Süddeutsche Zeitung

Davos:Greta Thunberg ist zu pessimistisch

In den vergangenen 18 Monaten sei in der Klimafrage "praktisch nichts" erreicht worden, sagt sie. Dabei gibt es endlich erste Fortschritte. Klimaschutz fällt nun mal nicht vom Himmel - sondern muss mühevoll ausgehandelt werden.

Kommentar von Marlene Weiß

Man kann schon verstehen, dass Greta Thunberg und die anderen Jugendlichen, die weiter freitags auf die Straße gehen, wütend sind. "Praktisch nichts" sei in den vergangenen 18 Monaten im Klimaschutz erreicht worden, hat Greta Thunberg nun in Davos gesagt. Und wer jetzt empört grummelt: "Aber so kann man das doch nun wirklich nicht formulieren", den würde die stets gut vorbereitete junge Schwedin wohl zu Recht auf die CO₂-Emissionen der Menschheit verweisen: Die sind weiter gestiegen, jedes Jahr auf einen neuen Rekordwert.

In allen halbwegs realistischen Szenarien, die die Erwärmung der Erde wahrscheinlich unter 1,5 Grad Celsius halten, müssen die Emissionen spätestens im Jahr 2020 rapide zu sinken beginnen - doch das wird aus heutiger Sicht kaum passieren. Die Zeit für ambitionierten Klimaschutz läuft davon. Das ist natürlich besonders frustrierend, wenn man bedenkt, wie viel in dieser Zeit seit dem Beginn der Fridays-for-Future-Demonstrationen über Klimaschutz geredet wurde. Sie könne sich nicht über mangelndes Gehörtwerden beschweren, sagte Greta Thunberg auch in Davos: Sie werde die ganze Zeit gehört. Aber Hören ist eben nicht Handeln.

Und doch ist "praktisch nichts" eine sehr pessimistische Sichtweise. Denn es sind schon bemerkenswerte Dinge passiert in den vergangenen Jahren, vor allem in Anbetracht der Tatsache, wie wenig in den drei Jahrzehnten zuvor vorangegangen ist. Dutzende Staaten im Paris-Abkommen haben sich zu dem Ziel bekannt, bis 2050 CO₂-neutral zu werden. Die EU macht mit dem Green Deal Fortschritte und verhandelt über ein schärferes Klimaziel für 2030. Zahlreiche Staaten haben zugesagt, in diesem Jahr neue, ehrgeizigere Klimaziele zur Umsetzung des Paris-Abkommens einzureichen.

Natürlich taugen Ziele nur dann etwas, wenn man auch etwas tut, um sie zu erreichen. Ein Ziel allein spart noch kein Gramm CO₂. Aber andersherum fällt Klimaschutz auch nicht vom Himmel, er muss zuerst mühevoll ausgehandelt werden. Immerhin in dieser Hinsicht ist mittlerweile einiges passiert. Zu wenig, zu spät, das ja. Aber auch nicht "nichts" - zum Glück.

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SZ vom 22.01.2020/jael
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