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Aloe Vera / Kolloidales Silber:Die wundersame Wüstenlilie

Aloe Vera soll helfen bei der Behandlung fast jeder nur denkbaren Verletzung oder Krankheit. Doch das ist leider nur ein Mythos. Ähnliches gilt für kolloidales Silber.

Colin Goldner

Aloe Vera gilt in der Alternativheilkunde als Wundermittel schlechthin. Die Rede ist von der gleichnamigen Wüstenlilie (Echte Aloe - Aloe vera), genauer gesagt: vom Presssaft aus Mark oder Blattrinde dieser Pflanze, der bei der Behandlung jeder nur denkbaren Verletzung oder Erkrankung nützlich sein soll.

Der Katalog an äußeren Einsatzmöglichkeiten - Aloe Vera wird hier als Spray, Salbe oder Gel aufgetragen - reicht von Schnittwunden, Verbrennungen, Dermatosen und Ekzemen bis hin zu Quetschungen, Verstauchungen und Zerrungen.

Kaum ein Sportler, der Muskelkater oder eine leichte Prellung nicht mit einem Aloe-Vera-Gel behandelte. Auch in Kosmetikprodukten finden sich allenthalben Aloe-Vera-Bestandteile.

Der wahre Wert der angeblich "ältesten Heilpflanze der Welt" soll sich indes erst bei innerer Anwendung zeigen: Aloe-Vera-Präparate seien hilfreich nicht nur bei Asthma, Blasenschwäche, Katarrh und Verstopfung, sondern auch bei Herz-Kreislauf-Störungen, Lungenerkrankungen, Magengeschwüren, Nierensteinen, Herpesinfekten und Zysten; selbst bei Krebs und Aids wirke die "Heilkraft aus der Wüste" in unglaublicher Weise, ganz abgesehen von der "hochwirksamen Hilfe bei radioaktiven Strahlenschäden."

Bezeichnend ist insofern die Propaganda einer großen Vertriebskette für Aloe-Vera-Produkte: "Keine andere Pflanze besitzt eine so große Wirkstoffvielfalt, deren einzigartige Kombination und Konzentration dieses unglaubliche Wirkungsspektrum hervorruft."

Auf wundersame Art sei Aloe Vera in der Lage, "die Entgiftung des Körpers zu unterstützen und ihn auf sanfte Weise von schädlichen Ablagerungen zu befreien."

Ungeachtet aller Behauptungen über mehr als 6000-jährige Erfahrung mit der "Königin der Heilpflanzen": es gibt bis heute keinerlei seriösen Hinweis auf eine therapeutische Wirksamkeit von Aloe Vera. Allenfalls kann Aloe-Vera-haltigem Saft abführende Wirkung zukommen.

Unbewiesene Mythen

Alles andere sind unbewiesene Mythen. Noch nicht einmal der vielbesungene Wundereffekt von Aloe Vera in der Erste-Hilfe-Behandlung von Hautverletzungen ist klinisch-experimentell belegt. Insbesondere lassen sich mit Aloe Vera keine Infektionen verhindern, auch wirken die Mittel nicht gegen Bakterien, Viren oder Pilze, wie in alternativheilkundlichen Werbeartikeln immer wieder zu lesen steht.

Hingegen wurde in kritischen Publikationen von schweren Allergien und Hautausschlägen nach der Verwendung Aloe-Vera-haltiger Cremes berichtet sowie von potentiell krebserregenden Veränderungen der Darmschleimhaut bei oraler Aufnahme von Aloe-Vera-haltigen Säften und Tinkturen.

Nach jahrelangem Rechtsstreit verbot das Landgericht München deshalb einem Hersteller von Aloe-Vera-Produkten, seine irreführenden Reklamebehauptungen über deren wundersame Heilkräfte weiter aufrechtzuerhalten.

Dem weitverbreiteten Glauben an die positiven Wirkkräfte der Aloe Vera hat dieses Werbeverbot keinen Abbruch getan. Aloe-Vera-Produkte boomen. Desgleichen Wunderprodukte aus oder mit Bestandteilen von Boswellia (Weihrauch), Chlorella (Süsswasseralge), Flachskeimen, Gelbwurz, Gelée Royale, Ginseng, Grapefruitsamen, Grüntee, Ingwer, Kombucha (Teepilz), Ling-Zhi (Langlebenspilz), Muschelextrakten, Papaya, Nachtkerzenöl, Noni (polynesische Wunderfrucht), Schwarzkümmel, Spirulina (Mikroalgen), Teebaumöl oder Weintraubenkernen.

