Süddeutsche Zeitung

Geist- und Wunderheilung/Reiki:Heilsame Hände

Wunderheiler treten mal als Gesundbeter auf, mal als Schamanen oder Reiki-Therapeuten, durch deren Hände übernatürliche Energie fließen soll.

Colin Goldner

Zu den berühmtesten Vorläufern der heutigen Wunderheiler zählt der Wiener Arzt Franz Anton Mesmer (1734-1815), der via Handauflegung "heilmagnetisches Fluidum" auf seine Patienten zu übertragen vorgab. Daneben verabreichte er "magnetisiertes" Wasser, das den Kranken besondere Heilkraft zukommen lassen sollte.

An der Vorgehensweise der Wunderheiler hat sich im Vergleich dazu bis heute nicht viel geändert: Nach wie vor legt man der gläubigen Kundschaft die Hände auf und nach wie vor dreht man ihr wundersam aufgeladene Heilmittel und Schutzamulette an.

Lediglich in Nimbus und Auftreten unterscheiden sich die Wunderheiler voneinander: Dienen sich die einen in bodenständiger Manier als Gesundbeter und Warzenbesprecher an, so treten andere in esoterischer Aufmachung als Hellseher, Magier, Schamanen oder Reiki-Therapeuten auf. Nicht wenige kommen im Drapé "seriöser Wissenschaftlichkeit" daher.

Und stets berufen sie sich auf übernatürliche oder kosmische Energien, die durch sie flössen beziehungsweise die sie in ihren Handflächen oder Fingerspitzen zu sammeln und als Heilkraft an andere weiterzugeben befähigt seien.

Derlei Fähigkeit sei ihnen von höherer Warte zuteil geworden, oftmals in Form eines mystischen Erlebnisses. Vielfach beziehen sie sich ausdrücklich auf das biblische Vorbild Jesu oder auf andere Religionsstifter, die ebenfalls durch Handauflegen geheilt haben sollen.

Die Übertragung kosmischer Heilenergie soll angeblich auch ohne weiteres in Abwesenheit der Person durchgeführt werden können, der sie zugedacht ist. Dazu bedarf es angeblich lediglich eines Fotos oder eines Gegenstandes aus ihrem persönlichen Besitz (als besonders wirksam sollen sich ein Blut- oder Speicheltropfen erwiesen haben).

Geistheilung, wie es in einem Standardwerk heißt, "ist die größte Gabe, die Gott einem Menschen verleihen kann". Tatsächlich ist sie jedoch als Betrug - manchmal vielleicht auch als Selbstbetrug - zu werten: Der Nachweis paranormaler Fähigkeiten und Kräfte konnte bislang in keinem einzigen Fall erbracht werden.

Hingegen wurden in einer Vielzahl an Verfahren Geist- und Wunderheiler rechtskräftig verurteilt, die in nachweislich betrügerischer Absicht - also trotz besseren Wissens und/oder ohne Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde - mit dem Angebot übernatürlicher Heilkräfte oder Wundermittel hausieren gegangen waren.

Beispielsweise verurteilte der Bundesgerichtshof einen Wunderheiler zu neun Monaten (auf Bewährung), der sich als "Pneumotherapeut" ausgegeben und "Geistheilung auf astraler Ebene" angeboten hatte. Seine Tätigkeit hatte darin bestanden, dass er seine Hände faltete und ein Kreuzzeichen über der Stirn des Patienten machte. Nach eigenen Angaben hatte er damit monatlich "Spenden" in fünfstelliger Höhe eingenommen.

Und vor dem Amtsgericht Montabaur wurde ein Heiler zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, der als "Heilkanal Gottes" bei Patienten unter anderem mit Multipler Sklerose und Krebs Handauflegungen und Fernheilungen angewendet hatte .

Auch gegen Vertreiber von Wunderheilmitteln liegen rechtskräftige Urteile vor. Ein Heiler, der unter dem Rubrum "Magisch-spirituelle Weismagie" auf Kundenfang gegangen war, hatte zu Phantasiepreisen völlig wertlose Amulette und Tinkturen verkauft. Das Gericht hielt dem Angeklagten vor, nicht nur Hoffnungen der hilfesuchenden Menschen enttäuscht zu haben - die Wundermittel sollten unter anderem von Nervenleiden, Sexualproblemen, Kurzsichtigkeit und Krebs befreien -, sondern durch "falsche Versprechungen neue, nicht erfüllbare Hoffnungen geweckt" zu haben.

