Süddeutsche Zeitung

Radiästhesie:Mit Pendel und Wünschelrute

Tatsächlich werden Pendel und Wünschelruten noch immer dazu verwendet, Krankheitsursachen festzustellen und Therapiemaßnahmen zu finden. Obwohl das erwiesenermaßen nicht funktioniert.

Colin Goldner

Der Begriff Radiästhesie, hergeleitet aus dem lateinischen radius (Strahl) und dem griechischen aísthesis (Empfindung), bezieht sich auf das Erspüren sogenannter feinstofflicher "Vibrationen" oder "Strahlungen", die mit physikalischen Messgeräten nicht erfasst werden können. Als radiästhetische Instrumente gelten Pendel und Wünschelrute.

Zwei französische Provinzpfarrer, Abbé Bouly und Abbé Mermet, verhalfen Ende des 19. Jahrhunderts dem Pendeln zu enormer Popularität.

Es stelle, wie sie behaupteten, ein äußerst präzises Instrument zur Diagnose jedweder Krankheiten dar. Um die Jahrhundertwende entwickelte sich das Pendeln zu einer Art Massenbewegung, die quer über den Kontinent Verbreitung fand. In Alternativheilerkreisen zählt es bis heute zu den weitestverbreiteten Diagnostikverfahren.

Ein Pendel besteht üblicherweise aus einer etwa 25 bis 30 Zentimeter langen Schnur oder dünnen Kette, an deren Ende ein kleines Gewicht befestigt ist. Material und Form dieses Gewichts sind völlig unerheblich.

Der Pendler hält das freie Ende der Schnur mit Daumen und Mittelfinger fest, so dass das Gewicht nach unten hängen kann. Die Hand wird ruhig gehalten, der Blick ruht auf dem Pendel, das sich, ohne willentliche oder bewusste Beeinflussung, nach kurzer Zeit hin und her oder im Kreise zu bewegen beginnt.

Diese Bewegungen werden vom Pendler nach Belieben "codiert": So definiert er beispielsweise einen horizontalen Ausschlag oder ein Kreisen im Uhrzeigersinn als "Ja" auf eine gestellte Frage und einen vertikalen Ausschlag oder ein Kreisen entgegen dem Uhrzeigersinn als "Nein".

Zur medizinischen Diagnose wird der Körper des Patienten von oben nach unten abgependelt. Stellt sich auf die "mentale" Frage "Ist in diesem Körperteil etwas nicht in Ordnung?" ein Ja-Ausschlag des Pendels ein, gilt dies als Hinweis auf eine (potentielle) Störung oder Erkrankung. Eine solche Diagnose, Psionic genannt, kann auch in Abwesenheit des Patienten über einem Ganzkörperphoto gestellt werden.

Der festgestellte Problembereich wird mittels einer anatomischen Skizze oder einer Auflistung der zugehörigen Organe, Nerven, Skelettteile et cetera weiter eingegrenzt. Ist die Störungsquelle letztlich genau lokalisiert, kann über einer Tabelle möglicher Ursachen (Entzündung, Über- oder Unteraktivität, Degeneration und so weiter) ausgependelt werden, worum es sich im Einzelnen handelt.

Der Heiler hält in der einen Hand das Pendel, während er den Zeigefinger der anderen Hand von Diagnose zu Diagnose bewegt. Zeigt das Pendel einen Ja-Ausschlag, ist die Richtige gefunden. Auf gleichem Wege lässt sich über einer Liste möglicher Medikamente oder Therapiemaßnahmen das Geeignete herausfinden.

Modernes Pendeln, das über die "Ja/Nein-Codierung" des traditionellen Pendelns hinausreicht, bedient sich sogenannter dowsing charts. Es handelt sich dabei um Karten verschiedener Größe, die mit fächerartig gegliederten Halbkreisen bedruckt sind.

Die einzelnen Segmente bieten verschiedene Antwortmöglichkeiten zu bestimmten Fragen. Beispielsweise zeigt eine Karte zur Findung eines geeigneten Bach-Blütenmittels einen Fächerhalbkreis mit achtunddreißig Segmenten: jedem Segment ist eine Bach-Blüte zugeordnet. Das Pendel wird über den Mittelpunkt des Kreisdurchmessers gehalten und schwingt nach "mental" gestellter Frage in eines der Segmente aus: das geeignete Mittel ist gefunden.

