Süddeutsche Zeitung

Telekinese:Forscher landen Flugzeug mit Kraft der Gedanken

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Forscher haben ein Flugzeug im Simulator mit Gedanken gesteuert. Das Experiment zeigt das Potenzial von Gehirn-Computer-Schnittstellen.

Von Christoph Behrens

Der Steuerknüppel bewegt sich wie von Geisterhand, der Mensch im Cockpit starrt geradeaus, die Hände hat er in den Schoß gelegt. Das Flugzeug nimmt Kurs auf die Landebahn, bremst sachte, setzt auf: Punktlandung. Ein Autopilot hat alles im Griff, könnte man meinen. Doch es ist ein Mensch, der das Flugzeug im Simulator lenkt, und zwar nur mit der Kraft seiner Gedanken.

Ein Elektrodenhäubchen auf dem Kopf des Testpiloten ermöglicht den ungewöhnlichen Flug. Der Kappe entspringen zahlreiche Kabel. "Von einem Dutzend Elektroden lesen wir Hirnsignale aus, daraus entsteht ein komplexes Muster", sagt Tim Fricke, der die Versuche im Flugsimulator der Technischen Universität München leitet. Die Probanden denken etwa gezielt an ihre linke oder rechte Hand, dabei ändert sich die elektrische Aktivität des Gehirns. Dies zeichnen die Elektroenzephalografie-Elektroden (EEG) an der Kopfoberfläche auf, es entsteht ein charakteristisches Muster von Hirnströmen. Ein Algorithmus entwirrt dieses Muster und übersetzt so die rohen Gedanken in Steuerbefehle für das Leichtflugzeug. Der Computer richtet danach die Tragflächen korrekt aus, berechnet Schub und Neigungswinkel.

Was passiert, wenn der Pilot versehentlich an den Absturz denkt?

Obwohl die Technik noch ganz am Anfang ist, funktioniert die Schnittstelle Gehirn-Computer-Flugzeug bereits erstaunlich gut - zumindest im Simulator. Sieben Probanden wagten bislang den telekinetischen Flug, selbst Piloten ohne Flugkenntnisse gelang es, den Kurs gedanklich zu halten. Ein Testpilot schaffte acht von zehn vorgegebenen Routen mit einer geringen Abweichung von nur zehn Grad, berichten die Wissenschaftler. Die EU fördert das Projekt "Brainflight" mit rund 600.000 Euro, federführend ist die portugiesische Technologiefirma "Tekever", die auch Drohnen und Militärtechnik entwickelt. Die TU Berlin hat den Algorithmus entworfen, der die Hirnsignale entschlüsselt. Die Ingenieure wollen zunächst die besten Ansätze für Gehirn-Computer-Steuerungen finden, an konkrete Anwendungen im realen Flugbetrieb denken sie dabei noch nicht. Laut Projektbeschreibung soll das System aber zumindest in unbemannten Drohnen getestet werden.

Die Hürden für eine praktische Umsetzung einer Hirnsteuerung sind enorm. Um die Flugbahn zu halten, müssen sich die Piloten permanent konzentrieren, eine Art Grundspannung im Kopf halten. "Das ist auf Dauer sehr anstrengend", sagt Fricke. In gewöhnlichen Flugzeugen spürt ein Pilot, wenn er die Maschine zu sehr belastet. Fliegt er zu enge Kurven, steigt der Widerstand am Steuerknüppel. Diese Rückkopplung fällt beim gedankengesteuerten Fliegen weg, die Ingenieure müssten sich also etwas Neues einfallen lassen.

Dazu könnte das Auslesen von Hirnmustern ethische Fragen aufwerfen. Schließlich verarbeitet eine solche Steuerung mit den Gedanken eines Menschen zugleich seine persönlichsten Informationen. "Wir können keine Gedanken lesen", schränkt Fricke ein, "wir sehen lediglich einfache Dinge, etwa dass jemand an seine linke Hand denkt". Komplexere Gedankengänge könne der Computer nicht entschlüsseln oder verarbeiten. Denkt ein Pilot etwa aus Versehen "jetzt stürzen wir ab", wäre das System wohl lediglich verwirrt - und würde einfach weiterfliegen.

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