Thema Weltklima:Von Kyoto über Bali nach Kopenhagen

Nach dem Tiefpunkt auf der letzten Klimakonferenz ist wieder Dynamik in den globalen Kampf gegen die Treibhausgase gekommen.

Michael Bauchmüller und Wolfgang Roth

Der Internationale Wissenschaftsrat der Vereinten Nationen hat den Ernst der Lage verdeutlicht. Die Europäische Union bekennt sich zu neuen Klimazielen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon setzt das Thema der Erderwärmung auf die Agenda der Staats- und Regierungschefs. In den USA steigt nun der Druck von Gouverneuren und Unternehmen auf Präsident George W. Bush.

Am Ende war nur Ernüchterung. "Ich hatte große Hoffnung in diese Konferenz", sagte die kenianische Umweltschützerin Sharon Looremetta nach Abschluss der letzten Klima-Verhandlungen. "Aber nichts hat sich geändert, gar nichts."

Nairobi, November 2006. Wie so viele Klimakonferenzen zuvor endet auch diese mit viel heißer Luft. Es soll weitergehen mit dem Klimaschutz, irgendwie. Aber zu Konkreterem kann sich die Staatengemeinschaft nicht durchringen - trotz aller Warnungen und Appelle vor Beginn der Konferenz.

In seinem Bonner Büro denkt Yvo de Boer, Chef des UN-Klimasekretariats, heute noch mit Unbehagen an die Zeit nach Nairobi. "Ich habe mich damals gefragt: Wie oft kann es sich der UN-Prozess erlauben zu scheitern?", sagt er. "Vielleicht einmal? Zweimal?"

Irgendwann könnte den Staaten vielleicht die Luft ausgehen, könnten sie den Glauben an einen gemeinsamen Kampf gegen die Erderwärmung aufgeben. "Damals habe ich nicht zu hoffen gewagt, was heute passiert." Binnen weniger Monate ist das Thema auf der globalen Agenda nach ganz oben gerückt. Und plötzlich scheint eine Nachfolgeregelung für das Kyoto-Protokoll wieder ganz nah zu sein - mit mehr Staaten, mit höheren Zielen.

Kyoto, Dezember 1997. Der Name der japanischen Kaiserstadt steht für das umfassendste umweltpolitische Abkommen, das unter dem Dach der Vereinten Nationen je zustande gekommen ist. Aus heutiger Sicht aber steht Kyoto auch für das Scheitern an der Aufgabe, in einem ersten Schritt die Treibhausgase der Industrienationen zu reduzieren.

Das ist das Paradox: Noch nie haben sich mächtige Nationen zumindest auf dem Papier eine so einschneidende Änderung ihrer Art zu wirtschaften auferlegt.

Das Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht etwa - ein überaus erfolgreiches Instrument - war dagegen ein Klacks. Ersatzstoffe für die Ozonkiller waren schon entwickelt, neue Märkte winkten und versprachen weltweit neue Gewinne.

Die klimaschädlichen Gase einzudämmen, erfordert hingegen strukturelle Eingriffe in nahezu alle Bereiche der Wohlstandsgesellschaften. Das ist der Grund, warum schon in Kyoto der Keim dafür gelegt wurde, das Protokoll in den Folge-Konferenzen stark abzuschwächen.

Großen Anteil daran hatte die Delegation der USA, die in Japan maßgeblich dafür sorgte, dass die Industriestaaten ihr Minimierungsziel - insgesamt minus 5,2 Prozent Treibhausgase bis 2012, gemessen am Basisjahr 1990 - über zahlreiche Schlupflöcher erreichen können.

Der internationale Handel mit Verschmutzungsrechten, klimaschützende Investitionen im Ausland und die Größe der Wälder können in hohem Maße angerechnet werden und dazu dienen, die notwendige Energiewende im eigenen Land in weite Ferne zu rücken. Da wurde lange und erbittert gerungen, wie viel Treibhausgas sich dadurch einsparen lässt, dass die amerikanischen Landwirte nicht mehr so tief pflügen wie bisher, wie und ob sich das überhaupt kontrollieren und in die Klimabilanz einer Nation einrechnen lässt.

