Terroir-Wein:Es gärt

Terroir-Weine, bei denen auf den Zusatz von Reinzuchthefestämmen verzichtet wird, sind groß in Mode. Winzer und Weinkritiker loben sie als besonders authentisch. Alles Gerede, sagen dagegen Wissenschaftler.

Kathrin Burger

Das aktuelle Zauberwort in der Welt des Weines lautet Terroir. Ein Terroir- Wein gilt als einmalige Essenz eines Fleckchens Natur. Er verdanke seine besondere Note dem Mineralgehalt des Bodens, den Sonnenscheinstunden in seiner speziellen Hanglage und den natürlichen Hefen aus dem Weinberg, mit denen die Trauben vergoren werden - so heißt es.

Terroir-Wein: Terroir-Weine sind groß in Mode. Doch "die Bedeutung der Hefen hinsichtlich des Terroir-Charakters wird überschätzt", kritisieren Wissenschaftler.

Terroir-Weine sind groß in Mode. Doch "die Bedeutung der Hefen hinsichtlich des Terroir-Charakters wird überschätzt", kritisieren Wissenschaftler.

(Foto: AFP)

Vor allem funktioniert ein Terroir-Wein als positives Gegenstück zu vermeintlich charakterlosen Weinen, deren Aroma von Reinzuchthefen aus dem Labor veredelt wird. Terroir ist Mode, erzielt gute Preise und verkauft sich prächtig.

Darum setzen immer mehr Winzer auf diesen Trend, vertrauen bei der Arbeit im Weinkeller auf die spontane Gärung und verzichten auf den Zusatz von Reinzuchthefestämmen. Doch was steckt hinter dieser Mode? Sind Spontangärung und Terroir nur weitere Legenden in der an Legenden wahrlich nicht armen Weinwelt? Die Antwort fällt ähnlich komplex aus wie das Zusammenspiel der Aromen eines gelungenen Weins.

"Der Trend zu Spontangärung wird parallel zum Bio-Anbau sogar noch weiter um sich greifen", sagt der Pfälzer Winzer Steffen Christmann. Wer einen "authentischen, großen Weinbergswein machen will, der kommt heute um die Spontangärung nicht herum", fasst der Präsident der Vereinigung Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) die aktuelle Mehrheitsmeinung unter den Winzern zusammen.

Doch Wissenschaftler teilen die Euphorie der Winzer nur bedingt. "Die Bedeutung der Hefen hinsichtlich des Terroir-Charakters wird überschätzt", sagt Manfred Großmann, Mikrobiologe an der Forschungsanstalt Geisenheim. Entscheidend für die Spontangärung sei vielmehr die Zusammensetzung der Hefen im Gärtank - diese stammen aber nur zu einem geringen Anteil aus dem Weinberg, aus dessen Trauben der Most besteht.

Wie wichtig die Kellerhefen für den Weingeschmack sind, zeigte ein Versuch mit Rieslingtrauben. Studien-Leiter Ulrich Fischer trennte die Weinbergflora aus fünf Pfälzer Weinbergen von der Kellerflora der zugehörigen Weingüter und untersuchte die Varianten auf typische Aromen.

Zitronen-, Apfel- und Ananasgeschack

Die nur mit der Traubenflora vergorenen Moste unterschieden sich kaum. Erst wenn die Kellerflora dazu kam, erhielt jeder Riesling seine prägende Note. Wäre also Keller- statt Terroir- Wein die bessere Bezeichnung?

Weitere Versuche zeigten sogar, dass Terroir-Weine, die mit Reinzuchthefen versetzt worden waren, geschmacklich besser abschnitten als spontan vergorene Weine. Sie schmeckten deutlicher nach Zitrone, grünem Apfel, Ananas, Mango und Passionsfrucht. "Sollte das Lagen-Terroir im Vordergrund eines Weines stehen, kann es vorteilhaft sein, ganz auf die Spontanvergärung zu verzichten", sagt Fischer.

Tatsächlich haben spontan vergorene Weine ein verändertes Aromagefüge, weil mehr und andere Hefearten und Bakterien mitspielen. Die Trauben am Weinstock werden von Weinhefen, Pilzen, Bakterien, Kahmhefen und wilden Hefen in unterschiedlichen Mengen besiedelt.

Die Weinhefe Saccharomyces cerevisiae siedelt erst auf ganz reifen Trauben - und das lediglich in einer Menge von nur einem Promille der gesamten Mikroorganismenzahl und nur einem Prozent der Gesamthefeflora.

