Süddeutsche Zeitung

Yoga:Das linke Bein auf der rechten Schulter

Yoga-Übungen können gewinnbringend eingesetzt werden. Ein Allheilmittel für körperliche und seelische Probleme sind sie sicher nicht.

Colin Goldner

Der Begriff Yoga stammt aus der altindischen Gelehrtensprache des Sanskrit und bedeutet soviel wie "Anbindung" oder "Vereinigung". Auch das Wort "Joch" geht auf dieselbe Sprachwurzel zurück.

Yoga gilt als Sammelbegriff für verschiedene philosophische und religiöse Traditionen des indischen Kulturraumes. Grundanliegen ist die "Rück-Bindung (re-ligio) zum Göttlichen".

Die ältesten bekannten Zeugnisse des Yoga, die sogenannten Upanishaden, sind über dreieinhalbtausend Jahre alt. Den bedeutendsten Text stellt die Bhagavad Gita dar, ein Lehrgedicht aus dem 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, in dem die vier Hauptformen des Yoga vorgestellt werden: Jnana-Yoga der spirituellen Transzendenz, Bhakti-Yoga der liebevollen Hingabe, Karma-Yoga der sozialen Pflichterfüllung sowie Raja-Yoga der inneren Konzentration.

Aus dem sogenannten "Achtgliedrigen Pfad" des Raja-Yoga leitet sich der Hatha-Yoga körperlicher Vervollkommnung her. Nach hinduistischer Auffassung sind die einzelnen Wege des Yoga nicht voneinander zu trennen, im Westen allerdings werden überwiegend die Körper- und Atemübungen des Hatha-Yoga praktiziert.

Yogisches Gedankengut war erstmalig Ende des 19. Jahrhunderts nach Europa gelangt, stieß zunächst aber auf wenig Resonanz. Mitte der 1930er wurde die erste Yoga-Schule in Deutschland gegründet, erst Ende der 1960er aber wurde Yoga richtig populär.

Wesentlichen Anteil hieran hatte die Subkultur der "Flower-Power-Generation" mit ihrer ausdrücklichen Hinwendung an östliche Philosophie und Religion.

Die Kontakte der Beatles und anderer Popgrößen zu indischen Gurus ließen Yoga in den USA und in Westeuropa zu einer Art Kultbewegung der frühen 1970er werden. Auch im deutschsprachigen Raum etablierten sich Dutzende von Yogazentren.

Teilweise standen diese Zentren unter der Leitung seriöser indischer Yoga-Lehrer, teils wurden sie aber auch in unverantwortlicher Weise von selbsternannten "Yogis" aus dem Westen betrieben.

Anfang der 1980er ließ der "Yoga-Boom" deutlich nach, die Mehrzahl der privaten Yoga-Schulen verschwand von der Bildfläche. Im öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesen indes hatte Yoga sich längst einen festen Platz erworben: In Kurkliniken und Volkshochschulen zählt Yoga-Unterricht bis heute zum Standardangebot.

Falsche Haltung, falsche Atmung, falsche Ernährung

Yoga als "körpertherapeutischer" Ansatz geht davon aus, dass die meisten Krankheiten durch falsche Haltung, falsche Atmung und falsche Ernährung entstehen.

Es werden daher drei Hauptpraktiken angewandt: Körperstellungen (Asanas), Atemkontrolle (Pranayama) und innerliche Reinigungen (Kriyas), deren disziplinierte Übung zu umfassender Gesundheit beitragen soll.

Darüberhinaus bietet Yoga einen umfänglichen Katalog an Lebensregeln (Niyama), Meditationsübungen (Dhyana) sowie eine ausgefeilte Ernährungslehre. Yoga versteht sich in erster Linie als vorbeugend zu praktizierendes Gesundheitsprogramm, behandelt Probleme allerdings auch auf spezifischer Ebene.

Eine Yogastunde (20 bis 120 Minuten) besteht aus einer genau festgelegten Reihe von durchschnittlich 10 bis 36 Körperübungen (Asanas). Es werden langsam und in größter Konzentration verschiedene Positionen - stehend, kniend, sitzend oder auf dem Boden liegend - eingenommen und jeweils eine gewisse Zeit (10 Sekunden bis 3 Minuten) beibehalten.