Auch für die behaupteten Wunderwirkungen von Aminosäuren, L-Carnitin (ein Vitamin-B-Derivat), Omega-3-(6)-Fettsäuren, Karotinoiden, Pflanzenenzymen (Cellulase) oder von Megadosen Vitamin C oder E gibt es keinerlei seriösen Beleg.

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Kolloidales Silber

Als weiteres Wundermittel gilt kolloidales Silber, das angeblich als "modernes Panazee" seine segensreiche Wirkung bei gesundheitlichen Problemen und Störungen jeder Art entfaltet. Es handelt sich dabei um Präparate in Tropfen- oder Pillenform, in denen submikroskopische Silberpartikel enthalten sind.

Nicht nur Augen-, Ohren- und Rachenentzündungen sollen vorzüglich darauf ansprechen. Auch Erkrankungen der Atemwege, der Haut, des Verdauungs- und des Urogenitaltraktes, ja selbst Hirnhautentzündungen und Tumorerkrankungen seien mit dem "natürlichen Antibiotikum" schnell und effizient zu bekämpfen. Im Übrigen stelle in Wasser gelöstes kolloidales Silber ein vorzügliches "Erste-Hilfe Spray" bei Schnittwunden, Entzündungen, Verbrennungen und Insektenstichen dar.

In Lehrbüchern der Naturheilkunde finden sich wahre Lobeshymnen auf kolloidales Silber angestimmt: "Jede Art von Pilz, Virus, Bakterium, Streptokokken, Staphylokokken und anderen pathogenen Organismen wird in drei bis vier Minuten abgetötet." Unerwünschte Nebenwirkungen gebe es nicht. Im Gegensatz zu antibiotischen Behandlungen werde das Immunsystem nicht geschwächt, im Gegenteil. Es sei höchste Zeit, kolloidales Silber als "sicherste und wirksamste Medizin der Welt" anzuerkennen.

Tatsache ist: Keine der angeblichen Heilwirkungen ist auch nur ansatzweise belegt. Hingegen besteht die Gefahr einer schleichenden Argyrie-Vergiftung durch Silberablagerungen in den Augen, in der Leber, den Nieren und im Gehirn, was zahlreiche Fällen bestätigt haben. Vor allem wird dabei von teils massiven Störungen des Zentralnervensystems berichtet.

Von internationalen Gesundheitsbehörden wird die Grenze für die orale Aufnahme von Silber bei täglich fünf Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht gezogen, darüberliegende Mengen seien potentiell gesundheitsschädigend. Behördlicherseits wird von der Einnahme kolloidalen Silbers ausdrücklich abgeraten.

Da Silber auch über die Nahrung aufgenommen wird, vor allem über Milch und Milchprodukte, kann eine zusätzliche Einnahme von silberhaltigen Tropfen oder Tabletten sehr schnell in den gefährlichen Bereich führen. Nachgerade fatal ist der vielzitierte Ratschlag, im Zuge einer Silberkolloidbehandlung die "Darmflora durch Joghurt zu unterstützen".

Und der häufig zitierte Hinweis auf eine angebliche Zulassung von kolloidalem Silber als Naturheilmittel durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ist falsch. Vielmehr hat die FDA festgestellt, dass sie "sich keiner substantiellen wissenschaftlichen Belege bewusst ist, die den Einsatz frei käuflicher Mittel mit kolloidalem Silber als Heilmittel bei ernsthaften Krankheiten unterstützen".

Obwohl Kolloidales Silber weder als Medikament noch als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen ist, lässt sich fertig zubereitetes "Silberwasser" problemfrei über das Internet beziehen: ein 100-ml-Fläschchen (40ppm) kostet zehn bis 14 Euro.

Im einschlägigen Zubehörhandel sind zudem Apparate erhältlich, mit denen kolloidales Silber selbst hergestellt werden kann - zum Beispiel ein sogenannter Ionic-Pulser-Standard S, ein schwachstrombetriebenes Teil in der Größe einer TV-Fernbedienung.

Das Gerät sondert von einem eingelegten Silberstab winzigste Partikelchen ab, die direkt in ein Trinkglas eingerührt werden können. Kosten des Gerätes: 170 Euro. Materialwert des Silberstabes: rund fünf Euro.

Mit dem Einsatz von Silbernitratlösungen in der wissenschaftlichen Medizin hat die Silberkolloidtherapie übrigens nichts zu tun.

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.

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