Teure Forschung:Seid verschlungen, Milliarden

Moderne Forschung braucht teure Geräte, keine Frage. Aber die Kosten für wissenschaftliche Großprojekte explodieren regelmäßig. Dahinter steckt keine Fehlplanung, sondern Kalkül.

Marlene Weiss

Klangvolle Worte fanden die EU-Verkehrsminister, als sie sich im März 2002 auf die Entwicklung eines eigenen Satellitennavigationssystems einigten. Es gehe um die europäische Identität, hieß es, und das System namens Galileo diene der Eigenständigkeit Europas.

Angesichts solcher Ziele erschienen die geplanten Kosten von 3,4 Milliarden Euro noch erträglich. Inzwischen sieht es jedoch anders aus: Nachdem der europäische Rechnungshof schon 2009 erhebliche Zweifel an der bisherigen Kalkulation geäußert hatte, hat die EU-Kommission jetzt eingestanden, dass das Projekt mindestens 1,9 Milliarden Euro teurer wird.

Solche Hiobsbotschaften sind keine Seltenheit, wenn es um technische oder wissenschaftliche Großprojekte geht. Denn die Planer moderner Forschungsapparaturen gehen meist anders vor als etwa ein privater Häuslebauer, der mit einer realistischen Überschlagsrechnung samt Puffer für unvorhergesehene Ereignisse zur Bank geht.

Die Planer von Infrastrukturprojekten fragen oft zuerst die zuständigen Politiker, welche Summe sich gerade noch vertreten ließe - und rechnen dann so lange, bis sie ein Szenario für den bestmöglichen Fall beisammen haben, das mit dieser Summe auskommt. Das Budget ist dann oft schon bei Baubeginn überholt, aber bis dahin sind im Idealfall so viele internationale Verträge unterzeichnet und so große Summen in die Planung geflossen, dass sich die zusätzlichen Millionen auch noch auftreiben lassen. Leider geht es oft auch um Milliarden.

In Darmstadt plant die Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) derzeit das Teilchenbeschleunigerzentrum Fair. Ursprünglich sollte das Projekt 700 Millionen Euro kosten, inzwischen rechnet Simone Richter, administrative Direktorin der Fair GmbH, eher mit 1,5 Milliarden.

Für einen Skandal reicht das bei weitem nicht, im Gegenteil: Die Preissteigerung bleibt im üblichen Rahmen. Fair wurde eben mit maximalem Optimismus geplant, so wie viele Projekte dieser Größenordnung.

"Man klopft beim Zuwendungsgeber ab, welche Zahl vertretbar wäre", sagt Richter. Dann wird ein Kostenvoranschlag erstellt - so knapp wie irgend möglich und in der Hoffnung, dass die Preise gar noch fallen werden. Bei der Umsetzung des Projekts müssen die Manager nicht nur den Zulieferunternehmen, sondern auch den Wissenschaftlern auf die Finger schauen. Denn einerseits ist deren Expertise gefragt, andererseits neigen sie dazu, für alles das beste Instrument zu fordern - das unter Umständen nur wenig besser, aber viel teurer ist als das zweitbeste, das es auch täte. "Die Sahnehäubchen gehen dann richtig ins Geld", sagt Richter.

Die Behörden tun sich schwer, gegen ausufernde Kosten anzugehen, ihnen fehlen die Druckmittel. Weil man das Land nicht mit Investitionsruinen übersäen möchte, können einmal genehmigte Projekte selten gestoppt werden. "Kostenschätzungen werden insbesondere im Fall von Kostensteigerungen intensiv überprüft", teilt das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf Anfrage mit. "Die letztmögliche Option eines Projektabbruchs wird in der Regel nicht greifen", heißt es jedoch weiter: Wenn sich nichts mehr einsparen lässt, kläre das BMBF andere Finanzierungsoptionen.

"Die Planung muss ehrlicher werden"

Eine Bank würde den Kredit an dieser Stelle womöglich kündigen. Der Steuerzahler tut das nur sehr selten. So stoppte etwa die Clinton-Regierung 1993 den Bau des Protonenbeschleunigers Superconducting Supercollider (SSC) in Texas, nachdem die projektierten Kosten von ursprünglich 4,4 Milliarden Dollar auf zwölf gestiegen waren - und das, obwohl zwei Milliarden davon bereits ausgegeben waren.

Die Internationale Raumstation ISS dagegen wurde 1984 unter dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan mit einem Budget von acht Milliarden Dollar angestoßen. Im Jahr 2005 schätzte die europäische Raumfahrtagentur Esa die Gesamtkosten über die Laufzeit des Projekts auf 100 Milliarden Euro. Nachfragen bei der Esa, wie viel Geld bis heute in den Aufbau der ISS geflossen ist, bleiben ohne Antwort, die genaue Zahl scheint niemand zu kennen.

Ähnlich verhält es sich beim im südfranzösischen Cadarache geplanten Fusionsreaktor Iter: Seit dem Jahr 2005 stiegen die geplanten Kosten von 4,6 auf 14,7 Milliarden Euro - noch bevor der Bau richtig begonnen hat. Der EU-Beitrag erhöht sich damit um 3,7 Milliarden Euro, was Iter einen Eintrag im diesjährigen Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler einbrachte. Darin wird vor allem die Konstruktion des Projekts kritisiert. Weil die EU-Atomgemeinschaft Euratom nicht von den Verträgen zurücktreten könne, sei Iter de facto ein Blankoscheck ausgestellt, man müsse sich nicht wundern, wenn dann die Kosten explodieren.

"Die Planung muss ehrlicher werden", sagt Sebastian Panknin vom Steuerzahler-Bund, "man hat doch die Erfahrungswerte und weiß, dass man Risikopuffer einplanen muss." Der Mechanismus sei ähnlich wie bei öffentlichen Bauvorhaben: "Die beteiligten Unternehmen verkaufen die Katze im Sack und machen das Geld mit Nachforderungen", sagt Panknin. Und die Verwaltung habe dem wenig entgegenzusetzen - einerseits, weil Politiker mit im Boot säßen, sobald sie einem Projekt zugestimmt haben und darum Kostensteigerungen akzeptierten, um das Gesicht zu wahren;andererseits, weil ja niemand sein eigenes Geld ausgebe.

Wie sehr Projekte dazu neigen, aus dem Ruder zu laufen, hängt offenbar stark von ihrem Umfang ab, sagt Bent Flyvbjerg von der Oxford University. Er hat für mehrere Studien Großprojekte analysiert. "Ab einem Budget von einer Milliarde Dollar steigt die prozentuale Kostenüberschreitung stark an", sagt er. "Erst ab ungefähr zehn bis 15 Milliarden wird die Kurve flacher." Auch der Zeitrahmen habe einen starken Einfluss: "Es ist sehr teuer, langsam zu sein", sagt Flyvbjerg. Je länger sich die Planung hinziehe, umso mehr setze man sich Kostenrisiken aus: Materialpreise steigen, die Technik ist überholt und muss verändert werden, Probleme ufern aus.

Aber auch überschaubarere Projekte bleiben selten im ursprünglichen Budgetrahmen: Von neun geplanten oder im Bau befindlichen EU-Forschungsanlagen mit Budgets über 500 Millionen Euro, die in der Europäischen Roadmap für Forschungsinfrastruktur aus dem Jahr 2006 aufgelistet sind, waren acht allein in den zwei Jahren bis zur jüngsten Neuauflage der Roadmap 2008 teurer geworden - um durchschnittlich 23 Prozent. Die Inflation betrug im gleichen Zeitraum nur 4,4 Prozent.

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