Tiefseebohrungen:Quellen des Risikos

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Die Welt verlangt nach immer mehr Öl, die Reserven schwinden: Auch nach der Katastrophe im Golf von Mexiko wollen die Konzerne auf das Geschäft mit riskanten Bohrungen nicht verzichten

Jeanne Rubner

Vor ziemlich genau fünf Monaten explodierte die Öl-Plattform Deepwater Horizon, jetzt hat der oberste Katastrophenmanager Thad Allen das Bohrloch für "tot" erklärt, für endgültig versiegelt. Wochenlang hatte die Welt den Atem angehalten angesichts einer Ölpest, die nicht zu enden schien. Fast 800 Millionen Liter strömten in den Golf von Mexiko, bis der Konzern BP es endlich schaffte, das Bohrloch in 1500 Metern Tiefe abzudichten.

Arbeiten am abgedichteten Bohrloch im Golf von Mexiko. Weltweit gesehen geht das Geschäft mit den Tiefseebohrungen nach der Katastrophe der "Deep Horizon" unvermindert weiter - die Ölindustrie kann es sich gar nicht leisten, darauf zu verzichten. (Foto: dpa)

Wie Tiere und Pflanzen die riesige Menge an giftigem Öl verkraften, darüber streiten Forscher heftig - unter den ökologischen Folgen könnte die Menschheit noch Jahrzehnte leiden. Und die Schäden sind nicht zu beziffern. Umstritten sind auch die Auswirkungen der Ölpest für die Menschen der besonders betroffenen Küstenstaaten Louisiana und Mississippi, die um ihre Jobs bangen. Allein für die Abdichtung des Bohrlochs sowie für bisherige Aufräumarbeiten und Entschädigungen rechnet BP mit Kosten von acht Milliarden Dollar.

Die Folgen der Ölpest mögen unkalkulierbar sein - auf die weltweiten Tiefseebohrungen dürften sie sich kaum auswirken. Zwar hat die US-Regierung bis Ende November ein Bohrverbot für den Golf von Mexiko verhängt. Dieses wird aber wohl aufgehoben, wenn im Gegenzug strengere Genehmigungs- und Sicherheitsregeln gelten. Zudem sollen die Ölkonzerne in Zukunft nicht mehr nur für Schäden in Höhe von 75 Millionen Dollar geradestehen. Wie hoch die Haftpflicht sein wird, darüber streiten Amerikas Abgeordnete derzeit heftig.

Doch im Poker um billiges Öl ist die Deepwater Horizon nur ein kleiner Baustein: Das Feld, das man mit Hilfe des nun versiegelten Bohrlochs ausbeuten wollte, enthält schätzungsweise 85 Millionen Fass - nur etwa so viel, wie die Menschheit an einem einzigen Tag verbraucht, und das Sechsfache der Menge, die Tag für Tag in den Autos, Fabriken und Häusern der USA verbrannt wird.

Weltweit gesehen geht das Geschäft mit den Tiefseebohrungen also unvermindert weiter - die Ölindustrie kann es sich gar nicht leisten, darauf zu verzichten. Denn es ist absehbar, dass die küstennahen Offshore-Bohrungen, die derzeit etwa ein Drittel der gesamten Ölförderung ausmachen, irgendwann erschöpft sein werden. Dann bleibt nur noch die Suche weiter draußen, in Tiefen von mehreren hundert Metern.

Dort aber herrscht enorm hoher Druck, und das meist poröse Gestein erschwert die Bohrungen. Weil Menschen nicht so tief tauchen können, müssen sich die Ölfirmen auf Roboter und Tauchboote verlassen. Technische Eingriffe sind daher ungleich komplizierter, wie man beim Abdichten des Lecks bei der Deepwater Horizon gesehen hat.

Als besonders aussichtsreiche Ölvorkommen gelten - neben dem Golf von Mexiko, wo bereits heute mehrere Dutzend Tiefsee-Bohrlöcher angezapft werden - die Atlantikküsten Brasiliens und Westafrikas sowie die Arktis. Kleinere Vorkommen erwarten Fachleute zudem im Mittelmeer, wo BP seit Mitte August vor der Küste Libyens bohrt. Für die internationalen Konzerne sind vor allem der Golf sowie Grönland oder Alaska interessant, da die anderen Vorkommen sich in der Hand staatlicher Ölgesellschaften befinden, etwa der brasilianischen Petrobras.

In Grönland hat die schottische Firma Cairns Energy im August mit Bohrungen begonnen, am Dienstag meldete das Unternehmen, man sei an einer Stelle auf Öl gestoßen. Die für dieses Jahr geplanten Aktionen vor der Küste Alaskas sind nach der Katastrophe im Golf erst einmal verschoben worden; Shell Alaska, das zwei Milliarden Dollar für die Bohrrechte bezahlt hat, hofft nun auf das kommende Jahr.

Die Ölreserven der Arktis können zwar größtenteils in einer Wassertiefe von weniger als 500 Metern angezapft werden, diese Bohrungen sind also technisch weniger anspruchsvoll als in den tiefen Gewässern des Golfs. Dennoch halten Umweltschützer sie für mindestens ebenso riskant. Weil Rettungsaktionen in der menschenleeren Arktis schwierig sind und das Ökosystem dort besonders sensibel ist, könnten sich Unfälle verheerend auswirken.

Umweltschutzorganisationen wie der WWF fordern angesichts der schwierigen Technik, erst einmal alle Bohrungen in der Tiefsee zu stoppen; außerdem solle eine internationale Behörde die Exploration kontrollieren. Beides freilich ist utopisch, schließlich darf jedes Land entscheiden, wo und wen es in der 200-Meilen-Zone vor seiner Küste bohren lässt.

Angesichts des wachsenden Ölhungers und schwindender Reserven an Land wird wohl überall dort gebohrt werden, wo es sich lohnt. Bleibt nur die Hoffnung, dass Sicherheitsbestimmungen verschärft werden und dass - wenn ein Unfall passiert - Unternehmen haften. Der Münchener Rückversicherer Munich Re jedenfalls hat der US-Regierung vor wenigen Tagen das Angebot unterbreitet, Schäden pro Bohrung bis zu 20 Milliarden Dollar abzudecken, bisher sind in der Branche höchstens 3,5 Milliarden versichert. Für die Katastrophe der Deepwater Horizon aber dürften auch 20 Milliarden zu wenig sein. Die Schäden werden auf 70 Milliarden Dollar taxiert.

© SZ vom 23.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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