Zu Beginn einer Gärung sind deshalb zunächst etwa Wildhefen der Gattungen Hanseniaspora oder Metschnikowia aktiv. Bereits jetzt entstehen neben Alkohol geruchs- und geschmacksgebende Verbindungen wie flüchtige Säuren und Ester.

Spontanvergärung mit Risiken

Erst ab einem Alkoholgehalt von fünf bis sechs Prozent gewinnen Saccharomyces-Hefen die Oberhand, die sich an die sauerstoffarmen Bedingungen in einem Weintank adaptiert haben. Sie tragen erheblich zum Aroma des Weines bei. Darum gibt es mittlerweile 200 verschiedene Reinzuchthefe-Stämme, die sich laut Herstellerangaben geschmacklich deutlich unterscheiden.

Unbestritten ist, dass spontan vergorene Weine in der Regel mehr Zucker, mehr Glycerin und mehr flüchtige Komponenten enthalten. Einige Studien konnten auch mehr Aromastoffe nachweisen. Probanden einer Verkostung an der Staatlichen Versuchs- und Lehranstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg haben bei spontan vergorenem Riesling deutlich mehr tropische Früchte mit angenehmen Fruchtestertönen wahrgenommen.

Die Ergebnisse sind allerdings widersprüchlich. Auch mit Reinzuchthefe vergorene Weine bieten geschmacklich einiges, hat eine Studie des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ergeben. Dabei wurden zwei Weißburgunder aus unterschiedlicher Herstellung analysiert und verkostet.

Beide Weine wurden fast gleich bewertet. Auch verdeckte Verkostungen durch 45 Önologiestudenten der Hochschule Rhein-Main haben gezeigt, dass nur die Hälfte der spontan vergorenen Weine als solche erkannt wurden. Nur jeder zweite angehende Önologe hätte dem wilden Wein den Vorzug gegeben.

"Was nützt es dem Winzer, wenn der spontan vergorene Wein zwar anders, dafür aber Kunden nicht besser schmeckt", sagt Großmann. Das Geschmacksgefüge eines Weines hängt zudem von zahlreichen anderen Faktoren ab wie etwa der Traubensorte oder davon, wie stark und bei welchen Temperaturen ein Most geklärt und vergoren wird.

Letztlich ist die Spontanvergärung für den Winzer risikoreich. "Schließlich ist die Mikroben-Diversität im Traubensaft so groß, dass sich auch unerwünschte Mitspieler durchsetzen können", sagt Großmann.

Fehltöne sind heute nicht mehr so häufig

Etwa wenn das Erntegut nicht ganz gesund ist oder die hygienischen Bedingungen im Betrieb nicht penibel eingehalten werden. Als die Spontanvergärung in Mode kam und die Winzer noch nicht so geübt waren, fand man in spontan vergorenem Wein häufig den sogenannten Böckser. Dabei verursachen schwefelhaltige Verbindungen Fehlgerüche nach faulen Eiern, Gummi oder Zwiebeln im Wein.

Auch Lösungsmittelgeruch, Essiggeschmack oder medizinische Noten können spontan vergorenen Wein ungenießbar machen. Hanseniaspora uvarum, die bis zu 90 Prozent der Traubenflora ausmachen kann, bildet Essigsäure. Fehltöne sind heute aber nicht mehr so häufig, schließlich bekommen die Winzer Empfehlungen an die Hand, wie eine Spontanvergärung besser glücken kann. Dazu gehört auch eine ständige Überwachung des Gärprozesses - wirklich spontan passiert im Keller nichts.

Oft werden die Reinzuchthefen auch einfach abgelehnt, weil sie einem "naturnahen Arbeiten" entgegenstünden. Sie werden aus einem Katalog bestellt und in getrockneter Form geliefert. Die Reinzuchthefen stammen jedoch ebenso wie die anderen Faktoren für eine Spontanvergärung aus Weinbergen.

Die Reinzuchthefe hat man nur aufgrund interessanter Merkmale aus spontan vergorenen Weinen selektiert. "Spontanvergärung ist also keineswegs natürlicher als Reinzucht-Hefe-Gärung", sagt der Pfälzer Weinexperte Fischer.

Bereits im vorletzten Jahrhundert entdeckte der Mikrobiologe Louis Pasteur, dass Saccharomyces cerevisiae die Hauptrolle bei der Weinbereitung spielt. "Spontangärung ist lediglich ein wichtiges Stilmittel und hilft auch bei der Vermarktung eines Weines", sagt Fischer.

Schließlich will der anspruchsvolle Weinkunde eine Geschichte zu einem Wein hören. Wein und Emotionalität gehören eng zusammen. Die Wissenschaft ist dabei zweitrangig.

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