Dass sich in der Folge just jenes Land in Gänze vom Kyoto-Protokoll verabschiedete, das vorher so tatkräftig zu seiner Verwässerung beigetragen hatte, ist die Tragik.

Solche Details prägen die Klimakonferenzen bis heute, und sie kulminieren meist in der letzten Nacht, die den Tag in Kyoto seinerzeit um 20 Stunden verlängerte.

Der argentinische Verhandlungsleiter Raul Estrada hatte um Mitternacht einfach die Uhren angehalten und die schon ermatteten Delegierten beharrlich zu einem Kompromiss getrieben. Die verordneten sich abwechselnd Schlafpausen am Tisch, einer musste mindestens immer Wache halten, um notfalls sein Veto einzulegen.

Die Spanne der Interessen ist dabei so groß, wie die Welt weit ist. Das Einstimmigkeitsprinzip zwingt kleine Inselstaaten und reiche Ölförderländer zu einem Schlusstext, den alle mittragen. Was dabei herauskommt, ist dann ein Kompromiss à la Kyoto.

Trotzdem: Das Protokoll war ein Durchbruch, obwohl es noch mehr als sieben Jahre dauern sollte, bis der Vertrag mit der Ratifizierung durch Russland in Kraft trat. Der Kreml hatte den Rest der Welt lange zappeln lassen und dabei noch so manches Zugeständnis erreicht.

Wieder hängt nun viel von den USA ab, deren Administration in Japan zwar nicht Senat und Kongress, aber den Präsidenten Bill Clinton und seinen Stellvertreter Al Gore hinter sich wusste. Noch ist George W. Bush an der Macht, aber es mehren sich die Anzeichen im Land, dass mit dem Ende seiner Ära auch der Klimaschutz wieder einen anderen Stellenwert bekommt.

In einem gediegen möblierten Raum der amerikanischen Botschaft sitzt James Connaughton und redet ganz anders als noch vor drei Monaten. "Unser Ziel ist es, ein Abkommen für die Zeit nach 2012 zu erreichen", sagt er. "Daran arbeiten wir."

Das ist bemerkenswert, denn Connaughton ist Bushs persönlicher Beauftragter für den Klimaschutz. Und der redet über ein Abkommen, aus dem die USA doch eigentlich ausgetreten sind. "Wir bewegen uns in diesem Herbst auf einem höheren Niveau als in den neunziger Jahren", sagt er.

Noch vor gut drei Monaten hatte sich Connaughton ganz anders angehört. Damals stand der G-8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm vor der Tür, die USA stellten sich in einigen Fragen quer - in Fragen des Klimaschutzes.

"Heiligendamm war ein Riesenerfolg"

"Es wäre eine Verschwendung von Zeit und Mühen, nur über verbindliche Ziele zu streiten", hatte Connaughton damals gesagt. Am Ende lenkten die USA ein, diese Haltung zumindest zu überdenken - und sie verpflichteten sich, am Folgeabkommen des Kyoto-Protokolls mitzuwirken.

"Heiligendamm war ein Riesenerfolg", schwärmt der Bush-Vertraute heute. Bei dem Streit mit der deutschen G-8-Präsidentschaft sei es doch nur um zwei Punkte gegangen - und nicht "um die Dutzenden Gemeinsamkeiten".

Nairobi, Brüssel, Heiligendamm, New York, Bali - es sind Stationen eines stetigen Aufstiegs, einer neuen Dynamik im Klimaschutz. Den Anfang machte, nach der Niederlage in Nairobi, die Europäische Union im März.

Da verständigten sich die EU-Länder darauf, in jedem Fall bis 2020 die Treibhausgas-Emissionen zu senken, und zwar um 20 Prozent. Sollten andere Industriestaaten mitmachen, will die Europäische Union sogar draufsatteln, will verglichen mit dem Jahr 1990 um 30 Prozent weniger klimaschädliche Gase ausstoßen.

