mit Wildkräutern oder Hecken bieten den Tieren Verstecke und unterstützen ihre Entwicklung

Trotz aller Forschung verzaubern Glühwürmchen die Menschen bis heute. "Auch ich bin über das Wundern zum Wissenwollen gekommen", sagt der Oldenburger Glühwürmchenexperte René Spierling. "Ich lerne jedes Jahr dazu", sagt er, "das sind mit die faszinierendsten Tiere, die ich kenne." Ja, vieles sei nach wie vor unklar, sagt auch der britische Naturkundler John Tyler: "Wie weit fliegen Männchen auf der Suche nach Weibchen?

Warum tauchen paarungsbereite Weibchen oft mehrere Tage vor den Männchen auf? Wie wirken sich die Verringerung des Habitats, der Einsatz von Pestiziden und der Klimawandel auf die Tiere aus?" Ihr Verschwinden wäre jedenfalls dramatisch, schließlich stehen die Glühwürmchen für die längsten Tage des Jahres, für die Trunkenheit einer Sommernacht, für die Liebe und für das Glück. Und das ist sogar so, wenn man mit 1500 Gleichgesinnten an einem Waldrand in Tennessee steht.

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