Bestimmte Störungen und Erkrankungen werden mittels spezifischer Stellungen behandelt, insbesondere zur "Sublimation sexueller Triebe" stehen aus einem Fundus von angeblich weit über acht Millionen detailliert beschriebener Übungen zahllose Möglichkeiten zur Auswahl.

Bei der Stellung Padangusthasana etwa sitzt man auf dem Boden und legt den rechten Fußknöchel auf den linken Oberschenkel; anschließend hebt man den Körper an und balanciert ihn nur noch auf den linken Zehen. Die angeblich weitgehende Wirkung: "Pollution verschwindet innerhalb weniger Tage".

Die Stellung Kandharasana soll nicht nur gegen Hämorrhoiden wirken, sondern sich von Frauen auch zur Empfängniskontrolle einsetzen lassen: "Sitzen Sie am Boden und heben Sie das linke Bein von hinten auf die rechte Schulter. Dann nehmen Sie auch das rechte Bein nach hinten und legen es auf das andere Bein. Hände werden vor der Brust zusammengelegt".

Und Matsyendrasana beseitigt angeblich Blähungen, Milz- und Lebererkrankungen sowie Diabetes mellitus, daneben werden sämtliche "Würmer zum Verlassen des Körpers gezwungen": "Setzen Sie sich auf den Boden. Der linke Fuß wird auf den rechten Oberschenkel gelegt, so dass die Ferse nahe am Nabel ruht. Dann stellen Sie den rechten Fuß über das linke Knie auf den Boden. Der linke Arm wird um das rechte Knie herumgelegt, bis die linke Hand die Zehen des rechten Fußes fassen kann. Die rechte Hand greift dann um den Rücken herum zur linken Ferse".

Die teils extreme Dehnung einzelner Körperteile soll dabei ohne Ehrgeiz durchgeführt werden und stets unterhalb der Schmerzschwelle bleiben.

Zu den "klassischen" und im Westen gebräuchlichsten Asanas zählen der Schulterstand (Sarwangasana), der Kopfstand (Shirshasana) oder der Lotossitz (Siddhasana).

Fortgeschrittene Yoga-Praktiker führen zudem Atemübungen (Pranayama) aus, die vor allem in forciertem Atmen beziehungsweise willkürlichem Anhalten des Atems bestehen. Die traditionellen "inneren Reinigungsübungen" (Kriyas) werden im Westen nur relativ selten praktiziert. Sie bestehen unter anderem darin, die Nasengänge oder den Darm mittels eines eingeführten Wasserschlauches zu säubern.

Westliches Kriya beschränkt sich meist auf einfachere Übungen wie etwa das rhythmische Ein- und Hochziehen des Magens (Uddiyana-Bandha). Auch das Singen von Meditationslauten (Mantras), vorzugsweise der Silbe "AUM", ist Teil der Kriya-Übungen.

Entsprannung und Entwicklung von Körperbewusstsein

Im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts können einzelne Yogaübungen durchaus gewinnbringend eingesetzt werden. Sie können zu Entspannung und zur Entwicklung von Körperbewusstsein beitragen und damit wertvolle Dienste zur Vorbeugung und Rehabilitation bestimmter Störungen und Erkrankungen leisten.

Die Behauptungen indes, Yoga sei nicht nur angezeigt bei jeglichen körperlichen Problemen, sondern bei "allen psychosomatischen Erkrankungen, Depressionen, Schlafstörungen, Asthma, Drogensucht und verschiedenen neurotischen Problemen", sind maßlose Übertreibung.

Ohne fachlich qualifizierte Anleitung kann Hatha-Yoga sogar hochgefährlich werden: So können etwa schwere Schäden etwa an der Wirbelsäule entstehen. Auch von Herzrhythmusstörungen wurde berichtet.

Besonders abzuraten ist deshalb vom sogenannten "Power-Yoga", bei dem die klassischen Asanas in schneller und sportiver Abfolge eingenommen werden. Und die Hyperventilationsübungen des Pranayama - bei denen es zu einem Kohlendioxidmangel im Blut kommen kann - können zu massiven psychischen Störungen führen.

Aus Lehrbüchern oder über TV-Sendungen beziehungsweise Videos lässt sich Yoga übrigens nicht erlernen.

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