Damit war eine Bremse der internationalen Verhandlungen gelöst - in denen sich stets der eine nur bewegt, wenn der andere vorangeht und umgekehrt. Im Juni verabredeten die acht mächtigsten Industriestaaten in Heiligendamm, bis 2009 ein Folgeabkommen für das Kyoto-Protokoll zu vereinbaren.

Fernziel: eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2050. Und in New York schließlich schwor UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu Beginn dieser Woche die Staats- und Regierungschefs von mehr als 70 Nationen auf den Klimaschutz ein. Er warnte die USA indirekt vor Alleingängen, deren Präsident sich aber demonstrativ fernhielt.

Das alles ist flankiert von immer neuen Erkenntnissen des vielhundertköpfigen Wissenschaftler-Rates IPCC, der in bislang drei neuen Berichten alle Annahmen über Risiko und Folgen eines raschen Klimawandels deutlich nach oben korrigierte. "Bali wird der Moment sein, wo die Politik eine Antwort auf die Wissenschaft geben muss", sagt UN-Klimasekretär de Boer.

Aber kann sie das? Die Antwort muss Mitte Dezember in Nusa Dua fallen, einem Ferienresort an der Südküste der indonesischen Vulkaninsel. Zehn Jahre nach der Kyoto-Konferenz sollen die 191 Staaten der UN-Klimarahmenkonvention dort beschließen, über die Nachfolgeregelung zu verhandeln.

Das wird ein entscheidender Schritt, denn mit dem Verhandlungsmandat dürften die Staaten auch schon einen groben Rahmen für das Ergebnis abstecken. Sie können vereinbaren, welches grobe Reduktionsziel sie anstreben, welche Methoden sie wählen, bis wann sie fertig sein wollen.

"Bali muss schon die Kernelemente für den Vertrag nach 2012 festlegen", sagt Jennifer Morgan vom britischen Umwelt-Institut Third Generation Environmentalism. "Es muss vorgeben, dass die Industrieländer weiter Emissionen mindern und dass die Entwicklungsländer bereit sind, ihren Teil der Last zu schultern."

Problem Wirtschaftswachstum

Hier liegt das Problem. Im Rausch des Wirtschaftswachstums werden sich Staaten wie China, Indien oder Brasilien wohl kaum verpflichten, ihre Emissionen zu drosseln - und damit womöglich ihren Boom.

Sie müssen mit anderen Mitteln ins Boot. Etwa durch verbindliche Zusagen, ihre Produkte Jahr für Jahr mit weniger Energie zu produzieren. Oder durch die Vereinbarung einer Obergrenze, die irgendwann kein Staat der Erde mehr überschreiten darf.

Es wird um finanzielle Unterstützung, um die Verbreitung neuer Technologien, um die künftige Rolle von Mechanismen wie dem Emissionshandel gehen.

Denn so viel ist klar: Bleiben die Boomländer draußen, machen auch die USA nicht mit - dann steht das ganze Abkommen auf der Kippe. "Wir brauchen einen stärker differenzierten Ansatz", sagt der US-Klimabeauftragte Connaughton schon jetzt - und just an diesem Donnerstag will er mit Kollegen aus 18 Industrie- und Schwellenländern in Washington darüber beraten. "Es gibt einen hohen Grad an Übereinstimmung", hat er festgestellt.

Das Jahr 2007, so viel steht schon jetzt fest, wird zum Entscheidungsjahr für den Klimaschutz. Sollte Bali scheitern, stünden die Vereinten Nationen vor einem Scherbenhaufen - ganz so, wie Yvo de Boer sagt: Noch einmal können sich die UN ein Scheitern kaum leisten. Gibt es dagegen einen Verhandlungsauftrag, könnte das nächste Klimaabkommen das "Kopenhagen-Protokoll" sein.

Dänemark richtet 2009 die Klimakonferenz aus - in jenem Jahr also, in dem im besten Fall die Nachfolgeregelung steht. Eigentlich wäre Europa 2009 gar nicht an der Reihe, eine Klimakonferenz zu veranstalten. Doch die dänische Regierung setzte einiges daran, den Zuschlag für die Konferenz zu bekommen und damit auch deren Vorsitz. Es soll ein klangvoller Name werden - der Vertrag von Kopenhagen.

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