Die Formeln der modernen Physik mögen kompliziert klingen, die Natur selbst scheint in ihrem Inneren aber recht übersichtlich zu sein. So wie man mit nur wenigen Typen von Lego-Klötzchen eine Vielzahl von Objekten konstruieren kann, ist die gesamte Materie aus nur wenigen Elementarbausteinen zusammengesetzt.
Elektronen bilden die Hülle von Atomen. Die Protonen und Neutronen des Atomkerns sind aus je drei Quarks vom Typ Up-Quark und Down-Quark aufgebaut. Zu diesen drei handfesten Materiebausteinen kommt noch das fast geisterhaft wirkende Neutrino, welches quer durch die Erde fliegen kann, ohne je mit der vorhandenen Materie zu kollidieren.
Jedes dieser vier Materieteilchen hat noch zwei größere Geschwister. Das sind massereichere Versionen der genannten Teilchen, zum Beispiel das Myon und das Tau als große Brüder des Elektrons, mit ähnlichen Eigenschaften, aber mehr Masse. Die großen Geschwister sind kurzlebig und lassen sich nur zeitweise in Teilchenbeschleunigern oder in kosmischer Strahlung finden. Sie zerfallen innerhalb kurzer Zeit und verwandeln sich in ihre kleineren Geschwister. Teilchenphysiker sprechen darum von den drei Generationen der Elementarteilchen.
Warum die Forscher bislang gerade drei Generationen finden, ist ein Rätsel. Doch Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) legen nun Hinweise vor, dass es genau diese drei Generationen gibt, und keine vierte oder noch höhere. Das berichten sie in einer Studie im Fachjournal Physical Review Letters. Mit 99,99999-prozentiger Wahrscheinlichkeit ist mit den drei bekannten Teilchengenerationen der Baukasten des Universums vollständig, sagen die theoretischen Physiker Ulrich Nierste, Martin Wiebusch und Otto Eberhardt vom KIT.
Zu dieser Aussage kommen die Forscher, nachdem sie Daten des Teilchenbeschleunigers am Cern in Genf analysiert haben. Es waren jene Messungen, die im vergangenen Sommer das Higgs-Teilchen offenbart haben. Dieses ist jedoch selbst kein Materiebaustein, sondern dafür zuständig, allen anderen Teilchen eine Masse zu verleihen. Indem die KIT-Wissenschaftler genau analysiert haben, in was für Teilchen das Higgs mit welcher Häufigkeit zerfällt, meinen sie nun beweisen zu können, dass es genau die bislang bekannten drei Generationen an Materiebausteinen gibt.
Gäbe es weitere leichte Teilchen, hätte man diese bereits in den Beschleunigeranlagen entdeckt. Aber es lässt sich auf Basis der Cern-Daten offenbar auch ausschließen, dass es weitere schwerere Teilchen gibt, die in den Hochenergieexperimenten bislang nicht direkt messbar wären. Gäbe es noch schwerere Geschwister einer vierten Generation, hätten diese gemäß dem aktuell gängigen Formelwerk der Teilchenphysik, dem Standardmodell, einen indirekten Einfluss auf die Higgs-Messungen. Theoretisch gibt es zwar noch Raum für eine enorm massive vierte Generation von Teilchen. Doch zeigen Computersimulationen, dass sich auch dann ein Widerspruch zu den gemessenen Higgs-Daten ergeben würde.
"Der Baukasten der Materie ist damit zumindest im Rahmen der heute bekannten Theorie abgeschlossen", sagt Gruppenleiter Ulrich Nierste. Der Inhalt besteht somit aus vier Materieteilchen der ersten Generation mit je zwei schwereren Geschwistern, macht zwölf "Legosteine". Hinzu kommen noch die jeweiligen Antiteilchen, sozusagen die quantenmechanischen Spiegelbilder der Materiebausteine, sodass man sagen kann: Die gesamte Materie des Universums besteht aus 24 Komponenten.
Außer den Materieteilchen kennt die Physik zwar noch weitere Partikel wie das besagte Higgs oder etwa das Photon, aus dem sichtbares Licht oder auch Röntgenstrahlung besteht. Doch diese übertragen lediglich Kräfte oder bilden Kraftfelder. Rätselraten bereitet allerdings die sogenannte Dunkle Materie, aus der offenbar ein Großteil des Universums besteht. Man weiß von ihr nur, dass sie Schwerkraft ausübt, aber nicht, woraus sie gemacht ist. Wissenschaftler fragen sich, ob dahinter neue Legoklötzchen stecken. Und ob es von diesen vielleicht auch verschiedene Generationen gibt.
Warum leistet sich die Natur überhaupt den Luxus mehrerer Teilchengenerationen, wenn diese im Alltag keine Rolle spielen? Diese Frage ist weiterhin unbeantwortet, ebenso wie die Frage, warum es offenbar genau drei Generationen von Teilchen gibt. Erst die Physik der Zukunft und neue Theorien können hierüber Aufschluss geben. Teilchenphysiker suchen indes in Hochenergieexperimenten wie am Teilchenbeschleuniger bei Genf oder in der Astrophysik nach Hinweisen auf eine Lösung dieses Rätsels. Anhand der Daten zum Higgs-Teilchen konnten die Forscher nun immerhin eine der drängendsten Fragen beantworten.