Es habe ihm bewusst sein müssen, mit welchem Ausmaß menschlicher Probleme und menschlichen Leids er es zu tun gehabt habe. Wegen gewerbsmäßigen Wuchers in Tateinheit mit Betrug und unerlaubter Ausübung der Heilkunde wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Die relativ hohe Zahl an Verurteilungen sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die behördliche Ahndung von Wunderheilerei sehr zu wünschen übrig lässt. Zahllose Geistheiler, Astrologen, Kartenleger und Wahrsager können in einschlägigen Publikationen, über TV und Internet, gänzlich ungehindert ihre zweifelhaften Dienste andienen, Konsumentenschutz existiert hier praktisch nicht.

Die Gefahr von Wunderheilerei besteht in erster Linie darin, dass Kranke im Vertrauen und in Hoffnung auf die angepriesene "höhere Heilung" notwendige diagnostische und therapeutische Maßnahmen versäumen oder ablehnen.

Ein möglicher Placeboeffekt tritt hierhinter zurück, zumal sich gezeigt hat, dass dieser mit dem allemal höheren Risiko eines Noceboeffekts einhergeht: Erlebt der Gläubige keine Besserung seiner Beschwerden, können diese sich durch das Zusammenbrechen der oftmals als "Griff nach dem letzten Strohhalm" apostrophierten Hoffnung darauf weiter verschärfen.

Patienten laufen Gefahr, sich völlig "aufzugeben", wenn, so die subjektive Sicht, nicht einmal die paranormalen Kräfte des Wunderheilers Hilfe bringen konnten.

Auf der nächsten Seite: Raiki

Mit Abstand am weitesten verbreitet ist die Geistheilmethode des Reiki, die einem japanischen Mönch namens Mikao Usui, Lehrer an einer christlichen Klosterschule in Kyoto, Ende des 19. Jahrhunderts in einer Vision offenbart worden sein soll. Nach wochenlangem Fasten sei ihm jene "göttliche Energie" zuteil geworden, mit der auch Jesus geheilt habe.

Reiki kann angeblich weder gelehrt noch gelernt, sondern nur von einem Meister an einen Schüler weitergegeben werden. In einem Wochenend-Seminar zum Reiki-Grad I (Kosten: bis zu 250 Euro) wird mittels verschiedener Einweihungsrituale der Schüler für die Aufnahme "kosmischer Energie" geöffnet: Diese sei ab diesem Zeitpunkt ständig und unbegrenzt verfügbar, was den Schüler befähige, nun selbst heilend seine Hände aufzulegen.

Angeblich hilfreich gegen 385 Störungen

In einem "Offiziellen Reiki Handbuch" sind exakt 385 Störungen beschrieben - von Allergien und Asthma über Haarausfall, Herpes und Hühneraugen hin zu Tuberkulose, Tumoren und Typhus -, die mittels Reiki behandelt werden können. Auch erkrankten Tieren und Pflanzen helfe das Handauflegen des Reiki und sogar "bei nicht anspringenden Autos" funktioniere die kosmische Energiezufuhr.

Durch eine ebenfalls an einem Wochenende verabfolgte Einweihung in den Reiki Grad II (bis zu 700 Euro) werden die "Energiekanäle" weiter geöffnet - was nötig ist, um schwerere Erkrankungen wie etwa Aids oder Krebs zu behandeln. Grad II soll überdies zu Fernbehandlung befähigen. In einem Grad III (bis zu 10.000 Euro) kann der Schüler sich selbst zum Meister weihen lassen mit der Befugnis, seinerseits Grad I und II zu verleihen.

Das Reiki-Handauflegen (Kosten: bis zu 65 Euro pro Behandlung) wird in der Regel an zwölf bis zwanzig Stellen des Körpers für je einige Minuten durchgeführt. Die durch den Eingeweihten als "Kanal" hindurchfließende "Heilenergie" wird dergestalt auf den Patienten übertragen.

Einen Wirkbeleg gibt es ebensowenig wie eine seriöse Dokumentation der angeblichen Heilerfolge. Die möglicherweise wohltuende Wirkung des Reiki beruht ausschließlich auf der gläubigen Erwartungshaltung der Klienten: Außer einem eventuell auftretenden Placebo-Effekt hat Reiki keinerlei therapeutischen Nutzen.

Übrigens ist Handauflegen zur Übertragung "universeller Lebenskraft" unter einer ganzen Vielzahl an Bezeichnungen bekannt, beispielsweise als "Therapeutic Touch" (TT), "Energy-Transfer-Therapy" (ETT), "Energie-Punkt-Arbeit" (EPA) oder als "Spiritual Human Yoga" (SHY). Auch das sogenannte "Pranaheilen" des chinesischen Wunderheilers Choa Kok Sui ist nichts anderes als gebetsbegleitetes Handauflegen.

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.768375
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/mcs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.