Muskelimpulse lösen die Bewegungen aus

Entgegen der Überzeugung der Radiästheten hat der Ausschlag des Pendels allerdings keinerlei "mediumistische" oder sonstig paranormale Ursachen.

Er wird vielmehr durch ideomotorisch induzierte Muskelimpulse ausgelöst: Allein die Vorstellung einer Bewegung - beispielsweise das Schwingen eines Pendels in eine bestimmte Richtung - führt zu geringfügigen, bewusst nicht registrierten Bewegungsimpulsen in jenen Muskeln, die zur Verwirklichung dieser Vorstellung erforderlich sind (Carpenter-Effekt).

Darüber hinaus spielen rhythmische Impulse aus Muskeltonusänderungen eine Rolle: Den Resonanzgesetzen der Physik gehorchend, schaukeln sich die minimalen Impulsstöße zu einer harmonischen Schwingung des Pendels auf.

Die gleiche Aussagekraft wie das Pendel - nämlich null - besitzt das zweite populäre Radiästhesie-Instrument, die sogenannte Wünschel- oder Glücksrute.

Bekannt bereits seit dem späten Mittelalter besteht die Rute traditionellerweise aus einem gegabelten Haselnuss- oder Weidenzweig, der, in beiden Händen gehalten, über bestimmten Reizzonen ausschlagen soll. Moderne Ruten bestehen aus einem dünnen Metallbogen oder einem V- bzw. Y-förmigen Drahtgestell.

Ging es früheren Rutengängern um das Erspüren (Muten) von Wasseradern oder Bodenschätzen, so wird die Rute heute vor allem zum Auffinden angeblich krankmachender "Erdstrahlen" eingesetzt: Neuralgien, Ekzeme und nicht zuletzt Krebs sollen durch derlei (tatsächlich gar nicht existente) "Strahlen" verursacht sein.

Daneben dient die Wünschelrute als alternativheilerisches Diagnoseinstrument: Krankheiten jeder Art lassen sich angeblich mit ihrer Hilfe zuverlässig früherkennen.

Für derlei "klinische" Arbeit werden bevorzugt sogenannte Einhandruten eingesetzt, bestehend aus einem Handgriff aus Bergkristall, Holz oder Kork, an dem eine etwa 15 bis 40 Zentimeter lange Stahlfeder mit einer kleinen Kugel oder einem (verschiebbaren) Metallring am Ende befestigt ist.

Mittels solcher Einhandrute, bekannt auch als "Energiesensor" oder "Biotensor", sei eine schnelle und äußerst genaue Diagnosestellung möglich. Die nach allen Seiten hin flexible Rute wird hierbei am Körper des Patienten entlanggeführt: schlägt sie an einer bestimmten Stelle "negativ" aus - entsprechend zuvor vorgenommener "Nein-Codierung" -, wird dies als Störung im zugeordneten Bereich gedeutet.

Insbesondere das Abtasten von Energiemeridianen und Akupunkturpunkten (die es genauso wenig gibt wie die Erdstrahlen) soll deutlichen Hinweis auf aktuelle oder latente Erkrankungen geben. Nicht selten wird auch die "Aura" ausgemutet.

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen hat die Unsinnigkeit der Radiästhesie längst unter Beweis gestellt. Der Ausschlag der Wünschelrute wird nicht durch "Strahlen" oder "mentale Kommunikation" ausgelöst, sondern, wie beim Pendeln, durch unbewusste (ideomotorische) Bewegungen des Radiästheten.

Vor allem bei der Einhandrute genügt der winzigste, bewusst nicht wahrnehmbare Impuls, um die mit einer Kugel beschwerte Stahlfeder in Schwingung zu versetzen. Beim Arbeiten mit der traditionellen Zweihandrute kommt zu dem beschriebenen Carpenter-Effekt das sogenannte Kohnstamm-Phänomen hinzu:

Die angespannte Haltung der Hände und Arme löst bereits nach kurzer Zeit einen Muskelklonus aus. Dabei handelt es sich um ein (geringfügiges) krampfartiges Zucken, das die Rute zum Ausschlag bringt. Wünschelrute oder Biotensor haben demnach keinerlei Aussagekraft.

Wer verspricht, Krankheiten mit Hilfe radiästhetischer Instrumente diagnostizieren oder Medikamente oder Heilverfahren mit ihnen auswählen zu können, belügt sich demnach selbst oder muss sich den Vorwurf der unverantwortlichen Scharlatanerie machen lassen.

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.

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